Süddeutsche Zeitung

Solidaritätszuschlag:Schafft den Soli ganz ab!

Der ursprüngliche Zweck des Solidaritätszuschlags ist entfallen, seine Beibehaltung für wenige Menschen ist ungerecht. Der Soli darf nicht zur verkappten Reichensteuer werden.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

Beinahe 800 Milliarden Euro wird der Staat in diesem Jahr an Steuern einnehmen. Dennoch prägt den öffentlichen Diskurs eine Zu-wenig-Diskussion: zu wenig Klimaschutz, zu wenige Lehrer, zu wenige fahrtüchtige Züge, zu wenige Mobilfunkmasten, zu wenig Rente. Die Debatte an sich ist kein Wunder. Man muss sein Dasein schon als Eremit in einem finsteren Wald fristen, um im Alltag nicht ständig mit den Defiziten dieses Landes konfrontiert zu werden. Und da wartet dann das Waldsterben.

Die Erzählung aber, die als Erklärung für all die deutschen Defizite herhalten muss, ist allzu schlicht. Sie lautet: Mit Infrastruktur, Bildung, Innovationsfähigkeit und Umweltschutz liegt deshalb vieles im Argen, weil nicht genug Geld da ist. Schon wird über die Sinnhaftigkeit der "schwarzen Null" gestritten, über die Schuldenbremse und über höhere Steuern auf Schnitzel und Salami.

Inmitten dieses Streits ums Geld hat der sozialdemokratische Bundesfinanzminister Olaf Scholz nun etwas getan, was jenen, die nach mehr Einnahmen für den Staat rufen, nicht wirklich in den Kram passen dürfte. Er hat Steuererleichterungen auf den Weg gebracht. Auf zehn Milliarden Euro will der Bund verzichten, der Solidaritätszuschlag soll für neun von zehn Steuerzahler entfallen. Zwar erst von 2021 an, aber immerhin.

Es kommt nicht oft vor, dass der Staat sich von liebgewonnenen Einnahmequellen trennt - obwohl er das hin und wieder durchaus tun sollte, vor allem, wenn der ursprüngliche Zweck für eine Steuer oder Abgabe entfallen ist. Der Soli ist ein Paradebeispiel für einen solchen Fall. Erhoben wird er seit 1995, er sollte die Kosten der Wiedervereinigung finanzieren. Inzwischen ist das Verhältnis der Soli-Einnahmen zu den Mitteln, die für den Aufbau Ost verwendet wurden, aber in ein groteskes Missverhältnis geraten. Der Solidaritätszuschlag ist nichts weiter als eine weitere Einnahmequelle für den Bund. Insofern ist es lobenswert, dass Scholz den Zuschlag zumindest teilweise abschaffen will.

Eine wirklich saubere steuerpolitische Entscheidung aber wäre es gewesen, ihn ganz zu streichen - statt ihn als verkappte neue Reichensteuer am Leben zu halten. Der Soli war ein Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer für alle. Wenn er nun aus nachvollziehbaren Gründen abgeschafft werden soll, sollte auch das für alle gelten. Wer eine Reichensteuer einführen will, soll es tun und sie auch so nennen. Das Herumbasteln an einem neuen Soli für wenige dagegen ist Flickwerk. Und: Wenn die verbliebenen Soli-Zahler weiterhin dafür sorgen, dass mehr als die Hälfte des Aufkommens erhalten bleibt? Kann man dann ernsthaft von einer Abschaffung sprechen? Wohl eher nicht.

Jene, die Scholz' Vorschlag befürworten, argumentieren mit den Missständen im Land, von der Infrastruktur bis zu den Schulen und Kindergärten. Und "die Reichen", so die Argumentation, könnten es sich nicht nur leisten, für die Beseitigung der Missstände etwas mehr Geld an den Staat abzuführen - sondern es sei auch eine Frage der Gerechtigkeit, diese Bevölkerungsgruppe stärker heranzuziehen.

Allein: Sie wird schon heute stärker zur Mitfinanzierung des Staates herangezogen, dank der progressiven Steuertarife. Und das völlig zu Recht. Aber die Beibehaltung des Solis für wenige ist ungerecht und das Gegenteil verlässlicher Politik. Dass durch eine vollständige Abschaffung des Solis Gutverdiener besonders stark entlastet werden, stimmt natürlich, ist aber kein Skandal, sondern vollkommen logisch. Stark entlastet werden kann nur, wer viel zahlt.

Zu viel Konsum, zu wenig Investition

Bleibt die Sache mit den bröckelnden Brücken und den Funklöchern. Existieren die, weil nicht genug Geld da war? Nach einem Jahrzehnt Wirtschaftsboom und immer neuen Steuerrekorden? Da kann man ins Grübeln kommen.

Kurz gesagt, wurde der Aufschwung nicht klug genug genutzt. Es wurde zu wenig investiert und zu viel konsumiert. Die Investitionsvorhaben waren nicht langfristig genug konzipiert, um die Unternehmen zum nachhaltigen Kapazitätsaufbau zu bewegen. Sozialwohnungen wurden aufgegeben, die Grunderwerbsteuer zu Lasten der Häuslebauer erhöht und das Liegenlassen von Grundstücken durch Spekulanten nicht bestraft. Die Autoindustrie wurde geschont, die Bahn vernachlässigt. Viele Gemeinden sind immer noch überschuldet und können deshalb nicht investieren, Lehrer werden im Sommer entlassen, der Netzausbau hinkt hinterher, eine effiziente Bepreisung von CO₂ gibt es nicht, stattdessen viele teure Einzelmaßnahmen für mehr Klimaschutz. Milliarden sind dagegen in die Mütterrente geflossen, in die Rente mit 63 und nun, ganz neu, in die Haltelinien für die Rentenversicherung.

Der Gedanke, dass allein der Staat Geld sinnvoll auszugeben weiß, ist zwar in vielen Kreisen populär. Die sichtbaren Defizite im Land, trotz jahrelanger Steuerrekorde, erzählen aber genau die gegenteilige Geschichte. Sie sind nicht das Ergebnis von zu wenig Geld, sondern von falsch gesetzten Prioritäten.

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