Debatte um Sterbehilfe:"Das müssen wir uns zumuten"

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Zum Thema Sterbehilfe gab es im Bundestag eine erste Orientierungsdebatte. (Foto: Werner Krueper/epd)

Wann soll Hilfe beim Suizid künftig erlaubt sein? Der Bundestag muss die Frage nach einem Urteil des Verfassungsgerichts neu regeln.

Von Nina von Hardenberg, München

Moralisch, ja religiös oder ethisch möge man Hilfe beim Suizid für falsch halten, sagt der SPD-Abgeordnete Helge Lindh. Das Verfassungsgerichts aber habe sie nun mal für zulässig erklärt, der Gesetzgeber müsse sie jetzt auch ermöglichen. "Das müssen wir uns zumuten", sagt Lindh - und fasst damit den Tenor der Orientierungsdebatte zusammen. Der Bundestag diskutiert mal wieder über Sterbehilfe, weil er muss.

Viele im Saal kennen das bereits. Große Sterbehilfedebatten hat der Bundestag auch 2014 und 2015 erlebt, sie klangen aber ein bisschen anders. Denn damals wollte eine Mehrheit der Abgeordneten die Suizidhilfe verbieten; wollte vor allem die Arbeit von Vereinen wie Dignitas unterbinden, denen man unterstellte, mit dem Tod Geschäfte zu machen. Der Gesetzgeber sei "aufgerufen, den Missbrauch zu stoppen", sagte damals etwa der CDU-Abgeordnete Michael Brand. Es gehe um den Schutz von Menschen vor "gefährlichem Druck, durch gefährliche Angebote zur Suizidbeihilfe".

Von gefährlichen Angeboten der Suizidhilfe ist in der Debatte an diesem Mittwoch weniger die Rede. Kein Wunder: Das Bundesverfassungsgericht fegte 2020 das 2015 beschlossene Sterbehilfeverbot hinweg. Suizid sei ein Grundrecht, beschied es. Und auch die Hilfe beim Suizid darum ausdrücklich erlaubt. Vereine wie Dignitas nahmen ihre Arbeit wieder auf. Wer, wie etwa die Grünen-Politikerin Renate Künast damals schon für eine liberalere Regelung stritt, mag sich nun bestätigt sehen.

"Wir könnten die Situation jetzt einfach so lassen", betont Künast denn auch. Der alte Paragraf 217 sei nichtig. Sterbehilfe werde wieder angeboten. Sie will es aber nicht so lassen, wie sie gleich nachschiebt. Sie wolle jetzt schon wissen, was da für Mittel verschrieben würden und an wen.

Es gibt auch Stimmen gegen eine Liberalisierung

Künast hat deshalb gemeinsam mit Parteifreundin Katja Keul einen Gesetzesentwurf "zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" geschrieben. Er sieht zwei Wege vor. Schwerkranke Menschen in existentieller Not, "sagen wir akuter Luftnot", erklärt Künast, soll ihr behandelnder Arzt ein tödliches Mittel verschreiben dürfen. Kontrollieren soll das nur ein weiterer Mediziner mit einer Wartefrist von zwei Wochen. Will jemand aus einem anderen Grund sterben, sollen hingegen höhere Auflagen gelten.

Ähnlich liberal ist auch der Vorschlag den SPD-Mann Lindh unterstützt, Zumutung hin oder her. Er sieht vor, dass Sterbewillige zunächst mit einer Beratungsstelle und später mit einem Arzt sprechen sollen, bevor sie dann ein tödliches Medikament erhalten. Eingebracht wurde er bereits in der vergangenen Legislaturperiode unter anderen von Katrin Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte von den Linken.

Sind also die liberal eingestellten Abgeordneten diesmal in der Mehrheit? Das lässt sich in dieser ersten Debatte kaum abschätzen. Die Findungsphase hat gerade erst begonnen. Und es gibt auch mahnende Stimmen. Emotional berichtet etwa der CDU-Abgeordnete Marc Biadacz von seinem Vater, der an Darmkrebs erkrankte, als Biadacz selbst gerade erst 25 Jahre alt war. Der Vater habe zwischenzeitlich kaum ertragbare Schmerzen gehabt. Vielleicht habe er auch manchmal gedacht, er könne das Leid "sich und auch uns ersparen" - aber eben nicht immer: "Es gibt nicht nur Schatten und Licht", sagt er. Und wirbt für einen dritten, deutlich strengeren Gruppenantrag. Der assistierte Suizid soll nach dem Willen dieser Abgeordnetengruppe, zu der SPD-Politiker Lars Castellucci, sowie Benjamin Strasser (FDP) und Ansgar Heveling hören (CDU) gehören, grundsätzlich strafbar bleiben. Ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch würden aber weitgehende Ausnahmen gelten. Der Sterbewillige müsse hierfür etwa in mehreren Arztgesprächen nachweisen, dass er nicht psychisch krank sei - und nicht unter Druck gesetzt werde.

Für diesen strengeren Antrag warb auch die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther, noch wichtiger seien ihr aber Hilfen für die Menschen, die jedes Jahr einen nicht freiverantwortlichen Suizid begehen, etwa aus einer akuten Depression heraus. 9000 sind das jedes Jahr. Dignitas, die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben und der Verein Sterbehilfe begleiteten im vergangenen Jahr insgesamt 346 Suizide. Im kommenden Jahr dürften es mehr werden, da sich die neue Gesetzeslage erst langsam rumspricht. Trotzdem: "Entscheiden wir, dass wir die Prävention an erste Stelle stellen", bat Kappert-Gonther, die als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie selbst viele Menschen in suizidalen Krisen begleitet hat. Es brauche Nummern von Hilfstelefonen buchstäblich an jeder Brücke. Eine Gesellschaft, in der es schwierig ist, an gute Pflege und Therapieplätze zu kommen, es aber an jeder Ecke ein Angebot für Suizid gäbe, "wäre für mich ein Horrorszenario", so Kappert Gonther. Deshalb bringe ihre Gruppe parallel auch ein Suizidpräventionsgesetz ein.

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