Standortfragen:Unter Spannung

Anja Karliczek

Anja Karliczek muss sich Kritik aus allen Richtungen erwehren.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Der Bund will ein Forschungszentrum bauen, das Batterien entwickelt -ausgerechnet in der Heimat der zuständigen Ministerin. Das ruft Widerstand hervor.

Von Paul Munzinger

Batterien spielen für die Energiewende eine Schlüsselrolle. Von ihrer Ausdauer hängt zum Beispiel ab, wie weit Elektroautos fahren - und damit, wie massentauglich sie werden können. Deutschland aber hinkt der Konkurrenz aus Asien aktuell chancenlos hinterher. Die Bundesregierung will das ändern, Deutschland soll in der Batterieentwicklung mithalten können. Herzstück der Strategie ist ein neues Forschungszentrum, 500 Millionen Euro will die Bundesregierung investieren. Seit Freitag ist klar, wo es entstehen soll: im westfälischen Münster. Das teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) am Freitag mit. Doch von Batterien oder Aufbruchsstimmung redet seitdem eigentlich keiner mehr, stattdessen hagelt es Kritik am Ministerium. Der Hauptgrund: Der Wahlkreis von Ministerin Anja Karliczek (CDU) grenzt nicht nur direkt an Münster; ein Teil des geplanten Komplexes soll zudem in Ibbenbüren entstehen - Karliczeks Heimatstadt.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nannte die Standortwahl am Dienstag "irritierend". Tags zuvor hatte er sich mit den Ministerpräsidenten aus Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), per Brief bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschwert. Mit Augsburg, Ulm und Salzgitter hätten aus den drei Ländern "herausragende Standortbewerbungen" vorgelegen, die alle bereits über die Infrastruktur für eine Forschungsfabrik verfügten. Dagegen ziehe die Entscheidung für Münster "wohl einen langwierigen Aufbau neuer Strukturen" nach sich; "wertvolle Zeit im Wettlauf gegen Deutschlands Wettbewerber" gehe so verloren. Ein "fatales Signal" sei es, "Standortentscheidungen von solcher Tragweite überwiegend nach strukturpolitischen Erwägungen zu treffen". Die Ministerpräsidenten forderten Merkel auf, die Entscheidung nochmals zu prüfen und "transparent und nachvollziehbar" darzulegen.

Ein schwarzer, ein roter und ein grüner Ministerpräsident beschweren sich bei der Kanzlerin

Brisant ist das Schreiben vor allem deshalb, weil Söder, Kretschmann und Weil den Vorwurf erheben, das BMBF habe sich über die Empfehlungen der am Auswahlprozess beteiligten Wirtschaftsvertreter sowie der Fraunhofer-Gesellschaft hinweggesetzt; die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit dem Aufbau und dem Betrieb der Forschungsfabrik beauftragt. "Soweit bekannt", schreiben die Ministerpräsidenten, hätten beide nicht für Münster votiert. "Vielmehr sah die Auswertung der Fraunhofer-Gesellschaft andere Standorte, wie zum Beispiel Ulm, Salzgitter und Augsburg, an der Spitze des Bewerberfeldes."

Die Fraunhofer-Gesellschaft äußerte sich dazu auf Anfrage nicht. Das BMBF wies die Kritik zurück. Sechs Standorte habe man insgesamt um eine Bewerbung gebeten, weil sie in der Batterieforschung hohe Kompetenz aufwiesen. In einem dreistufigen Verfahren hätten zunächst die Fraunhofer-Gesellschaft und dann Industrievertreter die Bewerber begutachtet. Münster und Ulm hätten sich als Favoriten herausgestellt, ein explizites Votum aber hätten die Experten nicht abgegeben.

Bei der Entscheidung des Ministeriums - Schritt drei - sei es nur darum gegangen, "welches Konzept für die Batterieforschung in Deutschland den höchsten Grad an Exzellenz aufweist und welches Konzept den breitesten Nutzen für die Wirtschaft bringt", teilte Karliczek am Dienstag mit. Für Münster, hatte sie am Montag im ARD-Mittagsmagazin gesagt, habe das Gesamtpaket gesprochen, das unter anderem das Recyceln der Batterien in einem stillgelegten Steinkohlekraftwerk in Ibbenbüren vorsieht. Die Entscheidung für Münster, betonte Karliczek, sei "defintiv nicht von mir" getroffen worden, sondern von der Fachabteilung im BMBF in Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsministerium.

Die Grünen riefen Karliczek am Dienstag dazu auf, "volle Transparenz über die Entscheidungsfindung" herzustellen. Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der Grünenfraktion im Bundestag, sagte: "Sollte sich erhärten, dass das Bundesforschungs- und Bundeswirtschaftsministerium sich entgegen der fachlichen Einschätzung zugunsten Karliczeks Heimat entschieden haben, wäre dies ein Skandal."

Auch der Koalitionspartner SPD übte deutliche Kritik an der Standortentscheidung. Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, warf Karliczek in einem Brief am Montag einen "groben Fehler" vor. Ein Zentrum für Batteriezellenforschung hätte man etwa in der Lausitz schaffen können; der Strukturwandel verlange gerade den Menschen in den ostdeutschen Braunkohleregionen viel ab. Die Wahl Münsters dagegen trage "vor allem dazu bei, die Glaubwürdigkeit von Politik zu untergraben".

Das BMBF betont, dass von den 500 Millionen Euro nicht nur Münster, sondern auch die fünf leer ausgegangenen Bewerber profitieren sollen. Das sind außer Augsburg, Ulm und Salzgitter Itzehoe und Dresden. Die Lausitz war nie zur Bewerbung aufgefordert worden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: