Sterbehilfe in Australien:Recht und Realität

Australien gilt als Vorreiter in der Debatte um Euthanasie: Als erstes Land weltweit hat es 1996 Sterbehilfe erlaubt - und diese acht Monate später wieder verboten. Die Diskussion aber hält an.

Varinia Bernau

14 Stunden dauerte die Diskussion im Provinzparlament des Nordterritoriums, einem von acht australischen Bundesstaaten. Am Ende war, mit 15 zu zehn Stimmen, ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Mitte der neunziger Jahre weit über die Grenzen des Landes für Aufsehen sorgte: Es erlaubte Ärzten weltweit zum ersten Mal, schwerkranke Patienten auf deren Verlangen zu töten.

In Deutschland hat der Bundesrat heute über ein neues Gesetz zum Verbot der Sterbehilfe beraten. Australien hat die Debatte, die hierzulande so heftig geführt wird, bereits vor einigen Jahren bewegt: Das Land gilt international als Vorreiter in der Diskussion über Euthanasie. Juristen führen das unter anderem darauf zurück, dass es dort eine individualistische Betonung des Selbstbestimmungsrechts gebe.

Debatte neu entflammt

Die Legalisierung der Sterbehilfe im Norden Australiens knüpfte der Gesetzgeber an zwei Bedingungen: Zwei Mediziner mussten unabhängig voneinander feststellen, dass keine Heilungschancen bestanden. Und es galt eine Wartezeit von zwei Wochen, die es dem Patienten ermöglichen sollte, seine Entscheidung noch einmal zu bedenken.

Am 1. Juli 1996 trat die Regelung inkraft. Kritiker befürchteten damals, dass Darwin im Norden Australiens zur "Selbstmord-Hauptstadt der Welt" werden würde. Doch schon acht Monate später wurde das Gesetz vom australischen Senat gekippt.

Die Diskussion über Euthanasie hingegen hielt an: Jetzt debattiert das Land wieder einmal über eine Aufhebung des Verbots, nachdem im vergangenen Monat zwei Frauen in Sydney wegen Beihilfe zum Selbstmord schuldig gesprochen wurden. Die Grünen haben erst kürzlich deutlich gemacht, dass sie eine erneute Zulassung der Sterbehilfe im Nordterritorium unterstützen würden. Bereits ein Jahr nach der Aufhebung des Gesetzes hatten die Demokraten einen Vorstoß zur Liberalisierung der Rechtslage unternommen.

Geständnisse von Ärzten

Die rechtlichen Regelungen sind die eine, die Praxis eine oftmals andere Seite: Im Zuge der Legalisierung der Euthanasie im Norden Australiens gaben mehrere Mediziner Mitte der neunziger Jahre zu, bei unheilbar kranken Patienten den Tod mittels Medikamenten herbeigeführt zu haben - darunter der ehemalige Gesundheitsminister, Peter Baume, und der Präsident der Ärztevereinigung. In anonymen Befragungen berichtete beinahe ein Fünftel der Pfleger, mindestens einmal einen Menschen absichtlich getötet zu haben.

In den acht Monaten, in denen das Sterbehilfe-Gesetz gültig war, haben sich vier Menschen das Leben genommen - mit Hilfe eines Arztes und eines von Philip Nitschke entwickelten Computers: Auf dem Bildschirm erschienen zunächst Informationen zu der Sterbeprodzedur und dann der Hinweis: "Wenn Sie 'Ja' drücken, erhalten sie innerhalb der nächsten 30 Sekunden eine tödliche Injektion, und Sie werden sterben. Wollen Sie weitermachen?" Bei Bestätigung pumpte eine angeschlossene Maschine Gift in die Venen.

Plastiktüten und Giftgas

Der Arzt Nitschke ist einer der bekanntesten australischen Befürworter des Rechts auf Selbsttötung. Nachdem das Gesetz gekippt worden war, eröffnete er angeblich ein Netzwerk von Euthanasie-Kliniken im Untergrund. Mit reißfesten Plastiktüten, die sich Todeswillige über den Kopf stülpen sollten, so genannten Exit-Bags, und Kohlenmonoxid, das sich Lebensmüde über einen Schlauch und eine Gesichtsmaske selbst zuführen konnten, trat er immer wieder in die Öffentlichkeit.

Auch ein Werbespot tauchte vor neun Jahren auf, in dem eine krebskranke Frau das Recht forderte, ihrem Leiden mit Hilfe von Ärzten ein Ende zu bereiten. Die 59-jährige Mutter von vier Kindern musste ihren Worten zufolge pro Tag etwa 20 Tabletten einnehmen, darunter auch das starke Schmerzmittel Morphium.

Der Film stieß vor allem bei Kirchenvetretern auf heftige Kritik. Doch auch Muslime melden sich als Gegner der Sterbehilfe immer wieder zu Wort - sowie Ärzte. Die Aborigines halten Euthanasie für eine von Weißen ausgeheckte Methode, sich der schwarzen Bevölkerung zu entledigen.

Die australische Regierung hat nach ihrer liberalen Haltung in den neunziger Jahren inzwischen einen rigiden Kurs eingeschlagen - und sucht nun sogar, die Debatte um Euthanasie einzudämmen. Im Januar 2006 erließ der Senat ein Gesetz, wonach mit Bußgeldern von umgerechnet bis zu 62.000 Euro bestraft wird, wer per Internet, Telefon oder Fax Informationen über Methoden des Selbstmordes verbreitet oder diese diskutiert.

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