Süddeutsche Zeitung

Ratingagentur droht Euro-Staaten mit Herabstufung:S&Ps Botschaft verdient Gehör

Seit sich Rating-Agenturen mit Fehlurteilen blamierten, will kaum jemand mehr auf sie hören. Allerdings sollte die Analyse von Standard & Poor's beachtet und nicht als feindliche Verschwörung abgetan werden. Mit Ausnahme von Griechenland seien die Staatsdefizite der europäischen Staaten nicht Ursache, sondern Folge der Krise.

Moritz Koch, New York

Das Missverständnis beginnt bereits mit der Terminologie. Wann immer in Deutschland das drohende Ende des Euro thematisiert wird, ist von einer Schuldenkrise und von Defizitsündern die Rede. Als Ursache der Misere wird ein Vertrauensverlust diagnostiziert, den sich südeuropäische Länder durch ausufernde Staatsausgaben eingehandelt hätten. Doch ausgerechnet die Experten der Rating-Agentur Standard & Poor's - also jene Kreditwächter, die in der deutschen Diskussion so oft als Verfechter eines strikten Sparkurses herhalten müssen - sehen in der Schuldenfixierung eine gefährliche analytische Verengung: Mit Ausnahme Griechenlands, sagt S&P, seien die Staatsdefizite nicht Ursache, sondern Folge der Krise.

Dieses Kalkül liegt der Entscheidung zugrunde, nach der Herabstufung der Bonität von Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland, Irland und Portugal auch die Spitzennoten von Finnland, Österreich, der Niederlande und Deutschland in Frage zu stellen - von Ländern also, die als Stabilitätsanker des gesamten Euro-Raums gelten. Die Reaktion war vorhersehbar. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und andere Berliner Politiker skizzierten Verschwörungstheorien, nach denen sich die dunklen Mächte der Wall Street verbündet hätten, um sich am Scheitern des Euro zu bereichern.

Auch Hans Reckers vom Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands zürnte: "Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar. Deutschland hat seine Neuverschuldung erheblich reduziert und mit der Schuldenbremse ein wirksames Instrument mit Vorbildcharakter für Europa geschaffen." Offenbar ist kaum jemand mehr bereit, sich mit den Argumenten von S&P auseinanderzusetzen. Das ist verständlich angesichts der Fehlurteile, mit denen sich Rating-Agenturen während der Finanzkrise blamierten. Dennoch ist es ein Fehler, den Überbringer schlechter Nachrichten zum Feind Europas zu erklären.

Sparen allein wird die Krise nicht lösen

S&Ps Einschätzungen können helfen, das verlorene Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro wiederherzustellen und die Euro-Krise zu lösen. Die vielleicht wichtigste Botschaft der Rating-Agentur ist: Sparen allein wird die Krise nicht lösen, sondern sie wahrscheinlich sogar verstärken. "Während sich die europäische Wirtschaft abkühlt, erwarten wir, dass ein Reformprozess, der allein auf der Säule von Sparanstrengungen ruht, zwecklos ist, wenn die Sorgen der Bürger um Jobs und Einkommen wachsen, die Nachfrage schrumpft und die Steuereinnahmen der Staaten erodieren", schreibt S&P. Und wahr ist auch: Je tiefer Südeuropa in den Sog der Krise gerissen wird, desto größer werden die Belastungen, die der finanzstarke Norden schultern muss, um den Euro zusammenzuhalten.

Bleibt die Frage: Warum kommt die Warnung so kurz vor dem EU-Gipfel? Erstens folgt S&P mit der Warnung, dass die AAA-Länder schon bald ihre Bestnoten verlieren könnten, nur der Einschätzung der Anleihemärkte, auf denen sich diese Gefahren längst in den Preisen widerspiegeln. Zweitens hatten die Europäer bei ihren Gipfeln im Frühjahr und im Sommer Gelegenheit, die Krise zu lösen - und scheiterten auf ganzer Linie, auch weil die Kur, die Merkel und Sarkozy dem Rest Europas verschreiben, zumindest in Teilen aus Sicht der Rating-Agenturen auf der Fehldiagnose der mediterranen Verschwendungssucht beruht.

Die amerikanische Sicht der Dinge

Was also ist die Alternative zu einer Sparpolitik, die vom Berliner Kanzleramt so gern als alternativlos ausgegeben wird? Die Antwort von S&P lautet: Eine Politik, welche nicht nur die Staatsverschuldung eingrenzt, sondern auch die ökonomischen Ungleichgewichte in der Euro-Zone behebt. Der abstrakte Begriff der Ungleichgewichte beschreibt die Spaltung Europas in Volkswirtschaften mit Handelsdefiziten und Volkswirtschaften mit Handelsüberschüssen. Erstere konsumieren mehr als sie erwirtschaften und müssen sich die Differenz im Ausland leihen. Letztere erwirtschaften mehr, als sie konsumieren, und verleihen das überschüssige Geld.

Um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren genügt es nicht, allein Sparanstrengungen von Defizitstaaten zu fordern. Genauso wichtig ist es, die Wirtschaft, vor allem den Exportsektor der betroffenen Länder mit gezielten Investitionsprogrammen zu stärken. Und auch die Überschussstaaten müssen sich ändern, wenn der Euro Bestand haben soll, allen voran Deutschland. Es gilt, die Binnennachfrage und den Dienstleistungssektor zu stärken. Das muss nicht durch höhere Lohnabschlüsse geschehen, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie gefährden würde. Etwa die Erleichterung von Unternehmensgründungen wäre der bessere Weg. Doch während Merkel Schocktherapien für Europa fordert, verliert sich ihre Koalition im Klein-Klein. Das ist die amerikanische Sicht der Dinge: Europa braucht mehr als nationale Schuldenbremsen und supranationale Sanktionsmechanismen. Europa braucht ein Konzept für ein ausgeglichenes Wachstum.

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SZ vom 07.12.2011/fran
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