Sterbehilfe:Suche nach dem guten Tod

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Strenges Verbot oder kontrollierte Freigabe? Der Bundestag debattiert über die Sterbehilfe. Schon die Diskussion zeigt heilsame Wirkung.

Kommentar von Matthias Drobinski

Manchmal betrifft eine Debatte nur vergleichsweise wenige Menschen, und doch behandelt sie Grundsätzliches. Man hätte zum Beispiel auch die Pflegeversicherung zum Anlass nehmen können, um übers Sterben und den Tod zu reden. Sie betrifft Millionen Bürger, es geht um Milliarden Euro, auch sie spiegelt das Verhältnis einer Gesellschaft zur letzten Phase des Lebens. Einen assistierten Suizid streben nur wenige tausend Menschen an. Und dennoch ist die Frage, wer wem wann beim Sterben helfen darf, zur großen Debatte über den guten Tod im Zeitalter der Intensivmedizin geworden.

An diesem Donnerstag berät der Deutsche Bundestag in erster Lesung vier Gesetzentwürfe, die den assistierten Suizid regeln sollen, sie reichen vom strengen Verbot bis zur kontrollierten Freigabe. Wahrscheinlich wird jener Entwurf die meisten Stimmen erhalten, der die organisierte Beihilfe verbietet, die Hilfe im Einzelfall aber straffrei lässt. Kommt das Gesetz, dürfte die juristische Debatte vorerst zu Ende sein.

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Von Benjamin Dürr

Der Tod ist kein Tabuthema mehr in Deutschland

Die politische und gesellschaftliche aber wird erst beginnen. Der Tod ist kein Tabuthema mehr in Deutschland, dazu hat auch diese Sterbehilfedebatte beigetragen. Schon Ende 2012 hatte die ARD-Themenwoche "Leben mit dem Tod" hohe Einschaltquoten. Die angekündigten Suizide des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf oder des ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter fanden großes Verständnis: Der selbstgewählte Tod erscheint nicht mehr als Sünde oder Ausdruck des Seelenkranken, sondern als heroischer, letzter Akt des autonomen Menschen - so sehr, dass sich viele Therapeuten Sorgen machen.

Die Bundestagsabgeordneten wiederum debattierten bereits im vergangenen Jahr so ernsthaft und tiefgründig, wie mit dem Wunsch nach Hilfe zum Sterben umzugehen sei, dass man sich wünschte, es würde häufiger solche Debatten geben.

Der Tod ist unfassbar für die Menschen, die ultimative Kränkung seines Lebenswillens. Zu allen Zeiten haben deshalb die Menschen Vorstellungen vom guten Sterben entwickelt, um die Angst zu lindern, dem Ende einen Sinn zu geben. Sie haben den Tod als höhnisch grinsenden Sensenmann beschrieben und als guten Freund, sie haben ihn in furchtbarer Weise zum großen Unterscheider zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben gemacht. Hinter der aktuellen Sterbehilfedebatte steckt auch die Suche nach neuen Leitbildern vom guten Tod.

Die Intensivmedizin hat die Grenzen zwischen Leben und Tod unscharf werden lassen. Sie hat das Sterben nach hinten geschoben und schmerzarm gemacht wie nie - und ist doch in die Sackgasse geraten. Die Angst vor dem schrecklichen Sterben als vereinsamtes Objekt ist die Folge.

In der Debatte um den assistierten Suizid stehen die beiden Optionen gegeneinander, wie darauf zu reagieren ist: Wer für die Freigabe ist, geht davon aus, dass hier dem Menschen die Autonomie zurückgegeben werden muss, über den eigenen Tod zu entscheiden. Wer dagegen ist, fürchtet, dass damit eine abschüssige Bahn beschritten ist, an deren Ende Menschen sich zum Tod gedrängt fühlen, um ihren Angehörigen und der Gemeinschaft nicht mehr zur Last zu fallen.

Das Gesetzgebungsverfahren zum assistierten Suizid wäre eine gute Gelegenheit für beide Seiten, über die Grenzen ihrer Argumente nachzudenken. Die Gegner der Sterbehilfe müssten zugeben, dass sie manchmal ein arg geschöntes Bild vom Tod zeichnen, schmerzfrei, im Kreis der Lieben, lebenssatt. Der Tod kann aber tatsächlich so elend sein, dass man sich den Tod wünscht.

Es braucht Politiker, die sich in die Verteilungskämpfe werfen

Doch auch die Befürworter eine Freigabe sollten sich selbstkritische Fragen stellen: Muss der Verlust von Autonomie auch den Verlust von Würde bedeuten? Wird alles gut, wenn einer einen Giftbecher hinstellt und sagt: Trink? Es hat auch der Druck etwas Würdeloses, nach Hochzeit, Kindergeburtstagen, der Karriere und dem Ruhestand auch noch den eigenen Tod designen zu müssen.

Der Tod ist kein Tabu mehr, das ist gut - nun braucht die Debatte Zweifler, die wissen, dass kein Gesetz die Grauzonen beseitigen kann, die da entstanden sind, die um die Grenzen der eigenen Argumente wissen. Sie braucht Entschlossene, die darauf drängen, dass in einer alternden Gesellschaft genügend Geld da ist für Hospize und Palliativstationen in den Krankenhäusern und für Pflegeheime, die zunehmend zu Sterbeheimen werden.

Es braucht Politiker, die sich in die anstehenden Verteilungskämpfe werfen, um der Würde auch des sterbenden Menschen willen. Wenn das an diesem Donnerstag im Bundestag zu sehen wäre, könnte man wieder einmal stolz sein auf dieses Parlament.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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