Stanislaw Tillich:Mut und Opfer

Anniversary of the 1956 revolution

Stanislaw Tillich (vorn) spricht vor dem ungarischen Parlament.

(Foto: Tamas Kovacs/dpa)

Der Bundesratspräsident spricht zum 60. Jahrestags des Volksaufstands in Ungarn vor dem Parlament in Budapest. Dabei schlägt er einen Bogen zu den Ereignissen von 1989.

Von Cornelius Pollmer, Budapest

Stanislaw Tillich (CDU) ist Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, er ist am Dienstag nach Ungarn gereist, und um Gemeinsamkeiten geht es bald auf den Fluren des Parlaments in Budapest. Sachsen hat sich der Welt in den vergangenen Jahren als ein tendenziell aufmüpfiges Land präsentiert, als zuweilen widerständig gegen Mehrheitspositionen der größeren Gemeinschaft, der es angehört. Über Ungarn lässt sich, mit Mut zum schiefen Vergleich, Ähnliches sagen, und dieser Mut auf den Fluren ist groß. Noch vor der Rede Tillichs vor der Nationalversammlung sagt ein Diplomat, dass die Sachsen so etwas wie die Ungarn Deutschlands seien, mit Sicherheit aber seien die Ungarn so etwas wie die Sachsen Europas.

Am Dienstag aber geht es nicht um Sachsen, denn Tillich ist in anderer Funktion angereist. Ein paar Tage lang ist er noch Präsident des Bundesrats. Er soll eine Rede halten vor dem ungarischen Parlament, das sich zum 60. Jahrestag des niedergeschlagenen Volksaufstandes versammelt hat.

Es ging in dieser Rede um die Opfer dieses Aufstandes, um ihren Mut, ihre Verdienste. Und es ging dann irgendwie doch um Sachsen, ein bisschen zumindest. Tillich erinnerte an den Volksaufstand in der DDR im Juni 1953. Auch dieser wurde niedergeschlagen, "auf brutale Weise von sowjetischen Panzern". Insofern sei der Mut der Bürger Ungarns noch höher zu bewerten, drei Jahre nach dem Scheitern des Aufstands in der DDR selbst auf die Straße zu gehen. Sie hätten dabei nicht nur für ihr Land gekämpft, "sondern für einen ganzen Kontinent", sagte Tillich, "für ein Europa, in dem sich die Menschen nach Frieden, Freiheit und einem Ende der Teilung sehnten". Selbst wenn der Aufstand auch in Ungarn durch die Sowjetarmee niedergeschlagen wurde, so ist laut László Kövér, Präsident der ungarischen Nationalversammlung, doch festzustellen: "Die Sehnsucht nach Freiheit erwies sich als Sieger", wenn auch mit Verzögerung. Die Verzögerung dauerte bis 1989. Für die Deutschen gehöre dieses Jahr "zu den glücklichsten Momenten in unserer Geschichte", sagte Tillich. Ungarn habe daran großen Anteil. Die Bilder des zerschnittenen Grenzzaunes, die Öffnung des Eisernen Vorhangs in Ungarn - diese Szenen seien um die Welt gegangen. "Dass Ungarn damals unseren Landsleuten den Weg in die Freiheit eröffnet hat, dafür werden wir Deutsche immer dankbar sein", sagte Tillich.

Der polnische Sejm-Marschall Marek Kuchciński versuchte, die Erfahrung von tatsächlicher und fehlender Freiheit politisch in die Gegenwart zu übertragen: Polen und Ungarn wüssten besonders gut, was der Preis von Freiheit sei, sagte Kuchciński. Er erinnerte an die gemeinsame Geschichte beider Länder und sprach sich für ein Europa der Nationen aus. "Wir lehnen die Politik der Vereinheitlichung der europäischen Völker entschieden ab", sagte Kuchciński - und forderte eine "rasche Erneuerung der EU".

Die Abgeordneten der sozialdemokratischen MSZP blieben der Sitzung aus Protest fern. Stanislaw Tillich traf am Dienstag auch zu Gesprächen mit Ungarns Präsident János Áder und Ministerpräsident Viktor Orbán zusammen. Mit Orbán sprach er unter anderem über die Sicherung des Schengen-Systems und die Zukunft europäischer Flüchtlingspolitik. Von den sächsischen Grünen war Tillich zuvor aufgefordert worden, "der aggressiven Rhetorik" Orbáns gegenüber der EU und auch gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich zu widersprechen.

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