Süddeutsche Zeitung

Stahlindustrie:Die Stifter und die Lenker

Hans Günter Hockerts hat eine fundierte Studie über Gründung, Politik und Taktik der Fritz Thyssen Stiftung verfasst. Sie war, zumindest am Anfang, nicht nur zur Förderung der Wissenschaften gedacht.

Von Tim Schanetzky

Im November 1941 kam in London ein Buch mit dem Titel "I paid Hitler" heraus; zu einem Zeitpunkt des Zweiten Weltkriegs, als der deutsche Herrschaftsbereich in Europa seine größte Ausdehnung erreicht hatte. Sein Autor schien Fritz Thyssen zu sein, obwohl der nach Südfrankreich geflohene Industrielle die Arbeit an der Autobiografie nie hatte abschließen können. Der Kontakt zu seinem Ghostwriter riss ab, weil die Vichy-Regierung Thyssen an die Gestapo auslieferte. Unter den deutschen Großindustriellen war Thyssen nämlich ein doppelter Sonderfall - weil er Hitler ungewöhnlich früh finanziell unterstützt, 1939 dann aber offen mit dem Regime gebrochen hatte und aus Deutschland geflohen war. Für diese Kritik büßten Thyssen und seine Frau Amélie mit einer mehr als vierjährigen Haft in Sachsenhausen, Buchenwald, Dachau und schließlich als Geiseln der SS, ehe Wehrmachtssoldaten sie in Südtirol befreiten. Doch nach dem Ende des Weltkriegs überstrahlte "I paid Hitler" alles.

Thyssen-Manager Sohl setztedie "Memorialpolitik" der Witwefür seine Interessen ein

In seiner minutiös aus bisher unzugänglichen Archivquellen gearbeiteten Studie demonstriert Hans Günter Hockerts, wie peinigend die Erinnerung an dieses Buch für Amélie gewesen sein muss, zumal nach dem Tod ihres Mannes 1951, dessen Andenken sie zu pflegen gedachte. Der Münchner Emeritus für Zeitgeschichte schildert anschaulich, mit welchem taktischen Geschick der Thyssen-Manager Hans-Günther Sohl die "Memorialpolitik" der Witwe für seine Interessen einzusetzen verstand. Ihm ging es vor allem darum, seinen ehr-geizigen Fusions- und Expansionskurs gesellschaftspolitisch abzusichern. Hier nämlich lag der Ursprung der Stiftungskonzeption: In der späten Adenauerzeit sorgte man sich vor der "Konzentration" der Wirtschaft, und selbst der Kanzler malte das Schreckgespenst eines neuen "Wirtschaftsfeudalismus" an die Wand. Die Übertragung eines nominell fast hundert Millionen Mark schweren Aktienpakets auf die 1959 errichtete Fritz Thyssen Stiftung sollte politische Bedenken gegen eine weitere Großfusion ausräumen.

Aus Sohls Sicht hatte sie aber noch einen weiteren Vorzug: Sie schützte einen wichtigen Teil des Thyssen-Vermögens vor dem direkten Zugriff der in Argentinien lebenden Enkel des Firmengründers August Thyssen. In diesem Misstrauen gegenüber den Erben war er sich mit Amélie, die er mit Raffinement umwarb, offenbar einig. Ein Steuersparmodell war die Stiftung hingegen nicht. Bonn war in die Pläne eingeweiht, Adenauers Vertrauter Robert Pferdmenges zugleich der wichtigste Ratgeber Amélie Thyssens. Weil alle Beteiligten "sozialkatholische Spurenelemente verinnerlicht" hatten, galt es nicht nur, den Namen Fritz Thyssen in ein freundliches Licht zu rücken, sondern mit der Stiftung zugleich die "christlich-konservative Weltanschauung" zu bewahren.

