Steinbrück und die SPD:Feind im eigenen Bett

Steinbrück spricht über Entwicklung Ostdeutschlands

Eine Niederlage bei der Bundestagswahl wird die SPD ihrem Kanzlerkandidaten Steinbrück anlasten - fair wäre das nicht.

(Foto: dpa)

Steinbrück wäre nicht der erste, den die SPD höchstselbst zu Fall gebracht hat. Mangelnder Glaube an sich selbst und eine überforderte Parteizentrale machen die Kampagne des Kanzlerkandidaten noch schwerer, als sie ohnehin schon ist. Die Nervosität hat längst nicht mehr alleine die üblichen Verdächtigen befallen.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Peer Steinbrück schließt und öffnet den Mund, zieht Grimassen und macht eine Handbewegung, die als international anerkanntes Zeichen für "Plappermaul" durchgeht. Steinbrück macht sich ein wenig lustig über den Mann neben ihm, Matthias Machnig. Der Wirtschaftsminister von Thüringen ist im Kompetenzteam des Kanzlerkandidaten für Energiepolitik zuständig. Sie präsentieren an diesem Donnerstag im Willy-Brandt-Haus gemeinsam ein SPD-Konzept zur Energiewende.

Machnig holt gerne weit aus. Er hechelt durch die Konzeptdetails, jongliert mit Millionen- und Milliardensummen, verspricht Effizienz-, und Netz,- und Speicheroffensive. Und redet auch dann einfach los, wenn erkennbar Steinbrück gerne ein, zwei Sätze gesagt hätte. Kaum zu bremsen, dieser Machnig.

Steinbrücks kleine Gemeinheit aber bekommt er mit. Danach hält er sich jedes Mal erschrocken die Hand vor den Mund, wenn es droht, mit ihm durchzugehen.

Steinbrück ist wieder Chef auf der Bühne. Wenigstens hier und heute kann er das steuern. Ein schon fast seltener Moment in Steinbrücks verkorkster Kandidaten-Kampagne.

Es ist wie fast immer in der SPD: Je näher der Wahltermin rückt, desto intensiver erforschen die Genossen ihren eigenen Bauchnabel. Merkel-Herausforderer Peer Steinbrück hat recht, wenn er sagt, dass im Wahlkampf alle in der Partei auf das eine Ziel fokussiert sein sollten: Dass nämlich er, Steinbrück, Kanzler wird. Nur halten sich manche einfach nicht daran.

Wenn das diesmal nur die üblichen Verdächtigen von den Parteiflügeln vergessen hätten - gebongt. Das war schon immer so. Diesmal aber scheint die gesamte Parteispitze befallen zu sein.

Vorbereitungen für den Feuersturm

Da wird fröhlich über alle möglichen Konstellationen nach der Bundestagswahl spekuliert, sollte es für SPD und Grüne doch nicht reichen. Ganz Tapfere schließen eine große Koalition praktisch aus. Die Pragmatischen sehen darin gar eine Chance.

Da werden schon Vorbereitungen getroffen, wer wie am besten den Feuersturm überlebt, der nach der mittleren bis schweren Niederlage der SPD über die Partei hinwegziehen wird. Ein Parteikonvent soll es richten, ein bis zwei Tage nach der Wahl. Auf jeden Fall aber vor der Wahl des Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Nach allgemeiner Lesart, um Frank-Walter Steinmeier nicht die Gelegenheit zu geben, sich wie 2009 erneut noch am Wahlabend den Fraktionschefposten zu geben.

Merkels Wahlkampfkonzept scheint aufzugehen

Steinbrück mag noch auf einen Sieg fokussiert sein. Die restliche Partei scheint sich eher auf eine Niederlage vorzubereiten. Steinbrück wird da nicht mal eingebunden. Von der Konvent-Idee sei er erst am Montag kurz vor der Sitzung des Parteivorstandes von SPD-Chef Sigmar Gabriel in Kenntnis gesetzt worden. Mitspracherecht habe er da nicht mehr gehabt. "Ich hatte auch gar keine Einwände", sagt er jetzt vor Journalisten. Jetzt muss er versuchen, den Konvent in etwas völlig Selbstverständliches umzudeuten, nämlich die Einbindung der Mitglieder in die Analyse der Bundestagswahl, "egal wie es ausgeht".

Nun ja, wenn es für Rot-Grün reicht, dann dürfte die Analyse glasklar sein. Benötigt wird der Konvent nur, wenn es dafür nicht reicht und/oder die Niederlage eine herbe wird. Sicher ist auch: Sollte die offenbar schon erwartete Niederlage so schlimm oder gar noch schlimmer als die von 2009 ausfallen, also irgendwo um 23 Prozent, dann werden wohl alle hinweggefegt werden, die auch nur im Ansatz damit etwas zu tun hatten.

Es kann auf dem Konvent also nur darum gehen, ob a) die SPD sich auf Verhandlungen über eine große Koalition einlassen würde und b) wer die SPD in solche Verhandlungen führt.

Angeblich will SPD-Chef Sigmar Gabriel dennoch im Verbund mit den Parteilinken seine - wenn auch kleine - Chance sichern, als einziger der Troika aus ihm, Steinmeier und Steinbrück übrig zu bleiben. Die Linken, ohnehin gerade innerparteilich im Aufwind, haben Gefallen an Gabriel gefunden. Der hat die Partei auf genau den harten Linkskurs gebracht, vor dem Steinbrück einst gewarnt hat. Jetzt hat der Kandidat Steinbrück Mühe, die neuen Positionen glaubwürdig unters Volk zu bringen. Seine eingeforderte Beinfreiheit hat Steinbrück längst verloren. Wenn er sie denn je gehabt hat.

