Berlin (dpa) - Die Bundesregierung will 48 Millionen Bürger steuerlich entlasten, indem sie die Auswirkungen der hohen Inflation auf die Einkommensteuer abfedert. Das Kabinett beschloss am Mittwoch Pläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zum Ausgleich der sogenannten kalten Progression.
Damit sorge die Ampel-Regierung dafür, dass der Staat nicht auch noch steuerlich von den hohen Preisen profitiere, sagte Lindner. „Das ist für uns eine Frage der Fairness“. Es gehe nicht um eine Entlastung für die Bürger, sondern darum, eine automatische zusätzliche Belastung zu verhindern.
Das Problem hoher Inflation
Durch den russischen Krieg in der Ukraine ist in Deutschland die Inflationsrate deutlich gestiegen, vor allem wegen höherer Preise für Energie. Im August sprang die Teuerungsrate auf fast acht Prozent. Volkswirte rechnen mit zweistelligen Inflationsraten in den nächsten Monaten. Werte auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern muss man in der Zeitreihe bis in den Winter 1973/1974 während der Ölkrise zurückgehen, um ähnlich hohe Zahlen zu finden.
Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro weniger leisten können. Zugleich führen sie zur sogenannten kalten Progression, einer laut Lindner „heimlichen Steuererhöhung“: Wegen der hohen Inflation sinkt die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger, ihre Steuern bleiben aber hoch. Damit steigt die relative Steuerbelastung. Wenn ein Einkommen von eigentlich 43.000 Euro durch die Inflation nur noch eine Kaufkraft von 39.000 Euro habe, dürfe der Staat nicht so viel Steuern erheben, als seien es noch 43.000 Euro Kaufkraft, sagte Lindner.
„Es darf keine Überbesteuerung der Bevölkerung geben.“ Wer Steuererhöhungen wolle, müsse politisch dafür kämpfen; sie dürften nicht einfach automatisch passieren.
Anpassungen im Steuertarif: Grundfreibetrag und Eckwerte
Um das aufzufangen, will die Bundesregierung an den Stellschrauben des Einkommensteuertarifs drehen. Der Grundfreibetrag, also das Einkommen, bis zu dem keine Steuer gezahlt werden muss, soll steigen - von aktuell 10.347 Euro auf 10.632 Euro im kommenden Jahr und 10.932 Euro im Jahr 2024. Zudem soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent im kommenden Jahr erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 61.971 Euro greifen, 2024 dann erst bei 63.514 Euro.
Die Grenze für den noch höheren Reichensteuersatz von 45 Prozent tastet die Bundesregierung bewusst nicht an, weil sie in dieser Einkommensklasse keine zusätzliche Entlastung für nötig hält.
Das Problem der vorläufigen Zahlen
Bei der Berechnung der neuen Eckwerte hat das Finanzministerium die Frühjahrsprognose zur Inflation genutzt. Seitdem jedoch sind die Preise weiter in die Höhe geschossen. Finanzminister Lindner will die jetzt vom Kabinett beschlossenen Zahlen daher vor Jahresende nochmal anpassen - wenn die Herbstprognose der Bundesregierung vorliegt.
Am liebsten allerdings hätte es der FDP-Politiker, wenn die Steuereckwerte künftig automatisch an die Inflation angepasst würden. Andere Länder machten das so, Deutschland bisher nicht, sagte Lindner. Ein Automatismus würde aus seiner Sicht aber sehr schwierige politische Debatten ersparen - denn nicht jedem Koalitionspartner ist der Inflationsausgleich gleich wichtig.
Wer davon wie stark profitiert
Ein großer Kritikpunkt von SPD und Grünen ist, dass Topverdiener in absoluten Zahlen mehr von der Reform haben als Geringverdiener. Je mehr Steuern man zahlt, desto größer der Effekt. Eine vierköpfige Doppelverdiener-Familie mit zwei Kindern und Jahreseinkommen von 56.000 Euro müsse 680 Euro weniger Steuern zahlen, sagte Lindner. „Hätten wir nichts gemacht, wäre diese Familie aus der Mitte der Gesellschaft im nächsten Jahr mit 680 Euro zusätzlich belastet worden, zu den steigenden Energiepreisen, steigenden Gaspreisen noch hinaus.“
Kindergeld soll zusätzlich steigen
Mit dem gleichen Gesetz will die Bundesregierung auch das Kindergeld und den steuerlichen Kinderfreibetrag anheben. Im kommenden Jahr soll es für die ersten drei Kinder einheitlich je 237 Euro pro Monat geben, ab dem vierten Kind 250 Euro.
Grünen-Haushälter: Wenn nötig nachsteuern
Die Grünen im Bundestag schließen zudem nicht aus, dass bei zugespitzter Lage noch einmal nachgelegt wird. „Wir werden im weiteren Verlauf des Herbstes und Winters immer wieder die aktuelle Lage neu prüfen und wo es nötig ist bei sozialen Entlastungen konkret nachsteuern. Wir lassen niemanden allein“, sagte Haushälter Sven-Christian Kindler der Deutschen Presse-Agentur.
„Eine Krise ist kein Zeitpunkt für Geiz“, betonte er vor einem zweiten Treffen von Kanzler Olaf Scholz mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Die Ampel-Koalition werde finanzieren, was notwendig sei.
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