Viele haben es geahnt, einige haben es befürchtet, jetzt ist es amtlich: Peer Steinbrück wird bei der nächsten Bundestagswahl Angela Merkel herausfordern. Viele Sozialdemokraten setzen große Hoffnungen in Steinbrück. Für manche aus dem Lager der Regierungskoalition ist er der gefährlichste Gegner. Doch ist wirklich mit einem spannenden Wahlkampf zu rechnen? Eine erste Umfrage jedenfalls lässt daran zweifeln.
Zwar hält die Mehrheit der Deutschen Steinbrück für einen guten Kanzlerkandidaten der SPD. 58 Prozent sagen das im ARD-Deutschlandtrend, nur 21 Prozent sind nicht dieser Meinung.
Doch wenn die Deutschen die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler direkt wählen könnten, läge Angela Merkel bislang klar vor ihrem SPD-Herausforderer. 50 Prozent würden sich für Merkel entscheiden - ein Plus von fünf Prozentpunkten im Vergleich zum Juli -, 36 Prozent würden hingegen Steinbrück wählen.
Der Kandidat hat, das zeigen die Zahlen, noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten in den kommenden Monaten. Den Anfang machte er heute in Nordrhein-Westfalen. Das passt: Steinbrück war von 2002 bis 2005 Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition in Düsseldorf. Er hat auch seinen Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen.
Erster Auftritt vor der Basis
Hier hatte Steinbrück also seinen ersten Auftritt als neu gekürter Kanzlerkandidat vor der Parteibasis. Blitzeilig musste die nordrhein-westfälische SPD noch einmal vieles umwerfen am Tag vor ihrem zuvor eher unspektakulär anmutenden Landesparteitag in Münster.
Platz musste her für eine Rede von Steinbrück - seiner ersten als ausgerufener Kanzlerkandidat der Partei. Und für über 50 zusätzliche Journalisten, die sich nach dem Bekanntwerden der Personalie am Freitag spontan ankündigten.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück:Der Anti-Parteisoldat
"Die SPD, die mich aufstellt, muss erst noch erfunden werden": Damit lag Peer Steinbrück falsch. Der große Absturz fand nicht statt, die Sozialdemokraten legten unter seiner Führung sogar ein bisschen zu. Ein unkomplizierter Spitzenmann ist er für seine Partei trotzdem nicht gewesen.
Steinbrück wirkte dann fast erleichtert. Siegessicher, selbstironisch und vor allem sichtlich entspannt präsentierte er sich seinen Zuhörern. Witz und Leichtigkeit will er auch mit in den Wahlkampf nehmen. "Ob ich mir Bilder wie die Kavallerie ausdenke, weiß ich noch nicht so genau", sagt er mit einem Augenzwinkern über den Umgang mit der Steuerpolitik der Schweiz. "Manchmal habe ich den Eindruck, man hätte nicht nur über sie reden sollen, sondern man hätte sie auch satteln sollen."
"Ich werbe um euer Vertrauen, meines habt ihr", so Steinbrück in Münster zu den Delegierten. Doch auch dass er sich Spielraum in der Gestaltung des Wahlkampfs ausbittet, machte er klar: "Das Programm muss zum Kandidaten passen und der Kandidat zum Programm. Ihr müsst mir aber auch etwas Beinfreiheit einräumen." Im Falle einer Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 wolle er nicht in eine große Koalition eintreten. Für ein Kabinett Merkel sei er nicht zu gewinnen, sagte Steinbrück. Klares Ziel sei, die schwarz-gelbe Bundesregierung durch Rot-Grün komplett abzulösen. "Wir setzen eindeutig auf Sieg und nicht auf Platz." Und: "Es wird diese Bundesregierung in zwölf Monaten nicht mehr geben".
Steinbrück versicherte, die bisherige SPD-Troika mit Parteichef Sigmar Gabriel und dem Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier werde sich nicht auseinanderdividieren lassen. Nach der Wiederwahl von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als Landeschefin und einer Tasse Kaffee machte sich Steinbrück aus dem Staub. Er hatte seinen Auftritt gehabt.
Hannelore Kraft befürchtet keine größeren Widerstände in ihrer Partei gegen Steinbrück. "Die Zustimmung ist größer als allgemein behauptet wird", sagte die SPD-Landesvorsitzende. Als Bundesfinanzminister habe er in schwierigen Zeiten bewiesen, dass er das Land führen könne, sagte die stellvertretende SPD-Chefin Kraft. "Er genießt Respekt weit ins bürgerliche Lager hinein." Ziel sei Rot-Grün wie in NRW. "Jetzt sind wir im Wahlkampfmodus. Ab jetzt werden wir auf Sieg setzen."
Auf dem linken Parteiflügel der SPD wird Steinbrück allerdings kritisch beurteilt. Sie will Steinbrück in die Pflicht nehmen. "An die Parteibeschlüsse etwa zur Vermögenssteuer oder zur Abgeltungsteuer ist auch ein Kanzlerkandidat gebunden", sagte die Sprecherin der SPD-Linken, Hilde Mattheis, der Berliner Zeitung. Auch in der Debatte über das SPD-Rentenkonzept seien "Kompromisse kaum vorstellbar". Die SPD müsse sich dafür aussprechen, die geplante Absenkung des Rentenniveaus zu verhindern.
Die Jugendorganisation der SPD, Jusos, will den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zwar unterstützen, sieht aber ebenfalls noch inhaltlichen Klärungsbedarf. "Wir werden mit Peer Steinbrück in den nächsten Wochen über das ein oder andere sprechen, wie wir uns einen Wahlkampf vorstellen", kündigte Juso-Chef Sascha Vogt im Deutschlandradio an. Da Steinbrück in den vergangenen drei Jahren kein hohes Parteiamt inne gehabt habe, wisse man gar nicht, "was er zu bestimmten Fragen denkt". Die Jusos hätten Steinbrück bereits zu einem Gespräch eingeladen, sagte Vogt. Es sei "unbestritten", dass es in den vergangenen Jahren inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Steinbrück und den Jusos gegeben habe. Er gab zu, ihn habe die überraschende Verkündung der Kandidatur des früheren Finanzministers "ein bisschen geärgert".
Auch über eine Zusammenarbeit mit der FDP wird bei den Sozialdemokraten kurz nach der Kür des Kanzlerkandidaten bereits laut nachgedacht. Der Sprecher des einflussreichen konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, sagte dem Magazin Focus, seine Partei strebe zwar Rot-Grün an, doch wenn es dafür nicht reiche, wäre eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen die "deutlich bessere Alternative" als eine Große Koalition mit der Union. Kahrs sah vor allem große Schnittstellen in der Wirtschaftspolitik: "Die SPD hat ein industriepolitisches Konzept vorgelegt, das die FDP guten Gewissens unterschreiben kann. Allerdings käme die FDP in einer Ampel "um einen Mindestlohn nicht herum", sagte der SPD-Politiker dem Magazin.
Presse zur Kandidatenkür von Steinbrück:"Von einiger Selbstverachtung durchdrungen"
Die "beste Wahl"? Oder doch nur ein frühes Eingeständnis, dass es die SPD "maximal zum Vize-Kanzler" schafft? Die Nominierung von Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat wird von den Medien sehr unterschiedlich kommentiert. Ist am Ende gar Parteichef Gabriel der eigentliche Sieger der Kandidatenkür?
Der saarländische SPD-Wirtschaftsminister Heiko Maas sagte dem Focus: "Sollte nach der Bundestagswahl rechnerisch eine Ampel möglich sein, wird das auch davon abhängen, wie sehr sich die FDP bis dahin von ihrem bisherigen Kurs lösen kann." Die FDP müsse sich wieder zu einer Bürgerrechtspartei entwickeln, forderte Maas.
Schröder empfiehlt, Ampel nicht auszuschließen
Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hält Steinbrück für eine gute Wahl. "Ich begrüße das ausdrücklich. Er will das, und er kann das", sagte er der Rheinischen Post. Steinbrück könne Merkel schlagen. Schröder empfahl seiner Partei zugleich, eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP nach der Bundestagswahl 2013 nicht auszuschließen. Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering rechnet damit, dass sich die SPD geschlossen hinter ihren Spitzenkandidaten stellt. Er sagte am Samstag im Deutschlandradio Kultur, Steinbrück sei ein sehr guter Kandidat für das Jahr 2013, und "da wird sich nun alles drum scharen". Es gebe einzelne Personen in der SPD, "die da Sympathien oder Antipathien haben, aber die allermeisten in unserer Partei - da bin ich ganz sicher - die wissen, wir haben eine Chance im nächsten Jahr", so Müntefering.