Die drohende Niederlage wird wohl dennoch in erster Linie Steinbrück angelastet werden. Vortragshonorare und unglückliche Forderungen nach höherem Kanzlergehalt haben seine Sympathiewerte schlagartig in den Keller getrieben.

Mobilisierungsversuche der SPD laufen ins Leere

Hinzu kommt, dass Kanzlerin Angela Merkel noch weniger als 2009 zu packen zu sein scheint. Ihr Konzept der asymmetrischen Demobilisierung scheint erneut aufzugehen: Soviel Inhalte vom Gegner übernehmen, dass dessen Sympathisanten sich nicht genötigt sehen, zur Wahl zu gehen. Jeder Mobilisierungsversuch der SPD läuft da ins Leere.

Sie erwähnt Steinbrück nicht mal namentlich. Was der wiederum gut versteht. "Das werde ich 2017 genauso machen mit einem CDU-Herausforderer", sagt er in einem Anfall von Zweckoptimismus. Im Atrium der SPD-Parteizentrale wird der Satz als das aufgefasst, was er wohl auch ist: als ein Scherz.

Fair wäre es nicht, Steinbrück zum allein Schuldigen zu machen. Der größte Feind der SPD ist noch immer das Willy-Brandt-Haus, wie Eingeweihte sagen, wenn sie die Zustände in der SPD-Zentrale beschreiben sollen. Daran ist schon Kurt Beck als Parteichef gescheitert. Und womöglich wird daran auch der Kandidat Steinbrück scheitern. Sein Feind liegt im eigenen Bett.

Münteferings Retourkutsche

Wenig hilfreich dürfte auch die missdeutige Krawall-Attacke von Franz Müntefering in der Zeit auf die SPD-Führung und insbesondere auf Generalsekretärin Andrea Nahles gewesen sein. Bis auf Kanzler war Müntefering alles, was er mit der SPD hat werden können: Bundesgeschäftsführer, Wahlkampfmanager, Parteichef, Superminister für Arbeit und Soziales, Vizekanzler. In sechs Wochen wird gewählt. Da mit Generalabrechnungen ("Mir standen die Haare zu Berge") um die Ecke zu kommen grenzt an parteischädigendes Verhalten. Er sollte das wissen.

Müntefering zur Seite springt natürlich Karl-Josef "Kajo" Wasserhövel. Wasserhövel ist Münteferings alter Ego, sein Schattenmann, sein Wahlkampfmanager. Der findet in der Welt wie sein ehemaliger Chef, dass in der Kandidatenfrage zu wenig vorbereitet war in diesem Wahlkampf und mit der NSA-Affäre auch noch auf das falsche Thema gesetzt wird.

Ist ja alles richtig. Aber das gehört in die Nachbetrachtung eines Wahlkampfes und nicht mitten rein, wie einige Genossen anmerken. Auch Müntefering wisse, "dass das Spiel erst zu Ende ist, wenn abgepfiffen wird", findet etwa der Parteilinke Ralf Stegner. Sein Parteifreund Johannes Kahrs von den rechten Seeheimern, fände es "schick", wenn jetzt endlich alle Sozialdemokraten Wahlkampf machen würden.

Steinbrück versucht an diesem Donnerstag ein wenig Feuer aus der Debatte zu nehmen. Müntefering habe mit seiner Analyse ja Recht, Ähnliches habe er bei Gelegenheit auch schon gesagt. Im Übrigen könne er in dem Interview "keine Kritik an meiner Person erkennen", beschwichtigt der Kandidat. Jetzt gehe es darum Wahlkampf zu führen. "Soweit ich nicht einer Verblendung unterliege, läuft der ganz gut."

Berüchtigte Querschläger

Es sei vielleicht auch daran erinnert, dass es 2009 Müntefering, zu dem Zeitpunkt zum zweiten Mal Parteichef, und sein Wahlkampfmanager Kajo Wasserhövel waren, die den Wagen aber so was von an die Wand gekachelt haben, dass die SPD daran heute noch leidet.

Wer ihnen Böses will, erkennt darin eine üble Retourkutsche. Müntefering wollte 2005 Wasserhövel als seinen Generalsekretär durchsetzen - und scheiterte an Andrea Nahles. Danach kündigte Müntefering an, nicht erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren.

Müntefering ist berüchtigt für seine Querschläger: Im Wahlkampf 2009 etwa stahl er Kanzlerkandidat Steinmeier am Tag vor dem Programmparteitag die Show, in dem er der Öffentlichkeit seine neue Liebe Michelle vorstellte.

Bis zum 22. September wird Steinbrück noch durchhalten müssen. Eine kleine Chance besteht, dass er es doch ins Kanzleramt schafft. Wenn nicht, dann ist Steinbrück raus, ganz raus. Dann kann er sich sehr wahrscheinlich freudigeren Dingen widmen, als sich mit den eigenen Genossen herzumschlagen.

Bis dahin gilt was Matthias Machnig noch mit auf dem Weg gibt. In seinem früheren Leben war auch er SPD-Wahlkampfstratege. Die aus dieser Zeit mitgenommene Weisheit lautet: "Man führt Wahlkampf, man redet nicht über Wahlkampfführung."

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