Steuerpolitik von Schwarz-Gelb:Legenden des Scheiterns

German Foreign Minister Westerwelle talks to Bavarian state premier Seehofer during celebrations marking the country's 21st anniversary of reunification at the former Bundestag in Bonn

Nach landläufiger Meinung hat Guido Westerwelle (FDP) die reduzierte Hotelsteuer durchgedrückt. Es war aber CSU-Chef Horst Seehofer (rechts).

(Foto: Reuters)

Die FDP hat die Hotelsteuer erkämpft? Mit Kanzlerin Merkel waren Steuersenkungen unmöglich? Klingt richtig. Doch die Wahrheit sieht etwas anders aus. Warum bei der Koalition steuerpolitisch vier Jahre lang der Wurm drin war.

Von Stefan Braun, Berlin

Geschichtsschreibung kann ganz schön schwierig sein. Manchmal hinterlassen politische Konflikte Eindrücke, die das Geschehen keineswegs richtig wiedergeben. Legenden der Legislatur könnte man sie nennen. Solche Legenden hat es auch in dieser Legislaturperiode gegeben.

Stichwort: Steuerprivileg für Hoteliers. Seit gut drei Jahren gibt es die umstrittene Bevorzugung der Hoteliers. Genauso lange wird die FDP für sie kritisiert und karikiert. Die Regelung hat der schwarz-gelben Koalition den Start ruiniert und Guido Westerwelle nachhaltig beschädigt. Wenn man so will, ist sie der Ausgangspunkt für die ganze nachfolgende Misere der Freien Demokraten gewesen. Fragt sich nur: Erzählen die Urteile, die sich eingebrannt haben, tatsächlich die Wahrheit?

Zur Antwort lohnt ein Blick zurück in die ersten Wochen 2010. In diesen Tagen gibt es viele Gespräche, vor allem zwischen Ronald Pofalla, Guido Westerwelle und Horst Seehofer. Pofalla ist gerade Chef in Angela Merkels Kanzleramt geworden. Westerwelle ist als Vizekanzler ins Auswärtige Amt eingezogen. Seehofer regiert als CSU-Chef nicht nur in Bayern, sondern auch in Berlin mit. In diesen Januarwochen muss Schwarz-Gelb über das Wachstumsbeschleunigungs-Gesetz entscheiden. In Teilen hat es noch die Vorgängerregierung erarbeitet. Umso mehr möchte man nun einen eigenen Stempel setzen. Es soll doch das erste große eigene Gesetz werden. Pofalla, Westerwelle und Seehofer sollen bald einen Haken dran machen.

Der Verdacht der Klientelpolitik kam auf

Das gilt besonders für den Plan, die Hotels zu entlasten. FDP und CSU hatten das Ziel in ihren Wahlprogrammen verankert. Also soll jetzt der Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden. In der Öffentlichkeit ist allerdings Kritik laut geworden. Es heißt, die Koalition und vor allem die FDP wolle hier sehr speziell ihre Klientel bedienen. Die drei standen vor der Frage, ob sie die Idee umsetzen oder doch absetzen sollten.

Nach landläufiger Meinung ist es dann Westerwelle gewesen, der die Entlastung durchsetzte. Die anderen sollen das nickend (Seehofer) oder stirnrunzelnd (Pofalla) akzeptiert haben. Anschließend brach ein Sturm des Protests über die FDP herein, der noch befeuert wurde durch die Tatsache, dass unter den Großspendern der Liberalen ein Investor war, der Anteile an der Mövenpick-Kette hatte. Nichts war kürzer als der Schluss, hier habe eine Klientelpartei Klientelpolitik durchgefochten. Was der Koalition den Start verhagelte und die CDU dem Verdacht aussetzte, sie sei nicht in der Lage, politische Dummheiten der Liberalen zu verhindern.

