Süddeutsche Zeitung

Sterbehilfe:Graubereich am Lebensende

Viele Mediziner und Pflegekräfte sind unsicher, welche Beihilfe zum Suizid schwerst kranker Patienten erlaubt ist. Womöglich muss sich der Gesetzgeber nochmals an das heikle Thema wagen.

Von Kim Björn Becker

Wenn das Leben eines Patienten zu Ende geht, finden sich Mediziner mitunter in einem juristischen Graubereich wieder. Viele Ärzte, und auch Pfleger, sind sich unsicher, wann sie sich bei der Begleitung sterbenskranker Patienten strafbar machen. Das geht aus einer Umfrage des Palliativmediziners Michael Zenz hervor, der lange an der Ruhr-Universität Bochum als Professor gelehrt hat. Die Ärzte-Zeitung hatte zuerst über die Studie berichtet. Demnach gaben knapp die Hälfte (49 Prozent) der knapp 140 befragten Ärzte an, dass für sie nicht klar aus dem Gesetz hervorgehe, welche Art der Suizidbeihilfe erlaubt ist. Noch etwas größer ist die Unsicherheit bei den Pflegekräften. Für die Studie wurden rund 320 von ihnen befragt, mehr als die Hälfte (57 Prozent) zeigte sich ebenfalls skeptisch bei der Frage, was nach geltendem Recht möglich ist.

Im Herbst 2015 hatte der Bundestag die Sterbehilfe gesetzlich neu geregelt. Ziel war es, dass die Beihilfe beim Suizid nur noch ganz vereinzelt möglich sein sollte - zum Beispiel, indem der Arzt seinem schwerkranken Patienten im Ausnahmefall ein tödlich wirkendes Medikament verschreibt, das dieser dann aber selbst einnimmt.

Vor allem wollte der Gesetzgeber den umstrittenen Sterbehilfe-Vereinen die Arbeitsgrundlage entziehen und auch verhindern, dass einzelne Ärzte sich stattdessen gezielt und regelmäßig als Suizidhelfer betätigen. Zu diesem Zweck wurde ein neuer Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Seitdem muss bis zu drei Jahre ins Gefängnis, wer anderen Menschen "geschäftsmäßig" beim Suizid assistiert - der Begriff geschäftsmäßig wird hierbei als eine Tätigkeit verstanden, die auf Wiederholung angelegt ist.

Schon vor Jahren gab es die Befürchtung, dass Ärzte leicht kriminalisiert werden könnten

Gegner der Reform, die unter Ausschluss der sonst üblichen Fraktionsdisziplin im Bundestag zustande gekommen war, hatten unter anderem eine unzureichende Schärfe des Gesetzestextes kritisiert. Sie hatten außerdem davor gewarnt, dass die Neuregelung bei Ärzten und Pflegern zu Verwirrung führen und diese unter Umständen leicht kriminalisieren könne. Die Bochumer Umfrage scheint diese Sorge nun in Teilen zu bestätigen. Allerdings können die befragten Ärzte und Pflegekräfte der Reform auch etwas Gutes abgewinnen. So sehen sich fast zwei Drittel der befragten Ärzte durch das Gesetz nicht in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt. Nur etwa jeder achte Arzt fühlt sich beeinträchtigt. Eine relative Mehrheit der Ärzte hält das Gesetz denn auch insgesamt für sinnvoll.

Gespalten sind die Mediziner wiederum bei der Frage, ob die Reform die Rechtssicherheit gestärkt habe - knapp 37 Prozent sehen das so, etwa 28 Prozent verneinen dies. Die Autoren der Studie werten die Ergebnisse als eine "große Verunsicherung" unter den Medizinern und Pflegekräften und verlangen von der Politik Nachbesserungen.

Womöglich muss sich der Gesetzgeber bald noch einmal an das heikle Thema wagen

Es ist durchaus möglich, dass der Gesetzgeber sich demnächst noch einmal mit dieser heiklen Materie beschäftigen muss - nämlich dann, wenn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu dem Schluss kommt, dass das Gesetz vom Herbst 2015 problematisch ist. In Karlsruhe sind mehr als ein Dutzend Verfassungsbeschwerden gegen das "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" anhängig - unter anderem von Sterbehilfe-Vereinen, Medizinern und Schwerkranken. Die Richter wollen dem Vernehmen nach noch in diesem Jahr darüber entscheiden.

Kürzlich hatte zudem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geurteilt, dass Schwerkranke "in extremen Ausnahmesituationen" einen Anspruch auf entsprechende Medikamente haben, die ihnen einen Suizid ermöglichen. Das Urteil vom März dieses Jahres richtete sich gegen eine im Jahr 2004 getroffene Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dieses hatte einer gelähmten Frau die Erlaubnis verwehrt, eine tödliche Menge des Mittels Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Sie nahm sich ein Jahr später in der Schweiz das Leben, mit Unterstützung eines Sterbehilfe-Vereins. Ihr Witwer strengte daraufhin eine gerichtliche Klärung an, dass die Entscheidung der Bonner Behörde nicht rechtmäßig war.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2017
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