Süddeutsche Zeitung

Sterbehilfe:Wie eine Neuregelung der Sterbehilfe aussehen könnte

Vor einem Jahr kippte das Verfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Unterstützung zum Suizid. Und nun? Die große Koalition hat darauf noch immer keine Antwort, doch aus dem Bundestag liegen erste Reformvorschläge vor.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ende Februar jährt sich das spektakuläre Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe, und es wäre falsch zu behaupten, seitdem sei gar nichts passiert. Im Sommer präsentierten vier Professoren einen Reformvorschlag, im Herbst debattierte der Deutsche Ethikrat, im Winter die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Zivilgesellschaft ist aktiv, aber die große Koalition schweigt. Und dies, obwohl seither Dutzende von Menschen gestorben sind, mit der Unterstützung von Sterbehilfevereinen, die wieder aktiv sind, nachdem Karlsruhe das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe gekippt hatte. Der Eifer, mit dem der Gesetzgeber einst diesen Vereinen das Handwerk legen wollte, steht in einem seltsamen Kontrast zu seiner derzeitigen Untätigkeit.

Nun aber liegen die ersten Reformvorschläge aus dem Bundestag vor. Ein interfraktioneller Gesetzentwurf, getragen von Katrin Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) sowie ein eigener Vorschlag der Grünen, für den Renate Künast und Katja Keul verantwortlich zeichnen. Daraus wird noch kein neues Gesetz, reformwillig sind vorerst nur Opposition plus Lauterbach. Aber die Entwürfe zeigen, wo die rechtlichen Probleme sind - und wie sie sich lösen lassen.

Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass sie auf strafrechtliche Verbote verzichten, die im Gesetz von 2015 noch Mittel der Wahl waren. Lauterbach hat sich zwar für ein neuerliches Verbot der kommerziellen Suizidhilfe ausgesprochen, aber im Entwurf schlägt sich das nicht nieder. Stattdessen setzen beide Vorschläge darauf, dass der Staat die Sterbehilfe organisiert und rein private Vereine von selbst verschwinden. An ihre Stelle soll ein gesetzlich klar geregeltes Beratungskonzept treten.

Die schwierigste aller Fragen: Ist der Suizidwunsch vom freien Willen getragen?

Der interfraktionelle Entwurf baut auf ein Netz von Beratungsstellen mit behördlicher Anerkennung, organisiert von den Ländern. Fachkundiges Personal soll suizidwillige Menschen umfassend beraten, insbesondere über die Alternativen zum Suizid, beispielsweise die Palliativmedizin. Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, dürfen zudem nicht auf eine lange Warteliste gesetzt werden: "Eine suizidwillige Person ist unverzüglich zu beraten", heißt es dort.

Damit soll die schwierigste aller Fragen beantwortet werden: Ist der Suizidwunsch wirklich autonom gebildet und vom freien Willen getragen? Das Bundesverfassungsgericht hatte ausdrücklich auf Untersuchungen hingewiesen, wonach rund 90 Prozent der Suizide auf psychische Störungen zurückgehen, Depressionen zum Beispiel, die auch von Ärzten manchmal schwer zu erkennen sind. Auf die Beratung soll daher eine ärztliche Aufklärungsrunde folgen. Und weil der Wille schwankend ist, setzt der Entwurf auf den Zeitfaktor: Mindestens zehn Tage, aber höchstens acht Wochen dürfen zwischen Beratung und Arzttermin vergangen sein. Am Ende der Prozedur vollzieht laut Entwurf ein Arzt oder eine Ärztin den entscheidenden Schritt - die Verschreibung eines todbringenden Medikaments.

Der interfraktionelle Entwurf hat damit die entscheidenden Häkchen hinter die Karlsruher Vorgaben gesetzt: umfassende Beratung, Gewähr des freien Willens. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, bezweifelt freilich, dass staatlich legitimierte Beratungsstellen die Freiheit des Willens ermitteln können. "Deshalb kann es durch staatliche Beratung kein Suizid-Siegel geben." Am anderen Ende des Spektrums sieht der "Verein Sterbehilfe" Suizidwillige unter Rechtfertigungsdruck gesetzt; dies sei verfassungswidrig. Wer das damalige Urteil liest, wird freilich feststellen: Dass eine staatlich organisierte Ermutigung zum Leben mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daran herrscht kein Zweifel.

Eine Unschärfe im interfraktionellen Entwurf liegt allerdings darin, dass am Ende allein Ärzte entscheiden sollen. Das Bundesverfassungsgericht hatte indes geurteilt, das Recht auf Selbsttötung verbiete es, Hilfe etwa vom Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen - so lautete der wohl umstrittenste Satz des Urteils. Wer Suizidhilfe regelt, muss mithin abbilden, dass es auch um - wahrscheinlich wenige - gesunde Lebensmüde gehen kann. Dafür dürften Ärzte sich kaum zuständig fühlen.

Für gesunde Suizidwillige fordern die Grünen mindestens zwei Beratungen

Dieser Umstand wird im Entwurf der Grünen reflektiert. In einer "medizinischen Notlage, die mit schweren Leiden, insbesondere starken Schmerzen, verbunden ist", sollen es zwar Mediziner sein, die das Mittel verschreiben. Sie sind es auch, die sich - abgesichert durch eine zweiwöchige Wartefrist, Vier-Augen-Prinzip und Dokumentationspflicht - vom freien Willen überzeugen und eine umfassende Beratung vornehmen sollen. Auf eine externe Beratung wird hier verzichtet.

Anders ist dies, wenn Leiden und Krankheit keine Rolle spielen. Hier sieht der Grünen-Entwurf zugelassene Beratungsstellen vor, am Ende soll eine Behörde über die Abgabe des Mittels entscheiden. Doch bei gesunden Suizidwilligen setzt der Entwurf dezidiert auf das Leben. Mindestens zwei Beratungen sind nötig, heißt es dort. Und: "Das Beratungsgespräch hat vom Grundwert jedes Menschenlebens auszugehen."

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