Allein: So sehr sich diese Deutung festgesetzt hat, so falsch ist sie in einem entscheidenden Punkt. In der abschließenden Sitzung mit Pofalla und Seehofer hat Westerwelle nichts durchgedrückt. Im Gegenteil. Er wollte die Idee zurücknehmen. Das jedenfalls berichten jene, die dabei waren. Er wollte auf die Kritik reagieren - und lief gegen eine Wand namens Seehofer. Der CSU-Chef beharrte auf dem Steuerprivileg. Wie es heißt, soll Westerwelle auch später noch versucht haben, das Thema abzuräumen. Seehofer lehnte stets ab. Er hatte Gefallen daran gefunden, dass ihn zu Hause viele Hoteliers für die Idee feierten, während die FDP von allen Seiten politisch verprügelt wurde.

Vielleicht erklärt diese Geschichte am besten, warum bei der Koalition steuerpolitisch vier Jahre lang der Wurm drin war. Denn obwohl Union und FDP Entlastungen versprochen hatten, schaffte es das Bündnis nicht mehr, sich auf eine gemeinsame Steuersenkung zu einigen. Erst zum Schluss schien vielleicht noch etwas zu gehen. Dem aber bereitete die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat schnell ein Ende.

Stimmt das Bild der bremsenden Union überhaupt?

Nimmt man die vier Jahre Koalition zusammen, dann setzte sich auch in der Frage möglicher Steuersenkungen ein Bild fest: das von einer FDP, die rennt und macht und tut, um Steuererleichterungen zu erreichen. Und das Bild von der Union, die ihren Koalitionspartner ausbremst. Aber stimmt das überhaupt?

Im Frühjahr 2010, nur wenige Monate nach dem Hotelsteuer-Debakel, steckt die Koalition fest. Sie kann nichts Neues bieten. Sie hat sich selbst Zurückhaltung verordnet, weil in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai Wahlen anstehen. Bei einer Niederlage wäre die Mehrheit im Bundesrat weg. Doch was für Ruhe sorgen sollte, wird zusehends zur Belastung: Die vermeintlich ruhige Hand bringt Union und FDP immer stärker die Kritik ein, in der Koalition herrsche bereits Stillstand.

In dieser Situation entsteht in der Unionsspitze die Idee, moderate Steuersenkungen auf den Weg zu bringen, um den Eindruck der Lähmung zu zerstreuen. Die Steuersenkungen sollen vor allem dem Mittelstand und den Facharbeitern dienen. Fünf bis zehn Milliarden Euro Entlastung sollen sie bringen, im Mittelpunkt der Kampf gegen die kalte Progression stehen.

Die Chuzpe, die Union und FDP haben, erstaunt

All das ist nahe bei dem, was die FDP im Jahr 2013 in ihr Wahlprogramm aufnehmen wird. Zum damaligen Zeitpunkt allerdings, im März 2010, kämpft nicht die FDP für diese Ziele. Die Idee kommt von der CSU, wohlwollend begleitet von wichtigen CDU-Politikern. Und was macht FDP-Chef Westerwelle, als die Sache ihren Weg an die Öffentlichkeit findet? Er ruft "Nein!" Er ruft: Kommt nicht in Frage! Der Grund: Die FDP wollte ursprünglich das Doppelte an Entlastung. Hätte sie damals zugegriffen, hätte sie sich aber ein bisschen feiern können, weil sie ein Wahlversprechen, wenn auch kleiner als geplant, erfüllt hätte.

Am Tag nach der verlorenen NRW-Wahl beendet Angela Merkel alle Debatten über Steuersenkungen. Angesichts der Nöte in der Euro-Krise gebe es keine Spielräume mehr. Was sie nicht sagt, aber sicher denkt: dass die neuen Verhältnisse im Bundesrat alles sowieso sehr erschweren würden. Was im Jahr darauf geschieht, im Herbst 2011, liest sich wie der absurde Gipfel des Scheiterns. Nach dem Machtwechsel bei der FDP soll ein letzter Versuch für Steuersenkungen gemacht werden. Diesmal sind es CDU und FDP, die einen ziemlich ähnlichen Plan wie einst die CSU verfolgen. Doch weil CSU-Chef Horst Seehofer nicht eingeweiht ist, haut er mit der Faust auf den Tisch und die Sache ist beerdigt.

Angesichts all dessen staunt man nicht schlecht, dass Union und FDP die Chuzpe haben, in ihren Wahlprogrammen den Kampf gegen die kalte Progression überhaupt noch einmal aufzunehmen.

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