Süddeutsche Zeitung

Steuerbetrüger-Daten:Die Schweiz - ein Land am Pranger

Die Affäre um Steuersünder trifft die Schweiz ins Mark, besonders deshalb, weil der Ärger ausgerechnet wieder von den ungeliebten Deutschen ausgeht. Das stolze Alpenland sieht sich in der Dauerdefensive - und leidet an Überforderung.

Thomas Kirchner

Die Meldung aus Deutschland war erst wenige Minuten bekannt - prompt dominierte sie die Nachrichten des Schweizer Fernsehens. Wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die gestohlenen Bankdaten verwende, bedeute dies einen "schweren Reputationsverlust für den Schweizer Bankenplatz", warnte ein Korrespondent.

Die ersten Reaktionen reichten von Wut bis Resignation. "Das ist Hehlerei, das kann nicht sein", schäumte der konservative Abgeordnete Adrian Amstutz; "das ist die Quittung für unsere Steuerpolitik", erwiderte der Sozialdemokrat Daniel Jositsch.

Doch es steht mehr auf dem Spiel als der Ruf des Bankenplatzes: Die Schweizer haben wieder einmal, und ausgerechnet von den ungeliebten Deutschen, einen psychologischen Kinnhaken erhalten. Dabei sind sie ohnehin stark angeschlagen. Das einst stolze Alpenland sieht sich in der Dauerdefensive. Die halbe Welt hacke auf ihnen herum, glauben die Schweizer. Und schlimmer noch: Eigentlich wissen sie, dass sie sich die Sache selbst eingebrockt haben.

Die Schweiz leidet an Überforderung; sie kämpft an so zahlreichen Fronten, dass sie kaum noch weiß, auf welchen Disput sie sich konzentrieren soll. Vieles hat mit dem Bankgeheimnis zu tun. Es hat die Eidgenossen reich gemacht - und sucht sie nun heim wie ein Fluch.

Der Anfang vom Ende dieses Wettbewerbsvorteils lässt sich auf 2008 datieren. US-Ermittler erhielten damals Beweise, dass die Schweizer Großbank UBS aktiv US-Bürgern geholfen hatte, den amerikanischen Fiskus auszutricksen. Die anschließende Klage gegen die UBS wirkte derart existenzbedrohend für die Bank - und damit für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft -, dass die Berner Regierung im Februar 2009 keinen anderen Ausweg mehr sah, als unter Bruch Schweizer Rechts mehr als 250 Kundendatensätze an die USA zu liefern. Plötzlich klaffte im Bankgeheimnis ein großes Loch, das unter Druck der Hochsteuerländer später noch größer wurde.

Die Russen sind verschnupft, Libyens Staatschef Gaddafi übt Rache

Und die USA ließen nicht locker, forderten weitere Daten. Erst ein juristisch hochkompliziertes Abkommen zwischen beiden Ländern schien den Streit endgültig zu beenden - bis das Schweizer Bundesverwaltungsgericht den Staatsvertrag vor einer Woche für illegal erklärte. Seither ist die Wunde wieder offen, die Krise mit den USA dauert an.

Vergangenen Freitag wurde neues Ungemach bekannt: Dem Russen Victor Vekselberg, der an eidgenössischen Unternehmen beteiligt ist, droht in der Schweiz eine Geldstrafe von 40 Millionen Franken (umgerechnet knapp 25 Millionen Euro). Die russische Regierung, obwohl Bern traditionell wohlgesonnen, ist stark verschnupft.

Selbiges gilt für Libyens Muammar el Gaddafi, der noch immer nicht verwunden hat, dass die Genfer Justiz seinen Sohn vor Jahren kurzfristig festnahm. Aus Rache hält der Diktator weiterhin zwei Schweizer Geschäftsleute als Geiseln fest. Auch das Votum für ein Minarettverbot hat den Schweizern, neben einigen neuen Freunden, international vor allem Ärger und Kopfschütteln eingebracht. Wer sich heutzutage ein T-Shirt mit dem früher so trendigen Schweizerkreuz kauft, setzt eher ein Zeichen gegen den Islam, als dass er Lifestyle zur Schau trägt.

Die Schweizer halten ihre Politiker für Dilettanten

Besonders bitter für die Schweizer ist jedoch, dass die neueste Herausforderung aus Deutschland kommt, jenem Land, von dem sie sich ständig bevormundet - und neuerdings auch überrollt fühlen: Vor allem in Zürich wird in diesen Tagen außerordentlich laut über die vielen teutonischen Einwanderer geklagt, die allein durch ihre unübersehbare Präsenz diffuse Ängste auslösen.

Unvergessen bei den Schweizern sind auch Peer Steinbrücks Kavallerie-Drohungen sowie diverse andere bilaterale Nickligkeiten der jüngeren Zeit. Symptomatisch ist der seit mehr als einem Jahrzehnt schwelende Konflikt über den Lärm, den der Anflug auf den Flughafen Zürich über dem Südschwarzwald bewirkt. Um dieses Problem zu lösen, bedürfte es viel mehr guten Willens, auf beiden Seiten. Doch das deutsch-schweizerische Verhältnis ist verwahrlost.

Viele Schweizer sehen sich den Krisen hilflos gegenüber. Ihre Regierung schelten sie als einen Haufen von Dilettanten, der immer zu spät und niemals angemessen reagiert. Und Alliierte, Freunde, die sich für Bern ins Zeug werfen würden, sind kaum in Sicht. Als Nicht-EU-Mitglied steht die Schweiz allein in Europa.

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SZ vom 01.02.2010/vbe/gba
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