Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist am Mittwoch zu einem Besuch in der tschechischen Hauptstadt Prag eingetroffen - und zwar mit dem Zug. Eine Premiere. Für den Bundespräsidenten ist es üblich, mit dem Flugzeug ins Ausland zu reisen - und seien es nur 350 Kilometer. Keine andere europäische Hauptstadt liegt Berlin näher als Prag - und diese räumliche Nähe will Steinmeier mit seiner Zugreise würdigen. Noch dauert die Fahrt von Berlin durchs Elbtal nach Prag gemütliche viereinhalb Stunden, die Strecke wird aber ausgebaut, sodass die Reise irgendwann nach 2030 nur noch zweieinhalb Stunden dauert.
Auf der Hinfahrt unterhielt sich Steinmeier mit deutschen und tschechischen Bahnpendlern, die stark unter den Einreisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie gelitten hatten. Manche hatten ihre Jobs aufgegeben, waren gekündigt worden oder für Wochen und Monate für ihre Arbeitgeber ins andere Land gezogen, getrennt von ihren Familien. "Ein Schock" sei die Grenzschließung für ihn gewesen, sagte ihm einer der Tschechen. Man habe sich an die offenen Grenzen gewöhnt.
Alle Nachrichten im Überblick:SZ am Morgen & Abend Newsletter
Alle Meldungen zur aktuellen Situation in der Ukraine und weltweit - im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Nachrichten-Newsletter bringt Sie zweimal täglich auf den neuesten Stand. Hier kostenlos anmelden.
Doch die Beziehungen der Länder sind eng, das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Steinmeier gleich drei Tage in Tschechien bleibt. Nur wegen der Pandemie habe er seinen zweiten Besuch seit seinem Amtsantritt so lange hinausgeschoben, sagte er vor der Abfahrt. Steinmeier wird auch der erste amtierende Bundespräsident sein, der in Prag an einem Mahnmal der Widerstandskämpfer gedenkt, die 1942 den Nationalsozialisten Reinhard Heydrich ermordeten. In Reaktion auf das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Böhmens und Mährens hatten die Nazis Tausende Menschen brutal ermordet.
Auch wenn die Reise von beiden Seiten gewünscht und lange geplant war, auf einfache Gesprächspartner trifft Steinmeier in Prag nicht. Der tschechische Präsident Miloš Zeman gilt als ausgewiesener Freund Russlands und Chinas, hetzt und ätzt gern in seinem Lieblings-TV-Sender oder in der Boulevardpresse gegen Flüchtlinge, Roma oder Homosexuelle und spaltet die öffentliche Meinung.
Eigene afghanische Ortskräfte hat Tschechien aufgenommen
Manchen ist er so peinlich, dass sie ihre Überzeugung mittels Aufklebern auf Autos oder gar Kneipentüren kundtun: "Ich schäme mich für Miloš Zeman", ist da zu lesen. Bei allen Kundgebungen gegen Premier und Millionär Andrej Babiš, der wegen seiner Unternehmen laut EU in einem Interessenkonflikt steckt, wurde in den vergangenen Jahren stets auch gegen den Präsidenten protestiert. Selbst Abgeordnete gingen wiederholt gegen Zeman vor, der sich gern in Parlamentsangelegenheiten einmischt und seine Befugnisse überschreitet. So verkündete er, er werde nach der Wahl Anfang Oktober keinen anderen Premier als Babiš ernennen.
Frank-Walter Steinmeier wird sowohl mit dem um seine Wiederwahl kämpfenden Premier als auch mit Zeman sprechen. Mit seinem gerade wiederholten Appell zur Solidarität mit Flüchtlingen wird er genauso wenig Gehör finden wie beim ersten Besuch vor vier Jahren. Auch eine neue Regierung ohne Babiš wird sich wahrscheinlich einer Verteilungsquote verschließen. Einige eigene afghanische Ortskräfte hat Tschechien aufgenommen, auch hier hat die Opposition heftig kritisiert, dass das alles zu spät passiert sei.
An ein anderes Flüchtlingsdrama erinnerte Steinmeier gleich bei seiner Ankunft in Prag - an das von den Nationalsozialisten verursachte. Der Brite Sir Nicholas Winton hatte 1939 die Rettung 669 jüdischer Kinder organisiert. Eine Statue an Gleis 1 sowie eine Installation unter den Gleisen erinnern am Prager Hauptbahnhof an den Abschied der Eltern von ihren Kindern. Jeder Zugreisende kommt zumindest an einem der Mahnmale vorbei. Nun auch der deutsche Bundespräsident.