Rede an die Nation:"Die Bilder des 24. Februar markieren das bittere Scheitern"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Rede in Schloss Bellevue

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in Schloss Bellevue.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bei seiner Ansprache spricht Bundespräsident Steinmeier lange über den "Epochenbruch", den der Krieg in der Ukraine bedeute. Wer frage, was die Menschen in Deutschland der Krieg angehe, der handle geschichtsvergessen.

Von Oliver Klasen

45 Minuten lang spricht das deutsche Staatsoberhaupt an diesem Freitag im Schloss Bellevue. Es soll eine große Rede werden. Mit Sätzen, an die man sich auch später noch erinnert, vielleicht so ähnlich wie 1997 die berühmte Ruck-Rede von Roman Herzog, die damals als Kritik am Reformstau in Deutschland gelesen wurde. Die Erwartungen an Steinmeier sind hoch. Seit fünfeinhalb Jahren ist er nun im Amt, aber die eine große Rede, das sagen jedenfalls seine Kritiker, war bisher nicht dabei.

"Alles stärken, was uns verbindet", das ist die Überschrift dessen, was Steinmeier sagen will. Im Schloss Bellevue anwesend sind Steinmeiers Vorgänger Christian Wulff und Joachim Gauck, außerdem CDU-Chef Friedrich Merz. Nicht zu den direkten Zuhörern zählen dagegen Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung.

Der Krieg in der Ukraine - ein "Epochenbruch"

Vor allem auf den Krieg in der Ukraine, so hieß es vorab, werde Steinmeier eingehen - und tatsächlich beginnt er seine Rede mit dem 24. Februar, dem Tag, an dem Russlands Präsident Wladimir Putin den Angriffskrieg begann. Jeder, der an diesem Tag aufgewacht sei, habe gewusst, "dass die Welt nun eine andere ist". Der 24. Februar markiere einen "Epochenbruch", ein Wort das Steinmeier zuvor schon öfter verwendet hatte. Aber dieses Datum markiere auch das "endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern".

Erst vor wenigen Tagen ist Steinmeier nach Kiew gereist und hat dort den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij getroffen. Er holte eine Reise nach, die im Frühjahr nicht zustande gekommen war, weil Steinmeier von der Regierung in Kiew kurzfristig unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen plötzlich wieder ausgeladen worden war.

Es war Steinmeier wohl wichtig, den Besuch in Kiew nun noch vor seiner Rede zu absolvieren, um glaubwürdiger sprechen zu können in dieser Angelegenheit. Denn an der deutschen Russland-Politik, die inzwischen von vielen als von Fehlern durchsetzt bewertet wird, war Steinmeier über Jahre hinweg maßgeblich beteiligt: als Kanzleramtsminister in der Regierung Schröder sowie später als Außenminister in der Regierung Merkel.

"Am 24. Februar hat Putin nicht nur Spielregeln geändert, sondern das ganze Schachbrett umgeworfen", sagt Steinmeier. Der russische Angriff auf die Ukraine sei "ein Angriff auf alle Lehren, die sich aus dem 20. Jahrhundert und den zwei Weltkriegen ergeben", sagt der Bundespräsident. Es sei ein Angriff, "auf alles, für das auch wir in Deutschland stehen". Wer frage, was die Menschen in Deutschland der Krieg angehe, der handele "geschichtsvergessen".

Auch in Zeiten des Gegenwindes, "bleiben wir, was wir sind", sagt Steinmeier. "Auch die Demokratie gehört zur kritischen Infrastruktur." Was die finanziellen Folgen des Krieges betrifft, so betont er, dass der Staat nicht jede Belastung werde auffangen können. "Beeindruckende Entlastungspakete" seien wichtig, "aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten". Am Ende sei entscheidend, sich "nicht weiter auseinander treiben zu lassen". Das Land müsse "alles stärken, was uns verbindet".

Die Klimakatastrophe gerate "zu sehr in den Hintergrund"

Auch wenn der Krieg die politische Tagesordnung verschoben habe, dürfe man den Kampf gegen den Klimawandel keinesfalls vernachlässigen. "Ich mache mir ehrlich gesagt Sorgen, dass diese Menschheitsaufgabe zu sehr in den Hintergrund gerät", sagt Steinmeier. Jeder einzelne könne seinen Beitrag dazu leisten, Emissionen zu verringern, aber diese "individuellen Anstrengungen" reichten am Ende nicht aus. Es sei der Umbau der gesamten Volkswirtschaft nötig und eines ökonomischen Modells, das Deutschland einst groß gemacht habe. "Wir treten ein in ein Zeitalter zunehmend ohne Kohle, Öl und Gas, in dem sich Deutschland neu beweisen muss und neu beweisen wird", sagt er.

Am Ende seiner Rede ruft Steinmeier zum gesellschaftlichen Zusammenhalt auf: "Aus den Herausforderungen kann neue Einheit erwachsen", sagt der Bundespräsident. "Lassen wir uns nicht entmutigen vom Gegenwind, der uns in dieser neuen Zeit entgegenweht. Es kommt nicht darauf an, dass alle dasselbe tun - aber dass wir eines gemeinsam im Sinn haben: Alles zu stärken, was uns verbindet. Das ist die Aufgabe. Tun wir's."

Anm. der Redaktion: In einer früheren Version haben wir Frank-Walter Steinmeier mit den Worten "Die Bilder des 24. Februar markieren das jahrelange Scheitern, auch mein Scheitern" zitiert. Das korrekte Zitat lautet: "Die Bilder des 24. Februar markierten das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusUkraine
:"Was wir hier sehen, ist Butscha mal drei, vier oder fünf"

Schlagen, foltern, vergewaltigen, töten: Russland soll in den besetzten Gebieten der Oblast Charkiw ein Netz aus 22 Lagern unterhalten haben. Hier sprechen Opfer über ihre dunkelsten Tage.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: