Ärger über abgesagten Besuch:Scholz: Steinmeier-Ausladung ist "etwas irritierend"

Ärger über abgesagten Besuch: Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Kabinettssitzung in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Kabinettssitzung in Berlin.

(Foto: Pool/Getty Images)

Mit Befremden reagiert Berlin darauf, dass der Bundespräsident nicht nach Kiew reisen durfte - der Kanzler lässt offen, ob er nun dorthin fährt. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten dementiert derweil, dass dieser ein Angebot Steinmeiers ausgeschlagen habe.

Von Tobias Bug, Bernd Kramer und Simon Sales Prado

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte mit seinen Amtskollegen aus Polen und dem Baltikum in die Ukraine reisen - ist dort aber offenbar nicht willkommen. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten dementiert in einem Interview mit CNN zwar, dass Selenskij ein Besuchsangebot Steinmeiers ausgeschlagen habe. Steinmeier hatte aber gesagt, dass in Kiew "nicht gewünscht" gewesen sei, dass er dorthin komme. In der Bundespolitik stößt dies in ersten Reaktionen auf Unverständnis.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Ausladung Steinmeiers als "etwas irritierend" kritisiert. "Der Bundespräsident wäre gerne in die Ukraine gefahren", sagte Scholz im Inforadio des rbb. "Deswegen wäre es auch gut gewesen, ihn zu empfangen." Die Frage, ob er selbst die bestehende Einladung nach Kiew annehmen werde, beantwortete Scholz nicht. Nach der Ablehnung eines Besuchs des Bundespräsidenten hatte die Ukraine den Kanzler eingeladen.

Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Wolfgang Büchner, erklärte, Steinmeier habe "sehr klar und eindeutig" auf Seiten der Ukraine Stellung bezogen und nach seiner Wiederwahl im Februar an den russischen Präsidenten Wladimir Putin appelliert, die "Schlinge um den Hals der Ukraine" zu lösen. Die Frage, ob die Bundesregierung von der Ukraine eine Rücknahme der Entscheidung erwarte, beantwortete Büchner nicht.

Außenministerin Annalena Baerbock bedauerte die Absage der ukrainischen Regierung. "Wir haben gemeinsam über diese Reise gesprochen und ich hätte sie für sinnvoll gehalten", sagte die Grünen-Politikerin am Rande eines Besuches in der malischen Hauptstadt Bamako. "Der Bundespräsident hat bereits deutlich gemacht, dass er bedauert, dass er nicht reisen konnte. Ich bedauere das auch." Zugleich betonte Baerbock: "Wir stehen voll und ganz an der Seite der Ukraine. Unterstützen die Ukraine bei ihrer Verteidigung vor Ort, sind in voller Solidarität."

SPD-Politiker ärgern sich über Absage

Irritiert äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, der am Dienstag mit den Koalitionsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) in das Land gereist war. "Uns erreichte diese Nachricht, als wir bereits in der Ukraine waren. Ich konnte es anfangs gar nicht glauben", sagte Roth im Interview mit dem Spiegel. "Gerade jetzt ist es doch wichtig, im Gespräch zu bleiben. Ich bin über diese Ablehnung sehr enttäuscht. Sie ist gegenüber unserem Staatsoberhaupt auch nicht gerechtfertigt."

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte der Rheinischen Post: "Die Reise des Bundespräsidenten nach Kiew wäre ein deutliches außenpolitisches Zeichen der Solidarität gewesen." In einer weiteren Erklärung rief Mützenich alle demokratischen Parteien dazu auf, das Staatsoberhaupt "vor ungerechtfertigten Angriffen" zu schützen. Die Absage Kiews an Steinmeier "ist bedauerlich und wird den engen und gewachsenen Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht gerecht", so Mützenich weiter. Er warnte die Ukraine gleichzeitig vor einer Einmischung in die deutsche Innenpolitik. "Bei allem Verständnis für die existenzielle Bedrohung der Ukraine durch den russischen Einmarsch erwarte ich, dass sich ukrainische Repräsentanten an ein Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten halten und sich nicht ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes einmischen", sagte er.

Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch nannte die ukrainische Entscheidung irritierend. "Präsident Selenskij sollte seine Entscheidung überdenken, wenn er der Diplomatie eine Chance geben will", sagte er.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, bezeichnete das Vorgehen der Ukraine als ärgerlich. "Die Europäer und die Nato wollen die Ukraine weiter unterstützen", sagte der Politiker im Deutschlandfunk. Dafür brauche es jedoch "einen angemessenen Umgang" miteinander. Zur Einladung von Olaf Scholz sagte der Politiker: "Kanzler gegen Bundespräsidenten auszuspielen, das geht überhaupt nicht." Er sehe keinen Grund, wieso Scholz "einfach so nach Kiew reisen" solle.

Merz: Es gibt tiefe Vorbehalte gegen die Russlandpolitik der SPD

Die Ausladung sei ein Zeichen für den Unmut über die Russlandpolitik der Sozialdemokraten - das ist die Bewertung von CDU-Chef Friedrich Merz. Er sagte der Rheinischen Post, "offensichtlich sitzen die Vorbehalte gegen die Russlandpolitik der SPD in vielen osteuropäischen Ländern sehr tief. Und das wiederum kann ich gut verstehen." Merz übte zugleich Kritik an der Entscheidung aus Kiew. Er habe zwar Verständnis für den "emotionalen Ausnahmezustand" des ukrainischen Präsidenten Selenskij. "Aber Frank-Walter Steinmeier ist gewähltes Staatsoberhaupt eines demokratischen Landes, seine Ausladung ist ein diplomatischer Affront", so der Parteivorsitzende.

Scharf reagierte FDP-Vize Wolfgang Kubicki: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt", sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur. Er habe jedes Verständnis für die politische Führung der Ukraine, sagte Kubicki weiter. Das Land kämpfe um sein Überleben. "Aber alles hat auch Grenzen. Ich glaube nicht, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij gut beraten war, das Angebot eines solchen Besuchs nicht nur aus Deutschland zurückzuweisen."

Grünen-Politiker Trittin: "Wir erwarten, dass die Ukraine das zurücknimmt"

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, hat die Ukraine aufgefordert, die Absage an einen Besuch Steinmeiers zurückzunehmen. "Das geht so nicht", sagte Trittin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das deutsche Staatsoberhaupt, das zudem gerade erst wiedergewählt worden ist, zur unerwünschten Person zu erklären, ist ein großer Propagandaerfolg für Wladimir Putin." Wenn man die Europäer spalten wolle, dann müsse man es so machen wie der ukrainische Präsident. "Wir erwarten, dass die Ukraine das zurücknimmt."

Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sara Nanni, zeigte hingegen Verständnis: "Nur wer völlig ignorant ist, kann ernsthaft überrascht und brüskiert von dieser Ausladung sein. Man muss das nicht gut finden. Aber überraschen sollte es niemanden. Auch Steinmeier selbst nicht."

Der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch schrieb auf Twitter, jeder dürfe Steinmeier kritisieren. "Aber: Das Staatsoberhaupt Deutschlands so zu brüskieren und gleichzeitig täglich Forderungen an Deutschland zu stellen, ist auch angesichts des brutalen Kriegs Putins meines Erachtens falsch."

Ehemaliger Chef der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt Verständnis

In der Bild-Zeitung übte auch der ehemalige Boxweltmeister Wladimir Klitschko, Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko, Kritik an der Ausladung. "Ich hoffe, dass der Besuch des Bundespräsidenten in Kiew nur aufgeschoben ist und in den kommenden Wochen nachgeholt werden kann."

Verständnis für die Ausladung zeigte dagegen der ehemalige Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks. "Statt beleidigt zu reagieren, sollten wir realisieren, wie tief die Enttäuschung und Bitterkeit über die deutsche Politik sitzt, nicht nur in Kiew", schrieb er mit Verweis auf Steinmeier bei Twitter. Fücks war kürzlich mit seiner Frau Marieluise Beck, ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete und Osteuropaexpertin, in die Ukraine gereist.

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