Stasi-Vorwürfe gegen Gregor Gysi:Deckname "Notar"

Der Anwalt Gregor Gysi war ein wendiger Grenzgänger zwischen DDR Funktionären und Opposition - doch mit der Stasi will er nie kooperiert haben.

Constanze von Bullion

In der Welt der Grenzgänger ging es konspirativ, aber nicht unbedingt geräuschlos zu. Im Jahr 1979 zum Beispiel gab es regelmäßig Lärm in der Berolinastraße 2 in Ost-Berlin. In einem Plattenbau lag da ein Büro, spartanisch möbliert wie eine Mönchszelle.

Stasi-Vorwürfe gegen Gregor Gysi: Von der Geschichte eingeholt: Gregor Gysi streitet ab, für die Stasi gearbeitet zu haben

Von der Geschichte eingeholt: Gregor Gysi streitet ab, für die Stasi gearbeitet zu haben

(Foto: Foto: dpa)

Der Mann, dem es gehörte, lebte wie ein Gefangener. Er war ein hagerer Herr von fast 70 Jahren, hatte nur noch eine halbe Lunge, aber genug im Kopf, um seinen Staat auf Trab zu halten. Näherte er sich dem Büro, folgte man ihm. Fand er drinnen einen Gast, stellte er das Radio an und legte noch eine Platte auf, gern die "kleinrussische" Sinfonie von Tschaikowski.

Fast 30 Jahre ist es her, dass Rainer Wagner in diesem Getöse mit dem DDR-Oppositionellen Robert Havemann getuschelt hat. Wagner war damals 31 und Assistenzprofessor an der Freien Universität in West-Berlin, und er schmuggelte für Havemann verbotene Schriften und Botschaften über die Zonengrenze.

Damit die Stasi nichts mitbekam, wartete Wagner oft schon Stunden vor dem Termin mucksmäuschenstill in Havemanns Büro. Der Geheimdienst wartete mit, an der Lauschanlage. Havemann wusste das natürlich, sagt Wagner. Und er wusste auch, wer Gregor Gysi war.

Rainer Wagner ist heute 60, er war mal Redenschreiber von Willy Brandt, jetzt sitzt er in einem Berliner Café neben Linda Reisch, lange Kulturdezernentin in Frankfurt. Wagner und sie waren Ende der siebziger Jahre Kuriere im Kalten Krieg. "Wir waren klar antikommunistisch und gegen die DDR, ohne Wenn und Aber", sagt Reisch und erzählt von den Sozialdemokraten um die FU-Politologen Hartmut Jäckel und Gesine Schwan, die - anders als viele damals - Menschenrechtsverletzungen der DDR nicht hinnehmen wollten.

Jäckel unterstützte den Wissenschaftler Robert Havemann, der in der DDR nicht mehr publizieren durfte. Als man Jäckel nicht mehr nach Ost-Berlin ließ, schickte er Rainer Wagner und Linda Reisch rüber.

Was die bei ihren Kurierreisen erlebt haben, ist Geschichte, jetzt hat sie die beiden eingeholt. Gregor Gysi, einst Anwalt von Robert Havemann, musste sich öffentlich rechtfertigen, weil neue Indizien aufgetaucht sind, die nahelegen, er habe seinen Mandanten an die Stasi verraten. Gysi bestreitet das und beharrt darauf, er sei nie Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gewesen. Eine Verpflichtungserklärung ist nicht aufgetaucht, die Akten sind unvollständig, eine IM-Karteikarte fehlt.

Das ändere nicht, sagt Marianne Birthler, dass Gysi den Geheimdienst über Jahre "willentlich und wissentlich" mit Informationen versorgt habe. Nun hat sie dem Bundestag fünf neu veröffentlichte Aktenblätter von 1979 vorgelegt (siehe Artikel rechts). Diese scheinen zu bestätigen, was der Ausschuss schon 1998 festgwstellt hat: dass Gysi der Stasi näher gewesen sein soll, als er zugibt.

Deckname "Notar"

Es lohnt sich nachzulesen, was der Bundestag 1998 zusammengetragen hat. Zahlreiche Stasi-Akten wurden da ausgewertet, in denen Gysis Mandantengespräche mit Rudolf Bahro oder Robert Havemann detailliert wiedergegeben waren. Mal hieß es, Havemann habe zum Abschied gelächelt - das kann nicht abgehört worden sein. Mal landeten Gesprächsprotokolle so schnell bei der Stasi, dass Umwege über Dritte nicht nachvollziehbar schienen. Auch beschrieben Geheimdienstleute, sie hätten den Anwalt in seiner Wohnung getroffen.

