Süddeutsche Zeitung

Steuerpolitik in Deutschland:Wettbewerb zum Schaden aller

Lesezeit: 2 min

Durch Steueroasen und Schlupflöcher entgehen den Staaten jährlich viele Milliarden Euro. Die G 20 wollen das nun ändern. Doch solange jedes Land versucht, den anderen die Steuerzahler abzujagen, sind alle Bemühungen für die Katz.

Ein Kommentar von Claus Hulverscheidt, Berlin

Das Wesen des Wettbewerbs besteht in dem beständigen Versuch zweier oder mehrerer Rivalen, sich gegenseitig zu übertrumpfen und vor allen anderen ein Ziel zu erreichen. Dieses aus dem Sport und der Kriegführung stammende archaische Prinzip hat den Deutschen und vielen anderen Völkern ein nie gekanntes Maß an materiellem Wohlstand beschert, denn es zwingt die Anbieter von Waren und Dienstleistungen dazu, möglichst viele Produkte in möglichst guter Qualität zu möglichst niedrigen Preisen zu offerieren. Ein Unternehmen, das dabei nicht mithalten kann, ist schnell aus dem Rennen.

Auch der Steuerwettbewerb, den sich Staaten untereinander liefern und zu dem sich die Bundesregierung in einem internen Papier gerade erst wieder bekannt hat, ist deshalb zunächst nichts Verdammenswertes. Er versperrt schlampig haushaltenden Politikern immerhin den einfachen Ausweg über Steuererhöhungen und führt damit tendenziell zu einer geringeren Belastung von Bürgern und Betrieben.

Der Gedanke, besonders potente Steuerzahler, allen voran große Unternehmen, mittels immer niedrigerer Sätze und immer großzügigerer Ausnahmen ins Land zu locken, hat jedoch eine selbstzerstörerische Eigenheit: Auf lange Sicht produziert er unter den Wettbewerbern nämlich nur Verlierer, weil alle beständig Einnahmen einbüßen. Die Konzerne hingegen verschieben ihre Erträge so lange auf der Welt hin und her, bis die in einem Steuerparadies landen. Am Ende zahlt ein Gigant wie Amazon in Deutschland auf neun Milliarden Euro Umsatz nur 0,5 Promille Steuern.

Allgemeiner Mindestsatz wäre eine Lösung

Die Steuerparadiese liegen dabei keineswegs nur in der Karibik, es gibt sie auch in Europa. Irland etwa ködert Auslandsfirmen mit einem Steuersatz von 12,5 Prozent. Es ist dasselbe Irland, das wegen seines aufgeblähten Bankensektors Milliardenhilfen der EU-Partner benötigte - mit einer perversen Folge: Heute haften Deutsche und Franzosen mit ihrem sauer Ersparten dafür, dass ihnen die Iren die Steuerzahlungen deutscher und französischer Unternehmen wegnehmen.

An solchen Missständen wird auch der Plan der 20 führenden Wirtschaftsnationen nichts ändern, die "Steuergestaltung" einzudämmen. Natürlich ist es richtig, mehr Licht in firmeninterne Finanzströme zu bringen. Und natürlich ergibt es Sinn, einen Rahmen für die Besteuerung von Konzernen wie Google und Facebook zu erarbeiten, weil Nationalität für die Internetriesen längst keine Kategorie mehr ist. Solange aber die Firmen weiter verschweigen dürfen, was sie wo tatsächlich verdienen, solange jede Regierung etwas anderes besteuert und es keinen allgemeinen Mindestsatz gibt, solange die Staaten also versuchen, sich Steuerzahler abzujagen - solange sind alle Bemühungen für die Katz.

Im erwähnten Papier der Bundesregierung wird der "Steuerwettbewerb der Staaten" als ein Grund für die Misere genannt. Exakt zwei Sätze weiter heißt es, Deutschland dürfe keinesfalls seine "Standortattraktivität" verlieren. Mehr Widerspruch in zehn Zeilen geht kaum.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1728274
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.07.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.