Süddeutsche Zeitung

Start des ESM:Freie Bahn für die Euro-Retter

Es ist noch einiges zu tun, bis der Europäische Stabilitätsmechanismus tatsächlich arbeitsfähig ist. Verträge müssen hinterlegt und Zahlungen geleistet werden. Ende Oktober soll der ESM dann aber endlich starten. Erster Klient wird Spanien sein.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Erleichterung machte sich breit in Europa am Mittwochmorgen. Der Präsident des Europäischen Parlaments, der Sozialdemokrat Martin Schulz, unterbrach um 17 Minuten nach zehn die Debatte, um die Eilmeldung über den Entscheid des deutschen Verfassungsgerichts zu verlesen. Tosender Beifall brach aus. Weniger euphorisch gab sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso. "Es wurde auch Zeit", erklärte er auf Nachfrage.

In Luxemburg, dort, wo der Euro-Rettungsfonds seinen Sitz haben soll, fiel die Reaktion nur vordergründig kühler aus. "Wir machen jetzt unsere Arbeit", hieß es lapidar. Aber die Seufzer der Erleichterung drangen auch durch verschlossene Türen.

Tatsächlich ist noch einiges zu tun, bis der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, umgangssprachlich als Euro-Rettungsfonds bezeichnet, tatsächlich arbeitsfähig sein wird. Spätestens Ende Oktober, so sagt ein hoher EU-Diplomat, soll er eingerichtet sein, dann sollen auch 17 Gouverneure ihre Gründungsversammlung abgehalten haben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach am Mittwoch ebenfalls von "wenigen Wochen", bis der Fonds einsatzfähig sei. Damit würde der ursprünglich geplante Einsatztermin 1. Juli 2012 lediglich um vier Monate verfehlt.

Zunächst hat die deutsche Bürokratie das Sagen. Bundespräsident Joachim Gauck muss die beiden Gesetze zum ESM und zum Fiskalpakt unterschreiben. Dazu muss er die völkerrechtliche Ratifizierungsurkunde unterzeichnen, die anschließend in Brüssel beim Europäischen Rat hinterlegt wird. Dort liegen bereits die Urkunden von 14 Ländern. Neben der deutschen werden auch noch die estische und die italienische Urkunde erwartet, aber die Parlamente haben auch dort bereits zugestimmt.

Klappt alles so wie geplant, dann können die Finanzminister der 17 Euro-Länder schon bei ihrem nächsten Treffen am 8. Oktober in Luxemburg alle nötigen Papiere gemeinsam unterschreiben. Und damit wäre der Weg frei für den ESM.

Gleichzeitig müssen die 17 Euro-Länder beginnen, das Grundkapital des ESM aufzubauen. Insgesamt 80 Milliarden Euro soll es betragen, einzuzahlen in fünf Tranchen über drei Jahre; insgesamt 22 Milliarden davon entfallen auf Deutschland. Zwei der Tranchen sind noch in diesem Jahr fällig. Alle 17 Euro-Länder sind zu den Einzahlungen verpflichtet, auch Länder, die gegenwärtig aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF unterstützt werden.

"Auch Griechenland hat die nötigen finanziellen Mittel zurückgelegt", sagte ein EU-Diplomat am Mittwoch in Brüssel. Neben den 80 Milliarden Euro an Grundkapital geben die Euro-Länder noch Garantien in Höhe von 620 Milliarden Euro ab, sodass insgesamt 700 Milliarden Euro als Sicherheiten für die Kreditgeber bereitstehen. Diese sind nötig, damit der ESM bis zu 500 Milliarden Euro an Krediten an Euro-Länder vergeben kann. Deutschland trägt mit 190 Milliarden Euro zu dem Fonds bei: Die besagten 22 Milliarden Euro zahlt Schäuble in bar ein, weitere 168 Milliarden Euro in Form von Garantien im Bundeshaushalt.

Andere Details sind längst geklärt. Die Mitarbeiter des ESM werden in einem Gebäude zusammen mit denen des provisorischen Euro-Rettungsfonds EFSF sitzen - und allen zusammen sitzt ein Chef vor: der Deutsche Klaus Regling. Bis Mitte 2013 sollen die beiden Fonds noch parallel laufen, danach verliert der EFSF das Recht, neue Hilfskredite ausgeben zu können. Er wird allerdings als Fonds so lange bestehen bleiben, bis alle bereits ausgegebenen Kredite zurückgezahlt sind - das können leicht mehr als 30 Jahre werden.

Erster Klient des ESM wird Spanien sein. Die Regierung in Madrid hatte bereits im Frühsommer Hilfen für ihre Banken beantragt, die Euro-Länder bewilligten maximal 100 Milliarden Euro, zunächst aus dem EFSF, weil der ESM noch nicht zur Verfügung stand - allerdings mit der Maßgabe, dass diese Hilfen auf den ESM übertragen würden, sobald dieser einsatzbereit sei.

Unabhängig davon sieht es so aus, als käme der erste direkte Antrag auf Kredite aus dem permanenten Fonds aus Spanien. Premier Manuel Rajoy kündigte am Mittwoch in einem Interview an, er erwäge "die Vorteile einer Teilnahme am EZB-Programm zum Kauf von Staatsanleihen". Damit aber die Europäische Zentralbank überhaupt Staatsanleihen kauft, muss zuvor ein Antrag beim ESM gestellt werden.

Das grüne Licht aus Karlsruhe für ESM und Fiskalpakt bedeutet, dass dem unter maßgeblicher deutscher Beteiligung konzipierten großen Konzept der Euro-Staaten zur Rettung der Währung jetzt nichts mehr im Wege steht. Der ESM hilft klammen Euro-Ländern zusammen mit der Europäischen Zentralbank in größter finanzieller Not so lange, bis sie ihre Haushalte wieder in Ordnung gebracht haben. Danach soll die Schuldenbremse des Fiskalpakts verhindern, dass die Misswirtschaft erneut beginnt.

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SZ vom 13.09.2012/rela
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