Steffen Seibert:Merkels Langstreckenläufer

Steffen Seibert

Regierungssprecher Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Regierungssprecher Steffen Seibert ist seit 3362 Tagen im Amt und damit länger als jeder seiner Vorgänger. Darauf kann sich der ehemalige ZDF-Journalist durchaus etwas einbilden.

Von Nico Fried, Berlin

Als Steffen Seibert an diesem Donnerstag zur Morgenlage im Kanzleramt erschien, brachte er seine Pressemappe mit und einen neuen Rekord. 3362 Tage ist es her, dass der heute 59-Jährige am 10. August 2010 seine Ernennungsurkunde erhielt. Seibert ist jetzt der am längsten amtierende Regierungssprecher in der Geschichte der Bundesrepublik und überholt Felix von Eckardt - genau genommen schon zum zweiten Mal, denn der enge Vertraute Konrad Adenauers kratzte seine 3361 Tage zwischen 1952 und 1962 in zwei Etappen zusammen.

Seibert hat den Rekord in einem Rutsch aufgestellt. In Anbetracht des Pensums seiner Chefin muss man den vielen Tagen eigentlich noch einige durchwachte Nächte hinzurechnen, die er mit Angela Merkel vor allem auf EU-Gipfeln durchlitt. Zwar war der gebürtige Münchner schon beim ZDF Experte für lange Strecken: Für seine sechsstündige Moderation nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 erhielt er die Goldene Kamera. Doch Brüsseler Marathonsitzungen führten anfangs selbst bei ihm dazu, dass er danach mehr mit den Augenlidern als mit den Journalistenfragen kämpfte.

Es gibt bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen altem und neuem Rekordhalter, sieht man davon ab, dass Seibert niemals einer ausladenden Eleganz mit karierten Westen über seidenen Hemden frönen würde, wie es Felix von Eckardt tat. Dem mit einer Künstlerin verheirateten Vater von drei Kindern fiele auch nicht ein, Journalisten in sein Privathaus einzuladen, wie es in Adenauers Bonn durchaus üblich war. Doch wie Seibert war der 1979 verstorbene Eckardt Journalist, mehrsprachig, parteilos und interessiert an internationaler Politik. Seine Bewerbung als Regierungssprecher begründete er Adenauer so: "Weil ich ein interessantes Leben führen will." Das muss auch für Seibert ein Motiv gewesen sein, trotz Fernsehkarriere mal was Neues zu machen. Wie ein Symbol für seine anhaltende Begeisterung aktualisiert er bis heute im Büro eine Weltkarte, in der Nadeln die Ziele der Reisen mit der Kanzlerin markieren.

Entgegengesetzte Erwartungen zwischen Schweigen und Reden

Eckardt musste Adenauer noch das Wesen freier Presse erklären. Bei schlechter Berichterstattung forderte der Kanzler, er solle dafür sorgen, dass das aufhört. "Sie sind doch der Chef." Von solchem Begehr blieb Seibert verschont, nach fünf Jahren als Kanzlerin war Merkels Fell bei seinem Amtsantritt schon dick genug. Wenn er heute überhaupt auf Artikel reagiert, was selten vorkommt, formuliert er den Text einer SMS allenfalls als eine Art ergänzende Information oder Diskussionsbeitrag.

Es entspricht zwar ohnehin dem Wesen der Kanzlerin, enge Mitarbeiter möglichst lange an sich zu binden. Trotzdem kann sich Seibert auf die Dauer seiner Amtszeit etwas einbilden: Der Sprecher ist unter Merkels engsten Vertrauten der einzige, der sich regelmäßig sowohl vor seiner Chefin wie vor den Journalisten bewähren muss und so in der Regel eher entgegengesetzten Erwartungen zwischen Schweigen und Reden ausgesetzt ist.

Den Rollenwechsel vom ehemaligen ZDF-Journalisten zum Regierungssprecher hat Seibert gründlich vollzogen. Seine unbedingte Loyalität gehört der Kanzlerin. Ihre Politik erklärt er entlang Struktur und Intention, bisweilen fast pedantisch formell. Für Machtfragen und Menschelndes ist er selten der richtige Ansprechpartner. Seibert ist zuverlässig und uneitel, sehr geduldig und stets von ehrlich wirkender Freundlichkeit. Er hat sich unter den Berliner Journalisten Respekt erworben - wäre es mehr, würde es wohl seinem eigenen Begriff vom Umgang zwischen Medien und Politik zuwiderlaufen.

Dass Seiberts Rekord durch Merkel besondere Würdigung erfährt, ist unwahrscheinlich. Im Kabinett am Mittwoch, als er mit Eckardt gleichzog, sagte sie nichts. In der Regierungspressekonferenz musste sich Seibert durch viele Fragen zum Verhältnis von Kanzlerin und Verteidigungsministerin lavieren. Das Thema wird wohl wieder eine längere Strecke.

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