Flut an Hinweisen

Angesichts der Flut der Hinweise erklärten SPD, CDU und Grüne im Ausschuss, es sei "erwiesen", dass Gysi von 1978 bis 1986 eine "inoffizielle Tätigkeit" für die Stasi ausübte - nicht um Oppositionellen zu helfen, sondern um "die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen". Unscharf blieb jedoch der exakte Status des Mannes mit dem Decknamen "Gregor", der mal als "Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit", mal als "IM" auftaucht.

Genau bei dieser Unschärfe hat Gysi eingehakt und wiederholt nun immerfort, er sei nie IM gewesen. Ein sogenannter IM-Vorlauf, also die Anbahnung einer regulären Zusammenarbeit mit der Stasi, wurde erst ab Oktober 1980 dokumentiert. Gysi folgert daraus, es könne also gar nicht sein, dass er schon 1979 als IM bei Havemann war. In der Stasi-Akten-Behörde verweist man dagegen darauf, dass schon vor 1980 jede Menge Informationen flossen.

So schrieb im November 1980 ein Stasi-Offizier, der Anwalt habe "in der bisherigen Zusammenarbeit Zuverlässigkeit und eine hohe Einsatzbereitschaft" gezeigt und im Prozess gegen Robert Havemann "unter strenger Einhaltung der Konspiration" berichtet. Daher solle der Kandidat "mündlich durch Handschlag verpflichtet werden und den Decknamen ,Notar' erhalten".

Gysi sagt, einen solchen Handschlag habe es nie gegeben, er habe nie wissentlich mit der Stasi kooperiert. 1986 verlor sie sowieso das Interesse. Eine "ersprießliche" Zusammenarbeit mit dem Anwalt sei nicht mehr zu erwarten. Die Akte wurde geschlossen.

Hatte Gysi den Kurs geändert? Oder nie vorgehabt, der Stasi Nützliches zu verraten? Dass er zerrissen war, ein politischer Grenzgänger, der als Ministersohn von ganz oben kam und die ganz unten vertrat, der raus wollte aus dem Schatten seines Vaters und Haken schlug, wussten viele in der DDR. Vielleicht haben manche in Kauf genommen, dass sein Kontakt nicht umsonst zu haben war.

Deckname "Notar"

Rainer Wagner, der einstige DDR-Kurier, erzählt, dass Havemann nicht gut auf Gysi zu sprechen war. 1978/79 erwog er offenbar, Gysi als Anwalt zu bestellen. Der hatte den Schriftsteller Rudolf Bahro verteidigt, auch da landete Vertrauliches bei der Stasi.

Doppeltes Spiel

"Robert war ziemlich böse auf Gysi", sagt Wagner. "Er hat gesagt, Gysi betreibt ein doppeltes Spiel." Havemann habe Gysi offenbar auch mal darauf angesprochen. Der habe ihm erklärt, um im Politbüro etwas zu bewegen, seien Kompromisse nötig. Havemann habe das wohl hingenommen.

Ob Wagner sich richtig erinnert, lässt sich heute nicht mehr klären. Gregor Gysi jedenfalls weist solche Anschuldigungen stets von sich. Die Überprüfung des Bundestags sei von Einseitigkeit und Vorurteilen geprägt, erklärte er 1998, er habe nie wissentlich Stasi-Offiziere informiert, höchstens mal einen Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht im Zentralkomitee (ZK) der SED. Womöglich habe der seine Anrufe mitgeschnitten und der Stasi durchgesteckt.

Ein ZK-Funktionär, auf den da angespielt wurde, hieß Raoul Gefroi, und er hat sich 1992 gegen den Eindruck gewehrt, Gysis Mandanten bei der Stasi angeschwärzt zu haben. In einem Brief, der der SZ vorliegt, lobt Gefroi erst Gysis Treue zu seiner Kundschaft: "Dr. Gysi hat mir niemals eine Information zugetragen, die geeignet gewesen wäre, den Interessen seiner Mandanten zu schaden."

Dafür, dass er selbst im ZK Anrufe von Gysi mitgeschnitten habe, wie Gysi nahelegte, könne er jedoch auch "keine Bestätigung" geben. Wie kamen dann die Berichte laut Akten so schnell zur Stasi? Gregor Gysi weist alle Vorwürfe zurück.

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