Süddeutsche Zeitung

Kissinger-Preis:"Wir müssen uns schützen"

Der Bundespräsident bezieht bei einer Preisverleihung in New York überraschend deutlich Stellung zu China.

Von Robert Roßmann

Der Bundespräsident spricht schon länger mit Sorge über das deutsche Verhältnis zu China. "Auf manchen strategisch wichtigen Feldern ist unsere Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen deutlich größer als unsere Abhängigkeit von russischem Gas in den vergangenen Jahren", sagte Steinmeier bereits im Juli bei einem Festakt im Hamburger Übersee-Club. Das betreffe pharmazeutische Produkte, seltene Erden und vieles mehr. Und doch hat jetzt überrascht, wie deutlich der Bundespräsident in der Nacht zum Donnerstag vor einem leichtfertigen Umgang mit Peking gewarnt hat. "China hat sich verändert", sagte Steinmeier bei einer Preisverleihung in New York. Er beklagte eine "Zeit der Verhärtung". Diese gebe es "nicht nur innenpolitisch, durch eine autoritäre Politik, die jegliche Abweichung unterdrückt". Und nicht nur "wegen Chinas hegemonialer Ansprüche in der südpazifischen Region". China folge außerdem "neuerdings einer veränderten, einer bedrohlichen außen- und wirtschaftspolitischen Philosophie: China unabhängig machen von der Welt - und die Welt abhängig machen von China". Das seien aber "Regeln für ein Spiel, das wir nicht spielen wollen - und können", sagte Steinmeier, "darauf müssen wir reagieren".

Anlass der Rede war die Verleihung des Henry-A.-Kissinger-Preises an den Bundespräsidenten. Dafür war Steinmeier extra nach New York geflogen. Der Preis wird von der Berliner American Academy verliehen. Mit ihm wurden auch schon Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Angela Merkel ausgezeichnet. Kissinger, der im Mai 100 Jahre alt wird, wollte eigentlich an der Preisverleihung teilnehmen. Auf ärztliches Anraten sagte er aber kurzfristig ab und übermittelte lediglich eine Videobotschaft.

"Die Welt ist seit dem 24. Februar eine andere", sagte Steinmeier mit Blick auf den Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Das bedeute, "dass wir uns von alten Denkmustern und Hoffnungen verabschieden müssen". Die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen sei "ein Beleg dafür, dass es keine Garantie gibt, keine Sicherheit dafür, dass wirtschaftlicher Austausch auch politische Annäherung hervorruft". Für die Zukunft heiße das: "Wir müssen Lehren ziehen, wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern, und das gilt nicht nur für Russland, sondern auch - und erst recht - gegenüber China."

Steinmeier erinnert an die Reise von Henry Kissinger nach Peking

Dabei gehe es nicht um ein "Ende des Austauschs und des Dialogs" mit Peking, sagte der Bundespräsident. China werde schon wegen seiner schieren Größe ein Faktor der Weltwirtschaft bleiben. Es sei ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Außerdem brauche man Chinas Kooperation im Kampf gegen den Klimawandel. Deshalb sei es richtig, dass US-Präsident Joe Biden und der Bundeskanzler das Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten suchen.

Richtig sei aber auch: "Wir müssen uns schützen - wir müssen verhindern, politisch und wirtschaftlich verwundbar zu sein. Wir müssen unsere Abhängigkeiten reduzieren, von chinesischen Zulieferungen ebenso wie von chinesischen Rohstoffen. Wir müssen unsere Volkswirtschaften widerstandsfähig machen." Dabei gehe es nicht um "Protektionismus, Deglobalisierung oder gar naive Bestrebungen von Autarkie - im Gegenteil!", sagte der Bundespräsident. Vielmehr müsse man die eigene Vernetzung mit der Welt ausbauen. Deshalb müsse man "die Chancen, aber erst recht die wirtschaftlichen Risiken nicht in einem Land konzentrieren, sondern auf viele Länder verteilen".

Steinmeier erinnerte an Kissingers Geheimreise nach Peking im Juli 1971, mit der die Öffnung Chinas gegenüber dem Westen, insbesondere gegenüber den USA, begonnen habe. Das sei eine große Leistung Kissingers gewesen. Aber heute müsse man leider feststellen, dass sich China seitdem verändert habe. Auf die Zeit der Öffnung sei eine Zeit der Verhärtung gefolgt.

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