Steinmeier in Polen:Appell an den Nachbarn

Bundespräsident besucht Polen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Andrzej Duda, der polnische Staatspräsident, geben sich die Hand.

(Foto: dpa)
  • Auf seinem Besuch in Polen findet Frank-Walter Steinmeier mahnende Worte und fordert, die Demokratie und den Rechtsstaat zu achten.
  • Gleichzeitig wirbt er für ein gemeinsames Europa.
  • Auf dem Programm steht auch ein Frühstück mit Vertretern der Zivilgesellschaft in der Residenz des deutschen Botschafters: ein Programmpunkt, der sonst eher beim Besuch autoritär regierter Länder gewählt wird.

Von Florian Hassel, Warschau

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat für ein gemeinsames Europa geworben und Polen gleichzeitig ermahnt, Demokratie und Rechtsstaat zu achten. Der Bundespräsident sprach bei einem bis Mittwochmittag dauernden Warschaubesuch zur Eröffnung der Konferenz "Polen und Deutschland in Europa" anlässlich der 2018 zu feiernden Wiedererrichtung polnischer Unabhängigkeit im November 1918. Im Festsaal des Warschauer Königsschlosses pries Steinmeier zunächst die Gemeinsamkeit Polens und Deutschlands in der EU als ein "Wunder", das für Polen und Deutsche angesichts der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg lange unvorstellbar gewesen und nur durch "die aktive Bereitschaft Polens zur Versöhnung" möglich geworden sei.

Der Bundespräsident warb für ein gemeinsames Europa, das nötig sei, um wirtschaftlich und politisch handlungsfähig zu bleiben und international "überhaupt noch Einfluss nehmen" zu können, "weil wir in der Antwort auf neue globale Herausforderungen als einzelne Nationalstaaten mit Sicherheit überfordert sind". Ein gemeinsames Europa sei umso nötiger, weil "wir uns der Führungsmacht des Westens" - sprich: Washingtons - "nicht mehr immer ganz sicher sind" und gleichzeitig im Osten - sprich: Russland - "neuen und gefährlichen Spannungen ausgesetzt" seien. Allerdings, so Steinmeier, habe die Souveränität der EU nach außen "Voraussetzungen im Innern: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit". Zwar gestalte jede Nation ihre Demokratie und ihren Rechtsstaat innerhalb der europäischen Werte und Regeln selbst. "Aber wo die Grundregeln infrage stehen, sind alle anderen auch betroffen", sagte er.

Diese Regeln stehen in Polen durch mehrere die Unabhängigkeit der Justiz beseitigende Gesetze infrage. Die EU-Kommission will im Juni entscheiden, wie sie im Verfahren wegen der Bedrohung des Rechtsstaats in Polen weiter vorgeht. Polens Präsident Andrzej Duda kritisierte Brüssels Vorgehen: "Wenn die Institutionen der EU, anstatt zusammenzuarbeiten, bestrafen, anprangern und ausschließen wollen, ebnen sie denjenigen den Weg, die die EU zerstören wollen." Er verlangte eine EU-Reform mit vier Einheitskriterien: der Einheit des Rechts, der Institutionen und einem einheitlichen EU-Haushalt. Duda lehnte damit offenbar Pläne Brüssels ab, Ländern, die rechtsstaatliche Prinzipien nicht erfüllen, Fördermilliarden zu verweigern.

Auf dem Programm Steinmeiers standen auch Kranzniederlegungen an den Denkmälern des Warschauer Aufstands und des Aufstands im Warschauer Ghetto sowie ein Besuch im Museum der Geschichte der polnischen Juden. Bei seiner ersten Visite im Mai 2017 war das deutsch-polnische Verhältnis atmosphärisch stärker angespannt als heute: Die damalige Ministerpräsidentin Beata Szydło und der damalige Außenminister Witold Waszczykowski pflegten sowohl im Verhältnis zur EU wie zu Deutschland einen rhetorisch oft konfrontativen Kurs. Der Umgang ist seit dem Antritt von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und des neuen Außenministers Jacek Czaputowicz zwar höflicher geworden, doch in der Sache gleich geblieben. Steinmeiers Gastgeber, Präsident Duda, galt deutschen Diplomaten und Ministern bis hinauf zu Kanzlerin Angela Merkel lange als verbindlicher Gesprächspartner und mögliches Gegengewicht zur Regierung. Merkel soll 2017 versucht haben, Duda davon abzubringen, Gesetze zu unterschreiben, die die Unabhängigkeit von Richtern bedrohen - ohne Erfolg.

Auf dem Programm des Bundespräsidenten stand auch ein Frühstück mit Vertretern der Zivilgesellschaft in der Residenz des deutschen Botschafters: ein Programmpunkt, der sonst eher beim Besuch autoritär regierter Länder gewählt wird. Vor dem Steinmeier-Besuch forderten 120 polnische Bürgergruppen die EU in einem Appell an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag, gegen Polen unverzüglich vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Die EU solle gegen das Gesetz zum Status des Obersten Gerichts Polens klagen. Das Gesetz, das im April in Kraft trat, unterstellt das Gericht und seine Richter faktisch der Regierung in Gestalt des Justizministers-Generalstaatsanwalts.

Auch Präsident Duda spielt nun eine - Experten zufolge der in Polens Verfassung verankerten Unabhängigkeit der Richter - widersprechende Rolle: Nach einer Senkung des Rentenalters auch für bestehende Richter darf Duda künftig entscheiden, welche älteren Richter des Obersten Gerichts ihr Amt weiter ausüben dürfen. Bis zu 37 Prozent der obersten Richter können nun ausgetauscht werden - auch die gegen rechtswidrige Initiativen der Regierung auftretende Präsidentin des Obersten Gerichts, Małgorzata Gersdorf.

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