Süddeutsche Zeitung

Steuerpolitik:Von wegen Gerechtigkeit

Das deutsche Steuersystem will Gerechtigkeit schaffen - ist mit dieser Aufgabe aber sichtlich überfordert. Emotionen bestimmen die Debatte. Die steuerpolitischen Pläne der angehenden Koalition sind allerdings nicht nur ängstlich, sondern auch ungerecht: Sie belasten besonders diejenigen, die wenig verdienen.

Ein Kommentar von Guido Bohsem

Die derzeitige Steuerdebatte hat etwas seltsam Hasenfüßiges an sich. Sogar gestandene Parteivorsitzende verwandeln sich in Leisetreter, sobald es um Steuersätze, Progression und Belastung geht. Wie sonst könnte der CSU-Chef Steuererhöhungen ausschließen, noch bevor klar ist, was die neue Koalition überhaupt gestalten möchte? Wie kann es sein, dass der SPD-Chef den öffentlichen Unmut so fürchtet, dass er nur noch das Mantra "Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck" murmelt, anstatt über den Zweck einer Steuererhöhung zu sprechen? Zugegeben, es liegt auch daran, dass sie beständig von Medienvertretern einvernommen werden, deren politische Neugier in der Frage gipfelt: "Schließen Sie Steuererhöhungen aus - ja oder nein?"

Warum ist das Thema so schwierig? Es kann nicht nur daran liegen, dass die Politiker sich scheuen, den Menschen weitere finanzielle Lasten aufzubürden. Dagegen spricht, wie gelassen Union und SPD sich auf höhere Beitragssätze in der Pflegeversicherung verständigen und wie wenig das die Gemüter erregt. Absurd, wenn man sich vor Augen führt, dass höhere Sozialabgaben im Gegensatz zur Steuer jeden Arbeitnehmer treffen - nicht nur die obere Mittelschicht oder die Reichen.

Sobald es um Steuern geht, fallen rationale Betrachtungen offenbar schwer. Das hat mit der emotionalen Bedeutung des Themas zu tun. Steuerzahler entwickeln starke Gefühle, wenn es um ihr Geld geht und um die Frage, ob man genug davon hergibt oder eben nicht. Es geht darum, was als fair oder als großzügig empfunden wird. Und es geht auch um Neid. Es geht um die zentrale Frage, ob das Steuersystem seiner Aufgabe gerecht wird, die Gesellschaft gerechter zu machen.

Beide Extreme sind kontraproduktiv

Um dies zu beantworten, ist es nützlich, sich zwei extreme Ansätze anzuschauen, wie man Steuer-Gerechtigkeit herstellen könnte. Der erste Ansatz ist, jedem Gutverdiener so viel Geld abzunehmen, dass er und die nicht so gut Verdienenden am Ende des Monats ein gleich hohes Einkommen hätten. Keiner hätte weniger und alle wären zufrieden.

Die andere Position ist ebenso radikal. Der Staat, so der Gedanke, darf dem Individuum gar kein Geld abnehmen, das es auf legale Weise verdient hat. Mit der Besteuerung greift er in die persönliche Freiheit des Menschen ein. Er entscheidet für ihn und womöglich gegen seinen Willen, was mit seinem Geld zu tun ist.

Beide Positionen sind kontraproduktiv. Die vollkommene Umverteilung würde den Menschen die Bereitschaft nehmen, etwas Außergewöhnliches zu leisten, weil die höhere Anstrengung nicht belohnt würde, das höhere Risiko, das außergewöhnliche Talent, die bessere Leistung. Der libertäre Ansatz hingegen ließe die Schwachen und die Benachteiligten zurück und produzierte eine asoziale Gesellschaft der Ichlinge.

Höhere Sozialabgaben belasten diejenigen, die wenig verdienen

Das Steuersystem der Bundesrepublik schwankt zwischen den beiden Extremen. Es besteuert hohe Einkommen höher als niedrigere und garantiert dadurch die Möglichkeit zum sozialen Ausgleich. Es belohnt aber auch den wirtschaftlichen Erfolg und die gute Arbeit, weil es sich trotz hoher Steuern lohnt, mehr Geld zu verdienen. Menschen mit geringem Einkommen müssen gar keine Einkommensteuer zahlen. Die Grenze liegt bei einem Ehepaar (nur einer verdient) mit zwei Kindern bei 21.500 Euro brutto im Jahr. Man kann sagen, dass es zwischen den beiden Extremen um eine ziemlich gute Mitte pendelt. Aber ist das auch gerecht? Schwer zu sagen.

Sicher, diese Antwort ist unbefriedigend. Tatsächlich aber ist das Steuersystem genau an diesem Punkt überfordert, Gerechtigkeit herzustellen. Andere Mittel wie Sozialleistungen sind da wirksamer. Entscheidend ist auch die Frage, was der Staat ansonsten noch einsetzt - für Polizisten, Lehrer oder den Bau von Straßen, Schulen und Kindertagesstätten. Es ist eine Rechnung nötig, die besagt, was wünschenswert ist und was leistbar. Aus dieser Rechnung und aus der Abwägung nicht zu sehr in das eine oder das andere oben genannte Extrem zu verfallen, leitet sich die Höhe der Steuern ab.

Sich vorschnell auf höhere Steuern festzulegen, ist daher genauso falsch wie vorschnell darauf zu verzichten (so strebt es die angehende Koalition an). Stattdessen beraten Union und SPD darüber, das fehlende Geld bei der Sozialversicherung lockerzumachen. Doch das ist deutlich ungerechter als höhere Steuern. Über die Sozialausgaben werden auch diejenigen, die wenig verdienen, belastet; im Verhältnis sogar stärker als die, die gut verdienen. Es wäre gerechter, die Steuern zu erhöhen und damit zum Beispiel die Pflegereform zu finanzieren. Doch für diese Debatte scheint die angehende Koalition zu ängstlich zu sein.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2013/kjan
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