Keir Starmer im Weißen Haus:Britischer Balanceakt

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Zuletzt war Keir Starmer im Weißen Haus, als die Weltordnung noch eine andere war: Im September 2024 traf er dort auf Joe Biden. (Foto: Stefan Rousseau/AP)

Als zweiter wichtiger Europäer nach Emmanuel Macron reist nun Keir Starmer zu Donald Trump nach Washington. Er lehne „jede Art von falscher Wahl zwischen dieser und der anderen Seite des Atlantiks“ ab, ließ der Premier vorab wissen.

Von Michael Neudecker, London

Vitali Klitschko war kürzlich in London, der Bürgermeister von Kiew traf den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan im schicken A Taj Hotel im St. James’ Court, in dessen Lobby es riecht wie in einem Rosenschaumbad. Danach lud Khan ein paar Auslandskorrespondenten in einen der Besprechungsräume des palastartigen Baus, auf einem Laptop wurde ein Foto des Treffens gezeigt, bei dem keine Pressefotografen dabei waren. Es sei ein ganz wunderbares Gespräch gewesen, sagte Khan. Im Übrigen sei es großartig, dass Premierminister Keir Starmer nun nach Washington reise, zu Präsident Trump, und dass Starmer bereits klargemacht habe, was er, Khan, auch Klitschko versichert habe: „Wir stehen Schulter an Schulter mit der Ukraine“, unverändert und weiterhin.

Sadiq Khan ist längst nicht der Einzige, der dem Premierminister in den vergangenen Tagen Ratschläge und Botschaften mit auf die Reise gab. Die Begegnung Starmers an diesem Donnerstag mit Trump in Washington sei gar „das wichtigste Treffen eines britischen Premierministers mit einem US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg“, schrieb der frühere Tory-Chef William Hague in der Times. „Du kannst nicht gewinnen, wenn du nicht mitspielst“, sagte Khan noch: „You can’t win it if you’re not in it.“

Dass Großbritanniens Rolle auch Gefahren birgt, weiß Starmer

Es gibt im britischen Unterhaus zwar tatsächlich ein paar Abgeordnete, die sich etwas grummelnd geäußert haben, weil Starmer nicht der erste europäische Regierungschef ist, der Trump besucht, sondern der Franzose Emmanuel Macron ihm zuvorkam. Aber das repräsentiert kaum die Sichtweise in No. 10. Im Gegenteil, Starmers Team dürfte Macrons Auftritt im Weißen Haus, das ausländischen Staatschef derzeit ja eher keine Rosenschaumbad-Atmosphäre bietet, genau verfolgt haben. Trumps erratischer Stil verlangt seriösen Diplomaten einiges ab, und dass die Rolle des Vereinigten Königreichs als einer der mächtigeren Vertreter Europas und zugleich Nichtmitglieds der EU Chancen wie Gefahren birgt, daran gibt es in Downing Street keinen Zweifel.

Wie wichtig es ihm ist, im Oval Office die Balance zu halten, unterstrich Starmer am Dienstagnachmittag im Unterhaus: Er lehne „jede Art von falscher Wahl zwischen dieser und der anderen Seite des Atlantiks“ ab. Die USA seien unser wichtigster bilateraler Partner, aber genauso wichtig sei „eine engere Zusammenarbeit mit Europa“.

Der Besucher hat bereits Signale der Entschlossenheit nach Washington gesendet

Starmers Vorgehen, keine Grundsatzentscheidung gegenüber Trumps Washington zu treffen, sondern von Tag zu Tag zu reagieren, von Trump-Ausbruch zu Trump-Ausbruch, das sei diplomatisch die geschickteste Lösung, sagt eine erfahrene britische Regierungsbeamtin und langjährige Auslandsdiplomatin im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Im Übrigen sei die Entscheidung, den früheren Labour-Minister Peter Mandelson – und damit wohl erstmals überhaupt einen Politiker und keinen Beamten – als US-Botschafter zu ernennen, die richtige. Beides dürfte der Mehrheitsmeinung in Starmers Team entsprechen. Gerade sein Bürochef Morgan McSweeney, der Starmer ebenso nach Washington begleitet wie Außenminister David Lammy, soll intern bereits davor gewarnt haben, sich von Trump zu einer Art Spielball gegen Europa machen zu lassen.

Hauptthema in Washington wird der Umgang mit der Ukraine sein. Ähnlich wie Macron dürfte Starmer versuchen, Trump zu überzeugen, dass ein Frieden dauerhaft sein und zusammen mit der Ukraine ausgehandelt werden muss. Schon vergangene Woche hatte Starmer gesagt, sein Land sei bereit, Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken. Das begrüßten nicht alle in Westminster, schließlich sind „Friedenstruppen“ letzten Endes britische Soldaten auf ukrainischem Boden, die im schlimmsten Fall in Gefechte mit der russischen Armee verwickelt werden könnten. Aber Starmer wollte offenbar ein Signal der Entschlossenheit nach Washington senden. Und er ließ am Dienstag, einen Tag vor seinem Abflug am Mittwochabend, ein weiteres folgen.

Ob Trump nach Starmers Besuch sagen wird, „dass Keir ein netter Kerl ist“?

Starmer verkündete im Unterhaus, er habe „die größte Erhöhung des Verteidigungsbudgets seit Endes Kalten Krieges“ angeordnet. Von 2027 an – und damit früher, als in London erwartet worden war – werde das Königreich 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, also 0,2 Prozentpunkte mehr als bisher. Die Erhöhung bedeute dann jedes Jahr 13,4 Milliarden Pfund (16,1 Milliarden Euro) mehr. Rechne man die Ausgaben für Geheimdienste und Sicherheitsdienste mit ein, käme man sogar auf 2,6 Prozent. Und: Für das nächste Parlament gebe es sogar das „klare Ziel“, auf drei Prozent zu erhöhen, sagte Starmer.

Um die Erhöhung zu finanzieren, würden Auslandshilfen um 0,2 Prozentpunkte reduziert, von 0,5 auf 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Er sei, sagte Starmer, „nicht glücklich“, diese Veränderung verkünden zu müssen. Aber „die Sicherheit der Bürger“ komme nun mal an erster Stelle. Donald Trump dürfte derlei gerne vernehmen.

Keir Starmer bei einer Pressekonferenz zu Verteidigungsausgaben am Dienstag. (Foto: Leon Neal/via REUTERS)

Das Bekenntnis zu höheren Verteidigungsausgaben ist eine Art Zuckerl für Trump in Starmers Reisegepäck. Immer wieder hatte der US-Präsident die europäischen Länder dafür kritisiert, dass sie im Verhältnis weniger Geld in Verteidigung investieren als die USA. Ob Trump am Ende dieser Woche sagen werde, „dass Keir ein netter Kerl ist“, das wisse man natürlich nicht, zitierte der Guardian am Montag einen Mitarbeiter aus Downing Street. Aber man hoffe doch, dass er Starmer respektiere.

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