Stalinismus:Abrechnung eines Verbannten

Stalinismus: Porträts von Sowjet-Diktator Stalin in seinem georgischen Geburtsort Gori.

Porträts von Sowjet-Diktator Stalin in seinem georgischen Geburtsort Gori.

(Foto: AFP)

Bereits 1990, im Jahr des Zusammenbruchs der Sowjetunion, erschien die pointierte Analyse des Historikers Wolfgang Ruge. Dreißig Jahre später ist sie neu aufgelegt worden.

Rezension von Rudolf Walther

Das Beachtlichste an dem schmalen Band ist sein erstes Erscheinen 1990, wenige Wochen nach dem Zusammenbruch der DDR und der SED-Herrschaft. Dem Buch vorangegangen waren zwei Essays, die im Januar 1990 in der ostdeutschen Wochenpost und im Neuen Deutschland unter dem Titel "Wer gab Stalin die Knute in die Hand?" erschienen.

Die Einleitung der Sozialwissenschaftlerin Renate Hürtgen in der nun neu aufgelegten Fassung informiert sachkundig über die Biografie des Autors. Der Erscheinungstermin des Buches belegt, dass einzelne Wissenschaftler bereits zu DDR-Zeiten kritisch über die Epoche des Stalinismus nachdachten, aber ihre Ergebnisse unter der Zensur nicht publizieren konnten. Insofern ist Wolfgang Ruges Buch ein Produkt der "inneren Verbannung" (Renate Hürtgen) und obendrein Zeugnis für die Biografie des Autors.

Die Eltern des 1917 geborenen Wolfgang Ruge, der 2006 gestorben ist, waren Kommunisten und flohen deshalb 1933 in die Sowjetunion. Sein Sohn Eugen Ruge (geb. 1954) erhielt 2011 den Deutschen Buchpreis für den Roman "In Zeiten abnehmenden Lichts", in dem er die Geschichte der Familie in der DDR beschreibt.

2019 folgte mit "Metropol" seine Darstellung des Lebens der Familie im Exil. Wolfgang Ruge verbrachte 23 Jahre in der Sowjetunion, davon 15 in Lagern in Kasachstan und Sibirien, wohin viele exilierte deutsche Kommunisten verbannt wurden.

Stalinismus: Wolfgang Ruge: Stalinismus - eine Sackgasse im Labyrinth der Geschichte. (zuerst Deutscher Verlag der Wissenschaften, Ostberlin 1990). Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2020. 192 Seiten, 12 Euro.

Wolfgang Ruge: Stalinismus - eine Sackgasse im Labyrinth der Geschichte. (zuerst Deutscher Verlag der Wissenschaften, Ostberlin 1990). Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2020. 192 Seiten, 12 Euro.

Die Familie Ruge konnte erst drei Jahre nach Stalins Tod 1956 in die DDR übersiedeln. Hier war Ruges Vergangenheit in Lagern und in der Verbannung ein Tabu, über das eisern geschwiegen wurde. Erst drei Jahre vor Ruges Tod erschien 2003 seine Autobiografie. Von 1958 bis zu seiner Emeritierung 1983 war der Historiker im "Institut (später Zentralinstitut) für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR" beschäftigt.

Wolfgang Ruge erhebt nicht den Anspruch, eine Geschichte des Stalinismus zu bieten, sondern konzentriert sich aus der Perspektive des Zeitzeugen auf zwei wesentliche Aspekte.

Verwurzelt in der zaristischen Tradition von Autoritarismus, Gewalt und Willkür

Zum einen die aus der Marx'schen Tradition übernommene, von Lenin radikalisierte Sicht der Geschichte, die nicht als offen gedacht wird, sondern dem angeblich "unüberwindlichen Gang der historischen Entwicklung der Menschheit zum Kommunismus folgt", wie es noch im ZK-Beschluss zur Überwindung des Personenkults Stalins vom 30. Juni 1956 hieß.

Zu diesem Determinismus gehören privilegierte Akteure - "das" Proletariat und "die" Partei, die beide unabhängig von der konkreten geschichtlichen Situation und ihrer zufälligen Verfasstheit handeln.

Der zweite Faktor, der den Stalinismus und die ganze stalinistische Epoche bestimmte, war für Ruge die Verwurzelung von Stalins Staat und Herrschaft in der zaristischen Tradition von Autoritarismus, Gewalt und Willkür, die dem Diktator als "Sprungbrett" dienten.

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