Süddeutsche Zeitung

Sachsen-Anhalt:Der Bruch in der CDU ist da

Ministerpräsident Haseloff entlässt Innenminister Stahlknecht, obwohl der CDU-Landesvorsitzender ist. Der kündigt daraufhin seinen Rücktritt vom Vorsitz an. Die Kenia-Koalition ist dadurch aber noch lange nicht gerettet.

Von Ulrike Nimz und Robert Roßmann, Leipzig/Berlin

Es sind Sätze, die das Zeug haben, eine Koalition zu sprengen, die Holger Stahlknecht da für ein Interview freigegeben hat. "Die CDU wird ihre Position nicht räumen", erklärt Sachsen-Anhalts CDU-Chef apodiktisch in der Magdeburger Volksstimme zum Streit um den Rundfunkbeitrag. Anders als SPD und Grüne will die CDU einer Beitragsanhebung um 86 Cent nicht zustimmen - genauso wie die AfD. Die bundesweit erste Kenia-Koalition droht über dem Streit zu zerbrechen. Doch anstatt einen Kompromiss anzustreben, hat Stahlknecht am Freitag den Ton verschärft: Die öffentlich-rechtlichen Sender würden "nicht auf Augenhöhe, sondern mit dem erhobenen Zeigefinger der Moralisierung" berichten und ostdeutsche Realitäten nur unzureichend abbilden, klagt der CDU-Chef.

"Ich gehe davon aus, dass sich beide ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst sind und nicht von sich aus die Koalition beenden", appelliert Stahlknecht an SPD und Grüne. Andernfalls käme es bis zur Landtagswahl im Juni 2021 zu einer von der CDU geführten Minderheitsregierung.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) schließt ein solches Szenario kategorisch aus. Am Freitagnachmittag - wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Interviews - hat er Stahlknecht deshalb als seinen Innenminister entlassen. Anders gesagt: Der CDU-Ministerpräsident hat den CDU-Landesvorsitzenden aus seinem Kabinett geworfen. Selbst altgedienten Christdemokraten fällt es schwer, sich an einen vergleichbaren Fall zu erinnern.

Wesentlicher Grund für die Entlassung Stahlknechts sei eben jenes - unabgesprochene - Interview, heißt es aus der Staatskanzlei. Das Vertrauensverhältnis zum Innenminister sei "schwer gestört". Man versuche weiterhin im "demokratischen Spektrum" eine Lösung für den Rundfunkstreit zu finden - und wolle keinesfalls auf eine Unterstützung durch die AfD angewiesen sein.

"Erstmal nur die nächste Runde im Machtkampf der CDU"

Ursprünglich hatten die drei Koalitionsparteien beschlossen, bis zur Sitzung des Medienausschusses des Landtags am kommenden Mittwoch eine Art Burgfrieden zu halten, im Stillen zu verhandeln und sich nicht zu äußern. "Wer dann trotzdem ohne Absprache den Koalitionsbruch ins Spiel bringt, kann nicht im Kabinett bleiben", so Regierungssprecher Matthias Schuppe.

Für den Grünen-Chef Sebastian Striegel ist die überraschende Entlassung "erstmal nur die nächste Runde im Machtkampf der CDU". Die Linke und die FDP haben Haseloff bereits aufgefordert, im Landtag die Vertrauensfrage zu stellen, um die Machtverhältnisse zu klären. Am Abend kündigt Stahlknecht dann seinen Rückzug von der Parteispitze an "um Schaden von meiner Partei, meiner Funktion, meiner Familie und mir abzuwenden".

Der bisherige CDU-Chef war lange als Nachfolger von Haseloff gehandelt worden, zuletzt jedoch durch eine Reihe von Fehltritten aufgefallen. So wollte er den umstrittenen Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zum Staatssekretär machen. Nach seiner Aussage, der Schutz jüdischer Einrichtungen binde zu viele polizeiliche Kapazitäten, sah Stahlknecht sich in seiner Rolle als Innenminister mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Kurz zuvor hatte er Haseloff den Vortritt bei der Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im kommenden Jahr überlassen.

