Fall Lübcke:Stephan E. ist ein Wolf unter vielen

Die rassistischen Kämpfer von heute brauchen weder einen Anführer noch wortreiche Bekennerschreiben. Das macht ihren Terror umso gefährlicher.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Stephan E. hat gestanden, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke getötet zu haben. Natürlich werden nun Beschwichtigungen kommen, der Mann sei doch ganz allein gewesen, er sei nicht in eine Struktur eingebunden, sicher sei er auch minderbemittelt. Doch selbst wenn Stephan E. tatsächlich jahrelang keinen Kontakt mehr mit anderen Rechtsradikalen gehabt hätte - beruhigen darf das niemanden. Denn Stephan E. ähnelt sehr einem Prototyp des Täters, der als einsamer Wolf beschrieben wird. Doch einsam ist dieser Mann nur auf den ersten Blick - innerlich wird er getragen von einer Gesinnung, die er mit anderen Wölfen teilt.

Es gibt eine Gebrauchsanleitung zum Rassenkrieg, die in rechtsextremen Kreisen seit Jahren der Renner ist. Das Buch heißt "Die Turner-Tagebücher" (Turner Diaries) und beschreibt, wie amerikanische Rassisten Anschläge auf Moscheen, Polizeistationen, Gemeindezentren begehen, um dadurch einen Krieg der Rassen zu entfesseln: die weiße Rasse gegen alle anderen, also gegen jene, die von den selbsternannten Herrenmenschen als minderwertig betrachtet werden: Afrikaner, Asiaten, Araber. Durch diese Anschläge, zu denen sich niemand bekennt, die aber höchste Wut und Trauer auslösen, würden Gegenschläge der Betroffenen hervorgerufen, dann werde es zum "Endkampf" kommen - und zum "Endsieg", heißt es in dem Buch. Am Ende übernähmen die Weißen die Weltherrschaft. Wer sich da an Idee und Terminologie des NS-Staates erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Auch der Größenwahn ist ähnlich ausgeprägt.

Doch nicht die Phantasien dieser Rechtsextremen sind so interessant, es ist die Beschreibung ihrer Strategie - denn man kann einiges von dem, was in dem Buch propagiert wird, bei rechtsradikalen Anschlägen in Europa wiedererkennen. Auch in Deutschland. Schon der NSU hat sich daran orientiert - und auch jetzt beim Mord an Walter Lübcke wird man wieder daran erinnert. Als einsame Wölfe sollen die rechtsradikalen Kämpfer losschlagen, sie sollen dort ansetzen, wo sie können. Jeder an dem Platz, wo er steht, jeder mit den Mitteln, die er hat. Es braucht keinen Anführer mehr. Sie erkennen sich an ihren Taten - Taten statt Worte, so hatte es schon der NSU geschrieben. Die Gesinnungsgemeinschaft ersetzt jetzt die Volksgemeinschaft .

Diese rassistischen Kämpfer brauchen auch nicht mehr wortreiche Bekennerschreiben, wie sie einst die linke RAF formuliert hat, sondern sie handeln aus dem Hinterhalt, ohne zu erklären - um größtmögliche Unsicherheit zu schaffen, um den Schrecken, den Ursprung des Wortes "Terror", überall zu verbreiten. Das erste Attentat, das nach dieser Methode verübt wurde, war der Bombenanschlag von Timothy McVeigh in Oklahoma City im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen umkamen. Auch dort gab es nur Terror, kein Bekenntnis. Die "Turner-Tagebücher" wurden auch in der gewaltbereiten Szene rund um den NSU intensiv gelesen. Sie fanden sich auf den Computern mehrerer Angeklagter im NSU-Prozess. Es war sozusagen der praktische Ratgeber im rechten Kampf.

Beate Zschäpe plauschte mit ihren Nachbarn, ihre beiden mörderischen Männer legten die Bomberjacken ab und tarnten sich als Leute, die Autos überführten. Auch Stephan E. war nach seinen wilden Jahren in der rechten Szene in die Kleinbürgerlichkeit abgetaucht - mit Frau, zwei Kindern, Reihenhaus und einem Job. Die Nachbarn fanden ihn freundlich. Aber auch Neonazis mähen ihren Rasen. Oder hängen wie Beate Zschäpe immer brav die Wäsche in den Garten hinterm Haus. Das hindert sie nicht, Morde zu planen und Terror zu säen. Stephan E. hat nun gestanden - aber erleichtert darüber, dass der Täter gefasst ist, sollte niemand sein.

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Abgeordnete: Stephan E. soll Mord an Lübcke gestanden haben

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Stephan E. gesteht den Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke und behauptet, alleine gehandelt zu haben. Doch selbst wenn er tatsächlich jahrelang keinen Kontakt mehr mit anderen Rechtsradikalen gehabt hätte - beruhigen darf das niemanden, kommentiert SZ-Autorin Annette Ramelsberger.

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