Gewalt gegen Kommunalpolitiker:"Ich hatte bisher 25 Morddrohungen gegen mich"

Bundespräsident Steinmeier besucht Zwickau

"Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt", sagt Frank-Walter Steinmeier in Zwickau.

(Foto: dpa)

Vielen Lokalpolitikern schlägt Hass entgegen. Bundespräsident Steinmeier hat sich jetzt mit einigen von ihnen getroffen - und begegnet Menschen, die sich wie Freiwild fühlen.

Von Antonie Rietzschel, Zwickau

Pia Findeiß ist seit zwölf Jahren Oberbürgermeisterin in der sächsischen Stadt Zwickau, und fragt man sie, wie leicht oder wie schwer es ihr derzeit fällt, dieses Amt auszufüllen, antwortet sie: "Es ist eine schöne Aufgabe. Die Verbundenheit mit dieser Stadt gibt Kraft." Die SPD-Politikerin hat in den vergangenen Jahren viel Kraft gebraucht, angesichts der Drohungen und Verleumdungen gegen sie. Es gab Menschen, die in den sozialen Medien behaupteten, die Bürgermeisterin beherberge IS-Terroristen. Einmal durchschlug ein Stein ein Fenster ihres Hauses.

Viel Kraft brauchen auch die Menschen, die sich an diesem Vormittag im Bürgersaal des Rathauses versammelt haben: Stadt-, Gemeinde- und Landräte, ehrenamtliche Bürgermeister, Vertreter der Zivilgesellschaft. Sie kommen aus Zwickau - aber auch aus München, aus Heidelberg oder Köln. Sie sprechen an diesem Tag über sich als "Freiwild", als "Fußabtreter".

Attackiert

Nahezu zwei Drittel der deutschen Bürgermeister sind einer Umfrage zufolge in ihrem Amt bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder angegriffen worden. 64 Prozent der befragten Bürgermeister berichteten von solchen Attacken, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Erhebung der Zeitschrift Kommunal im Auftrag des ARD-Politikmagazins "Report München" hervorgeht. Jeder zweite erklärte, schon mehrmals angegangen worden zu sein. Neun Prozent der Befragten berichteten von körperlichen Angriffen - etwa bespuckt oder geschlagen worden zu sein. In Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern gaben acht Prozent dies an, in mittelgroßen Städten 14 Prozent und in Großstädten knapp ein Drittel (32 Prozent). Sieben von zehn Rathauschefs gaben an, dass es gegen ihre Mitarbeiter oder Gemeindevertreter schon einmal Beleidigungen oder Drohungen gab. dpa

Eingeladen haben sie die Stadt Zwickau und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der hat die Unterstützung von Kommunalpolitikern zum Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. Bereits im Sommer 2018 traf sich Steinmeier in Berlin mit Pia Findeiß, um über gegen sie gerichtete Drohungen zu sprechen. 2019 lud der Bundespräsident Bürgermeister und Kommunalpolitiker zu einem Bürgerfest ein, sagte ihnen seine Solidarität zu.

Doch das Signal war nicht stark genug. Im sächsischen Dorf Arnsdorf trat die Bürgermeisterin wegen eines Burn-outs zurück. In Niedersachsen, aber auch in Bayern gaben Amtsträger auf. Jene Kommunalpolitiker aber, die nach Zwickau gekommen sind, machen weiter. Noch. "Es gibt keinen Zweifel mehr: Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt", sagt Frank-Walter Steinmeier in seiner Eröffnungsrede. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Kommunalpolitikerinnen und -politiker in unserem Land zu Fußabtretern der Frustrierten werden. Wir brauchen all die Menschen, die bereit sind, Verantwortung vor Ort zu tragen."

Steinmeier thematisiert ein Dilemma: Drohungen öffentlich zu machen, sei heikel, da sich auch Trittbrettfahrer davon animiert fühlten. Gleichzeitig müsse man "Probleme benennen, um sie zu lösen". Ein Problem war in den vergangenen Jahren vor allem die Strafverfolgung, das wird in Zwickau deutlich. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion berichtet Pia Findeiß über ein Verfahren, das sie wegen Verleumdung geführt hat. Die Täter waren zwar bekannt, doch ein Beschuldigter wurde freigesprochen, gegen den anderen ein geringes Strafmaß verhängt. Begründung: Findeiß sei keine Person öffentlichen Interesses.

"Die Botschaft war: Die Findeiß ist nicht so wichtig, mit der können wir machen was wir wollen", sagt die Bürgermeisterin. Der Landrat und CDU-Politiker Frank Vogel moniert, die Reaktionszeiten der Behörden seien zu lang. "Das dauert ein bis zwei Jahre, bis etwas passiert." Ein Kommunalpolitiker berichtet, ihm gehe langsam das Geld für Prozesse aus. "Ich hatte bisher 25 Morddrohungen gegen mich."

Im Bundestag wird derzeit der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität diskutiert. Durch eine Änderung im Strafgesetzbuch sollen Kommunalpolitiker als "Personen des öffentlichen Lebens" definiert werden. In manchen Ländern gibt es mittlerweile besondere Anlaufstellen. Auf dem Podium in Zwickau sitzt Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Ansprechpartner für Cybercrime in Nordrhein-Westfalen. Er berichtet von einer zunehmenden Sensibilität. In seinem Bundesland gebe es mittlerweile eine Hotline zur Bekämpfung von Cybercrime, die rund um die Uhr erreichbar sei.

Es brauche mehr solche leicht erreichbaren Hilfen, mehr spezialisierte Dienststellen, so Hartmann. Anna-Lena von Hodenberg, Gründerin der Initiative Hate Aid, empfahl Bürgermeistern in den sozialen Netzwerken, nicht immer alle Kommentare zu lesen und sich vor Ort der Solidarität anderer zu vergewissern. Es gehe darum, die vielen Menschen zu gewinnen, die schweigen, aber eigentlich mitfühlen. Tatsächlich berichtet Pia Findeiß, sie habe sich nie alleingelassen gefühlt von den Zwickauern. Sie hört dennoch vorzeitig auf. Findeiß scheidet im Juli aus dem Amt. Nicht wegen der Bedrohungen, wie sie betont: "Ich will in meinem Leben andere Schwerpunkte setzen."

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