Steinbrück redet auf SPD-Parteitag:Die neue Drift des Kandidaten

SPD Bundesparteitag Augsburg Peer Steinbrück, SPD

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erhält nach seiner Rede beim Parteitag der Sozialdemokraten in Augsburg minutenlang Applaus.

(Foto: dpa)

Peer Steinbrück präsentiert sich auf dem Parteitag in Augsburg als Kandidat der sozialen Wärme. Wohlwollende nehmen ihm das inzwischen sogar ab. Wenn Steinbrück im Wahlkampf so weitermacht, wie er es in seiner Rede begonnen hat, könnten die verzagten Sozialdemokraten doch noch Hoffnung schöpfen. Nur auf seine große Klappe will der Kandidat nicht verzichten.

Von Thorsten Denkler, Augsburg

Die weißhaarige Frau hüpft wie ein junges Mädchen auf und ab, klatscht in die Hände, lacht. Als hätte ihr ihre Tochter, wenn sie denn eine hat, gerade Peer Steinbrück als neuen Schwiegersohn vorgeschlagen. Keine Sorge, Steinbrück will nur Kanzler werden. Die Frau ist eine von fünf aus einer, wie Steinbrück sagte, "tollen Truppe älterer Damen". Der Kandidat hat sie auf seiner Deutschlandtour besucht. Sie haben ein Wohnprojekt gegründet, OLGA mit Namen, "Oldies leben gemeinsam aktiv".

Steinbrück steigt hinunter von der Bühne in der Augsburger Messehalle. Der Jubel über seine Rede hält noch an. Er steuert auf die tolle Truppe zu, gibt jeder von ihnen die Hand. Dankt ihnen. Sie lächeln zurück. Es ist ein großer Tag in ihrem Leben. Steinbrück und die Olgas. Das sind Bilder, die der Kandidat braucht.

Denn es läuft nicht gut für Steinbrück. In Umfragen stagniert die SPD oder fällt zurück. Auf dem Kompetenzfeld Soziales hat Kanzlerin Merkel ihn gerade überholt. Redehonorare, Kanzlerinnengehalt, Peerblog, Wahlslogan. Steinbrücks Kandidatur hätte schlechter nicht beginnen können. Er gilt inzwischen - je nach Interesse - als bester Mitarbeiter von CDU, CSU oder FDP.

Die Steinbrück-Kampagne braucht einen Neustart. Die Hoffnung war, dass ihm das hier in Augsburg gelingen möge.

Eine Rede allein macht keine Kanzlerschaft. Aber wenn Steinbrück so weitermachen würde, wie er es mit dieser Rede beginnt, könnten die Verzagten noch Hoffnung schöpfen.

Aber zunächst eine nicht ganz unwichtige Feststellung des Kandidaten ganz am Anfang seiner Rede: "Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden." Gut, dass er das nochmal so deutlich sagt. Manche hatten ja Zweifel.

Glaubhaft besorgt

Der Satz zeigt Wirkung. Die Delegierten stehen auf, wie erleichtert, jubeln Steinbrück zu. Er ist ihr Kandidat, das soll wohl auch so bleiben. Egal was die anderen sagen. Trotz kann eine wichtige Triebfeder in einem Wahlkampf sein. Er kann ein "Jetzt erst recht"-Gefühl erzeugen, Trotz kann mobilisieren. Und "wenn wir mobilisieren, dann gewinnen wir. Besinnen wir uns auf unsere Kraft". Das waren die Schlussätze von Steinbrücks Rede.

Keine andere Aufgabe hatte Steinbrück heute. Mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren. Und zwar mit dem, was er, was die SPD erreichen will. Wenn schon nicht der Kandidat überzeugt, sollen die Inhalte genug Kontrast zur aktuellen Regierung bieten.

Höhere Steuern für Reiche. Mehr Geld für das Gemeinwohl. Finanzmärkte bändigen. Mieter schützen, Betreuungsgeld abschaffen, Kinderbetreuung ausbauen. Doppelte Staatsbürgerschaft einführen. Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen. Für Leiharbeiter und fest Angestellte. Mindestlohn. Punkt für Punkt geht er so das Wahlprogramm der SPD durch, das am Nachmittag verabschiedet wird.

Und doch macht er es anders. Er hat Menschen eingeladen, denen er auf seiner Tour durch Deutschland in den vergangenen Wochen begegnet ist. Auf dem Parteitag erzählt er die Geschichte der Olgas, die der Unternehmerin Katja von der Burg, die zu wenige Betreuungsplätze für die Kinder ihrer Mitarbeiter hat. Oder die von Bahran Kücüc aus Stuttgart, 16 Jahre alt, der nicht auf seine türkische Identität verzichten will, um bald die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen zu können. Steinbrück lässt sich Zeit, diese Menschen vorzustellen. Auch wohl um zu zeigen, dass er es ernst meint mit dem "Wir" in dem neuen SPD-Wahlslogan "Das Wir entscheidet".

Und die ganze Kritik an seinem losen Mundwerk, seiner großen Klappe? Da kennt er keine Selbstkritik. Er seziert gerade das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz, das verhindert hätte, dass deutsche Steuerfahnder auf die berüchtigte Steuer-CD hätten zurückgreifen können, da bricht es beinahe wieder aus ihm heraus. "Das ist erst ein paar Wochen her! Ja meine Fr ... hmmpf .. jetzt muss ich aufpassen." Pause. Steinbrück grinst, "Meine Güte. Es läuft jetzt etwas differenzierter hier oben", sagt er und tippt sich an den Kopf. Alles nur eine Koketterie mit der eigenen Unberechenbarkeit. "Vertraut darauf, das werde ich mir nicht ganz abgewöhnen." Es ist eher eine Befürchtung die da manche haben.

Es fehlt auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit manchen rot-grünen Entscheidungen zwischen 1998 und 2005. Steinbrück stellt fest: "Es gibt seit Jahren Umverteilung von unten nach oben. Nachweislich." Er sagt das, um die Koalition von Union und FDP vorzuführen. Tatsächlich aber hat rot-grün den Spitzensteuersatz massiv gesenkt. Die Folge war eine der größten Umverteilungen zugunsten der Wohlhabenden in der Geschichte der Bundesrepublik. Dazu aber kein Wort.

Steinbrück schafft es dennoch, den sozialen Zusammenhalt zu seinem Thema zu machen. Er wirkt glaubhaft besorgt um die "Drift", die es im Land gebe. Die Delegierten scheinen ihm das inzwischen abzunehmen. Die Wähler haben damit noch Schwierigkeiten. Nicht zuletzt weil sie die Höhe und den Umfang der Vortragshonorare, die Steinbrück über Jahre kassiert hat, für derart unständig halten, dass sie Steinbrücks neuem "Wir" eher skeptisch gegenüber stehen.

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