Süddeutsche Zeitung

Weihnachtsansprache:Steinmeier wünscht sich Bürger mit "Zuversicht und Tatkraft"

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Der Bundespräsident appelliert in seiner Weihnachtsansprache an die Verantwortung des Einzelnen für die Demokratie. Das erfordere auch Respekt vor anderen - und eine ordentliche Streitkultur.

Von Nico Fried, Berlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert in seiner diesjährigen Weihnachtsansprache an die Verantwortung jedes Einzelnen für das demokratische Gemeinwesen. "Sie alle haben ein Stück Deutschland in der Hand", sagt Steinmeier laut vorab verbreitetem Redetext in der Ansprache, die am ersten Weihnachtsfeiertag ausgestrahlt wird. "Wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Mit gleichen Rechten und Pflichten. Bürger erster oder zweiter Klasse gibt es nicht", so Steinmeier.

Der Bundespräsident würdigt in seiner Ansprache die ausgeprägte Diskussionsbereitschaft. Nach seinem Eindruck sei "in diesem Jahr - landauf, landab - mehr miteinander gesprochen" worden, "auch mehr miteinander gestritten". Es seien "sehr politische Zeiten". Mit Blick auf jüngste Debatten, ob bestimmte Themen nicht mehr angesprochen, bestimmte Haltungen nicht mehr geäußert werden dürften, sagte Steinmeier: "Von zu wenig Meinungsfreiheit kann in meinen Augen nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: so viel Streit war lange nicht." Es stelle sich aber die Frage: "Was machen wir jetzt mit all diesem Streit? Wie wird aus Reibung wieder Respekt? Wie wird aus Dauerempörung eine ordentliche Streitkultur? Wie wird aus Gegensätzen Zusammenhalt?"

Der Bundespräsident erinnert in seiner Ansprache an den Anschlag in Halle, bei dem am 9. Oktober ein Rechtsextremist am jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht hatte, eine Synagoge zu stürmen und möglichst viele Gläubige zu ermorden. Bereits vor der Synagoge fielen dem Attentäter zwei Menschen zum Opfer.

Ihm habe sich besonders das Bild der Tür zur Synagoge eingeprägt, sagt Steinmeier, der den Tatort seinerzeit besucht hat. "Eine mächtige, dicke Tür aus Holz und Eisen. Zwanzig Schüsse hat sie abbekommen. Zerborstenes Holz und Reste von Blei in den Einschusslöchern sind heute zu sehen", erinnert sich der Bundespräsident. Diese Tür stehe in seinen Augen auch für die Gesellschaft: "Sind wir stark und wehrhaft? Stehen wir genügend beieinander und fest zueinander?", so der Bundespräsident.

Steinmeier tritt von sich aus der möglichen Erwartung entgegen, "dass der Bundespräsident in einer Weihnachtsansprache auf all diese Fragen eine salbungsvolle Antwort gibt". Die Wahrheit sei jedoch: "Das kann der Bundespräsident nicht. Er kann es vor allen Dingen nicht allein. Denn die Antwort geben Sie. Sie alle." Diese Antworten zeigten sich im täglichen Leben, wenn Menschen gegen Pöbeleien, Beleidigungen oder rassistische Sprüche verteidigt würden. "Sie haben Ihre Stimme im Netz und auch in den Sozialen Medien", so Steinmeier. "Sie entscheiden, ob die krassesten und lautesten Parolen mit immer neuen Klicks belohnt werden oder ob Sie auf Fakten, Vernunft und bessere Argumente setzen."

Es seien zudem viele Bürger, die im Alltag das Gemeinwesen am Laufen erhielten. "Sie packen an: ob in der Nachbarschaft oder im Verein, ob im Ehrenamt oder im Hauptamt." Dies gelte nicht zuletzt an Weihnachten. "Tausende, Zehntausende auf den Polizeiwachen, in Krankenhäusern oder in Pflegeheimen."

Alle Bürgerinnen und Bürger seien Teil der Demokratie, betonte Steinmeier. "Indem Sie wählen gehen, indem Sie sich politisch einmischen - auf einer Straßendemo oder in einer Partei oder in einem Gemeinderat, wo an vielen Orten heute so dringend Nachwuchs gesucht wird." Was die Menschen verbinde, sei jedoch keine Garantie. Es sei vielmehr "Versprechen und Erwartung, Privileg und Zumutung". Im Grundgesetz stehe nicht: "Alles Gute kommt von oben." Dort stehe: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Was die Demokratie brauche, seien "selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger - mit Zuversicht und Tatkraft, mit Vernunft, Anstand und Solidarität".

Die Weihnachtsansprache ist am 25. Dezember unter anderem in ARD und ZDF jeweils nach den Hauptnachrichtensendungen zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2019
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