"Wichtige Kräfte der CDU nach rechts offen"

SPD-Fraktionschefin Katja Pähle lobte Haseloff für seine klare Haltung. Aber der Konflikt um die Ausrichtung der CDU sei damit noch nicht entschieden. "Das Interview von Stahlknecht hat gezeigt, dass wichtige Kräfte in der CDU nach rechts offen sind", sagte Pähle. Sie "appelliere an die Führung der Bundes-CDU, sich in dieser Krisensituation nicht vor ihrer Verantwortung zu drücken und sich dafür stark zu machen, dass die CDU in Sachsen-Anhalt klar und unmissverständlich jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt".

Vor der Entlassung seines Innenministers hat Haseloff Rücksprache mit Annegret Kramp-Karrenbauer gehalten. Die CDU-Chefin bestärkte ihn, durchzugreifen. Auch in Berlin ist man über das Interview Stahlknechts entsetzt. Dort ärgert man sich vor allem über die Verquickung von inhaltlicher Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen und der geplanten Beitragserhöhung. Die CDU sei eine Verfechterin der Pressefreiheit, derlei gehe überhaupt nicht, heißt es im Konrad-Adenauer-Haus.

CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer meldet sich zu Wort

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und andere Bundespolitiker haben Kramp-Karrenbauer schon seit Tagen dazu aufgerufen, sich auch öffentlich zu dem Fall zu erklären. Darauf hatte die CDU-Chefin bisher verzichtet - auch weil Aufforderungen des Bundes in Sachsen-Anhalt leicht Trotzreaktionen auslösen. Am Freitag nahm sie aber dann doch zum ersten Mal Stellung. "Die CDU steht dafür, dass sich die Menschen auf sie verlassen können gerade in schwierigen Zeiten", sagte Kramp-Karrenbauer. Das habe Haseloff "heute deutlich gemacht". Sie hoffe, dass in Sachsen-Anhalt jetzt "alle verantwortlichen Kräfte gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten für politische Stabilität sorgen". Haseloff habe dafür entsprechende Vorschläge gemacht. Die Entscheidung liege "jetzt insbesondere bei SPD und Grünen, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst werden müssen".

Die CDU-Chefin versucht damit den Ball ins Feld der politischen Konkurrenz zu spielen. Schließlich hatten sich SPD und Grüne im Magdeburger Koalitionsvertrag ja auch für Beitragsstabilität ausgesprochen. Aber natürlich wissen sie auch in der CDU-Zentrale, dass es längst nicht mehr nur um die Beitragshöhe geht - sondern um die Ausrichtung der CDU in dem Bundesland.

Haseloff ist für Kramp-Karrenbauer so etwas wie das letzte politische Bollwerk in Sachsen-Anhalt. Solange Haseloff Ministerpräsident sei, werde es mit Sicherheit keine Zusammenarbeit mit der AfD geben, glauben sie in Berlin.

Die Spannungen zwischen CDU, SPD und Grünen sind gewaltig

Nicht mehr sicher ist man sich hingegen, ob die Magdeburger Kenia-Koalition die kommenden Tage überstehen wird. Zu groß sind die Spannungen zwischen CDU, SPD und Grünen geworden, zu zerrissen ist Sachsen-Anhalts CDU. Daran ändern auch die Appelle der Ministerpräsidenten anderer unionsgeführter Bundesländer an die widerborstige Magdeburger Landtagsfraktion nichts.

Und so gibt es nur eines, was die Bundes-CDU etwas beruhigt: Dass Sachsen-Anhalts Landeshaushalt bereits beschlossen ist. Falls die Koalition bricht, und es zu einer CDU-geführten Minderheitsregierung kommt, kann diese die sechs Monate bis zur Landtagswahl im Juni deshalb wohl überstehen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD wollen zumindest Haseloff und die Bundes-CDU auch dann unter allen Umständen verhindern - gegen Bestrebungen aus der eigenen Partei. Seit Freitag wird dieser Machtkampf auch offen ausgetragen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5138215
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/stad
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.