Das Vertrauen von großen Teilen der deutschen Wissenschaft zu Bettina Stark-Watzinger (FDP), der Bundesministerin für Bildung und Forschung, scheint zunehmend zerrüttet zu sein. Einen Aufruf, der der Ministerin den Rücktritt nahelegt, haben inzwischen mehr als zweitausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschrieben (Stand Freitagmittag).
Grund für die Entrüstung in der akademischen Welt ist die Sorge um Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit. Die Leitung von Stark-Watzingers Ministerium wollte nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks Mitte Mai offenbar kurzfristig prüfen lassen, ob man politisch unliebsamen Hochschullehrern bereits bewilligte staatliche Forschungsfördermittel wieder entziehen könne. Dieses Ansinnen haben Beamte des Ministeriums laut der NDR-Recherche umgehend zurückgewiesen. Anlass für die ungewöhnliche Intervention war eine Erklärung von Lehrenden an Berliner Universitäten gewesen; diese hatten einen ihrer Ansicht nach zu frühen Polizeieinsatz gegen ein propalästinensisches Protestcamp an der Freien Universität Berlin kritisiert.
Stark-Watzingers Auffassung von Wissenschaft sei mit ihrem Amt unvereinbar
In der nun veröffentlichten „offenen Stellungnahme zum Vorgehen der Bundesbildungsministerin“ von Wissenschaftlern heißt es: „Der Entzug von Fördermitteln ad personam aufgrund von politischen Äußerungen der betreffenden Forscher:innen ist grundgesetzwidrig: Lehre und Forschung sind frei.“ Ihr Eingriffsversuch mache die Ministerin „untragbar“.
Die bislang 2270 Unterzeichner der Stellungnahme gegen Stark-Watzinger, viele davon Inhaber von Lehrstühlen, lehren überwiegend an deutschen Universitäten. Darunter sind auch öffentlich bekannte Professorinnen und Professoren wie Axel Honneth, Hartmut Rosa, Anna Katharina Mangold und Wolfgang Merkel. Betont wird, dass es in diesem Fall nicht um die Bewertung verschiedener Meinungen zum Nahostkonflikt oder zu Demonstrationen an Unis gehe, sondern grundsätzlich um das Vorgehen der Ministerin: Eine politisch motivierte Überprüfung von Forschungsgeldern „auch nur anzustoßen“, so die Stellungnahme, verrate „eine Auffassung von Wissenschaft und Wissenschaftsförderung, die mit der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht vereinbar ist“.
Die FDP-Ministerin hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht öffentlich geäußert, während sie zu anderen Themen in den sozialen Medien unverändert mitteilsam ist. Eine Staatssekretärin bestritt den Versuch, Forschungsgelder zu streichen, obwohl der interne Schriftverkehr im Ministerium diesen zu belegen scheint. Im Bundestag besteht der Wunsch, dass Stark-Watzinger sich spätestens Ende Juni im Bildungsausschuss erklärt. Nach Auffassung von Carolin Wagner, der stellvertretenden bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, wiegen die Vorwürfe allerdings so schwer, dass die Sache nicht so lange warten kann.