Wenn man in No. 10 Downing Street die Treppe hochgeht, an deren Wand die Fotos früherer Premierminister hängen, dann kommt man irgendwann in ein Zimmer mit großen Bücherregalen, gelben Wänden und weinrot gemustertem Teppichboden. Als Margaret Thatcher noch die Chefin hier war, zog sie sich immer wieder zum Arbeiten in dieses Zimmer zurück, das heute deshalb „Thatcher Room“ genannt wird. An der einen Seite steht ein runder Holztisch, an der Wand gegenüber hing bis Kurzem ein Gemälde der früheren Tory-Herrscherin. Das Bild ist 2007 vom Labour-Premierminister Gordon Brown in Auftrag gegeben worden, es zeigt Thatcher in den frühen 1980ern, am Höhepunkt ihrer Macht. Sie trägt eine Handtasche, eine Brosche und einen Höhepunkt-der-Macht-Gesichtsausdruck. Das Bild fängt einen, wenn man länger davor sitzt.
Keir Starmer mag den „Thatcher Room“ auch, mehr als seine Vorgänger, die den Raum vor allem für Besprechungen und Interviews mit Journalisten nutzten. Das Zimmer sei „mein privater Ort zum Arbeiten“, sagte der Labour-Premierminister neulich in einem BBC-Interview. Und deshalb habe er das Gemälde entfernen lassen, er möge generell keine „Bilder von Personen, die mich anstarren“, schon zu seiner Zeit als Anwalt habe er von Mitarbeitern überzeugt werden müssen, Bilder von Richtern nicht abzuhängen. „Ich habe nur noch Bilder von meinen Kindern und den Katzen“, sagte Starmer. Das klingt unverfänglich, aber nichts ist unverfänglich, wenn man der neue Hausherr in Downing Street ist. Für manch Konservativen ist die Sache mit den Bildern eine ernste Angelegenheit.
Hat Starmer nichts übrig für die britische Geschichte?
Das Tory-Blatt Daily Mail verstieg sich unter Berufung auf nicht namentlich genannte Abgeordnete diese Woche sogar zur Formulierung, „die Wut auf Sir Keir“ steige wegen der abgehängten Bilder, offensichtlich habe er „nichts übrig für unsere britische Geschichte“. Starmer hatte ja – unerhört! – nicht nur das Thatcher-Gemälde abhängen lassen, sondern konsequenterweise alle Porträts, also auch eines von Queen Elizabeth I., letzte Tudor-Königin, gestorben 1603, eines von William Gladstone, Premierminister Anfang des 19. Jahrhunderts, und eines von Walter Raleigh, englischer Entdecker des 17. Jahrhunderts. Stattdessen hängen dort nun Kunstwerke der vor zwei Jahren in London verstorbenen Künstlerin Paula Rego, die zwar 70 Jahre in Großbritannien gelebt hatte und sogar in den Stand einer „Dame“ erhoben worden war. Aber halt doch, ja: im Ausland geboren wurde. Und zwar in Portugal.
Fünf ihrer Gemälde sind Teil der Kunstkollektion der britischen Regierung, darunter zwei aus der Sammlung „Crivelli’s Garden“, einer Darstellung fiktiver Szenen voller Menschen, die aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um auf Betrachter wie den Premierminister herabzustarren. Ein Sprecher von Downing Street teilte lapidar mit, man tausche eben immer wieder Gemälde im Gebäude aus, ganz besonders in diesem Jahr, in dem die Kollektion ihr 125-jähriges Bestehen feiere.
Die Bilder, die nun unter anderem Thatcher und Elizabeth I. ersetzen, haben für Kunstkritiker übrigens eines gemeinsam: Alle Macht geht von den Frauen aus.