Süddeutsche Zeitung

Stasi-Spitzel im öffentlichen Dienst:"Dimensionen, die bisher keiner geahnt hat"

Bis zu 17.000 ehemalige Stasi-Mitarbeiter sollen noch in ostdeutschen Behörden arbeiten. Selbst im Personenschutzkommando von Kanzlerin Merkel ist ein Ex-MfS-Mann tätig.

Die Zahl ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in deutschen Behörden ist offensichtlich deutlich größer als bisher bekannt. Rund 17.000 frühere Beschäftigte des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sollen trotz Prüfungen im öffentlichen Dienst ostdeutscher Landesverwaltungen verblieben sein, berichtete die Financial Times Deutschland.

Davon arbeiteten demnach 2247 in Mecklenburg-Vorpommern, 2942 in Brandenburg, 800 in Thüringen, 4400 in Sachsen-Anhalt, 2733 in Berlin und 4101 in Sachsen. Der Ruf nach Konsequenzen wird angesichts der Enthüllungen lauter - so wird eine erneute Überprüfung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gefordert.

Am Mittwoch hatte auch das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigt, dass es nach der Wiedervereinigung einige ehemalige Stasi-Leute übernommen habe - 23 arbeiten dort heute noch. Diese Information sei jedoch nicht neu, betonte das Bundesinnenministerium. "Jeder Einzelfall ist genauestens geprüft worden", sagte ein Sprecher.

Hunderte frühere Stasi-Mitarbeiter im Polizeidienst

Die Debatte über eine bisher unbekannt hohe Zahl von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern war vergangene Woche entbrannt, als bekanntgeworden war, dass im Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg rund 100 ehemalige Offiziere der früheren DDR-Staatssicherheit arbeiten sollen. Das Innenministerium in Potsdam bestätigte nur 58 Fälle.

Auch für den Schutz des Wochenendgrundstücks von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Schutzbereich Uckermark sollen jahrelang zwei ehemalige Stasi-Offiziere verantwortlich gewesen sein. 20 Jahre nach dem Mauerfall sind nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa noch Hunderte frühere Stasi-Mitarbeiter im Polizeidienst der ostdeutschen Länder.

Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, forderte eine Offenlegung. Er gehe von mehreren zehntausend ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi in Ministerien und Behörden aus. "Das sind Dimensionen, die bisher keiner geahnt hat", sagte Schroeder der FTD. "Die Überprüfungen waren sehr standardisiert und oberflächlich", kritisierte er. So seien Zollbeamte oder Personenschützer zu großzügig behandelt worden, da sie politisch als eher unbedenklich gegolten hätten.

"Ein Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer"

Der Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Gerhard Ruden, hält eine neue Überprüfung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst für erforderlich. "Das ist eine Frage der politischen Hygiene", sagte Ruden. Aus seinen Berichten ergibt sich, dass sich damals bei 6375 Beschäftigten in Ministerien, nachgeordneten Einrichtungen und dem Landtag Hinweise auf eine hauptamtliche oder eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit (IM) ergaben. Mehr als 4400 dieser Stasi-Mitarbeiter wurden weiterbeschäftigt.

"Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst an sich ist noch nicht das Problem", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg der Mitteldeutschen Zeitung. "Das Problem ist, in welchen Positionen sie da landen." Wenn sie wie beim LKA Brandenburg in Leitungspositionen landen, dann sei das nicht hinnehmbar. "Wenn sie Pförtnerdienste machen, dann ist es hinnehmbar."

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums begründete die Übernahme von früheren Stasi-Mitarbeitern durch das BKA wie folgt: "Aufgrund des Einigungsvertrages sind sowohl vom Innenministerium der DDR als auch in wenigen Einzelfällen aus dem Bereich der Staatssicherheit Mitarbeiter übernommen worden." Einer von ihnen gehört auch zum Personenschutzkommando von Merkel. Er soll aber nicht zu ihrem direkten Schutz eingesetzt sein, sondern nur für die Aufklärung in einem Vorkommando.

"Es ist ein Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer, dass ausgerechnet die Täter von einst in sensible Bereiche übernommen wurden", sagte der Sprecher der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Ronald Lässig. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern durchsetzt sei. Die Bundesregierung müsse dringend für Aufklärung sorgen, forderte die Opfervereinigung.

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