Deshalb stand früh fest, dass die Fritz Thyssen Stiftung außer der medizinischen vor allem die geisteswissenschaftliche Forschung fördern und gemeinnützig sein sollte. Damit befand sie sich bis in die 1990er-Jahre in einem dauernden Zielkonflikt: Jede Kapitalerhöhung des Konzerns stellte die Stiftung vor das Problem, Dividendeneinnahmen für den Erwerb neuer Aktien einsetzen oder gar Kredite aufnehmen zu müssen, sofern sie ihre Aktionärsposition verteidigen wollte - zulasten der Wissenschaftsförderung und als Bedrohung der Gemeinnützigkeit. Weil die Stiftung zugleich als Stabilitätsanker für die Thyssen-Aktionäre diente, weckte sie immer wieder Begehrlichkeiten. Zur Zeit der Stahlkrise hätte das Thyssen-Management den Großaktionär jedenfalls gern einer direkten Kontrolle unterstellt. Auch Amélies Tochter Anita Gräfin Zichy-Thyssen versuchte Einfluss auf die Stiftung auszuüben. Beide Angriffe wehrten deren Gremien erfolgreich ab.

Männer wie der CDU-Außenpolitiker Kurt Birrenbach oder der Frankfurter Rechtshistoriker Helmut Coing - Frauen gab es in den Stiftungsgremien zur Zeit der Bonner Republik nicht - steuerten die Politik der Stiftung drei Jahrzehnte lang, und sie waren selbstbewusst genug, deren Wissenschaftlichkeit demonstrativ herauszustellen. So suchten sie die Kooperation mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und mit der Volkswagen Stiftung. Gemessen an den Etats dieser Institutionen war die Fritz Thyssen Stiftung, die jährlich meist einstellige, in guten Stahljahren auch niedrige zweistellige Millionenbeträge zur Wissenschaftsförderung einsetzte, ein kleiner Akteur. Dennoch nützte die Kooperation beiden Seiten, weil die Stiftung flexibler war und immer dann einspringen konnte, wenn sich das öffentliche Haushaltsrecht als unüberwindliches Hindernis erwies.

Gerade im Anfangsjahrzehnt zeigten sich aber auch Nachteile dieser Flexibilität: Weil die Stiftung eigene Themenschwerpunkte entwickeln wollte, wurden manche Vorhaben recht informell und auf Zuruf bewilligt. Langjährige Förderschwerpunkte, etwa in der Rechtsgeschichte oder der klassischen Archäologie, ergaben sich unmittelbar aus der personellen Gründungskonstellation. Hockerts zeigt eindrucksvoll, dass hier bald eine Professionalisierung der Verwaltung wie der Begutachtungspraxis einsetzte. In den Stiftungsgremien waren liberal-konservative Wissenschaftler wie der Philosoph Joachim Ritter und später sein Schüler Hermann Lübbe tonangebend. Sie standen fest auf dem Boden des Grundgesetzes und brachen bald mit älteren konservativen Traditionen wie etwa der Abendlandmythologie.

Erst in den 1990er-Jahrenemanzipierte sich die Stiftungdann vom Unternehmen

Daneben sorgte aber der Einfluss des Kuratoriumsvorsitzenden Kurt Birrenbach für eine inhaltlich-politische Kontinuität, die bis in die 1980er-Jahre reichte. So knüpfte der Förderschwerpunkt "Das 19. Jahrhundert" bewusst an positive Traditionen der deutschen Geschichte an; im "roten Jahrzehnt" suchte die Stiftung dann die Kooperation mit dem "Bund Freiheit der Wissenschaft", und bei der Förderung der "Preußen-Renaissance" der frühen 1980er-Jahre dachte Birrenbach an die Pflege von "Traditionen, deren Anerkennung heute in der Bundesrepublik wichtiger wäre denn je".

Erst in den 1990er-Jahren emanzipierte sich die Stiftung dann vom Unternehmen wie von den weltanschaulichen Positionen ihrer Gründer: Der Generationswechsel in den Gremien sorgte für eine weltanschauliche Öffnung. Die Bindung an das Unternehmen hingegen wurde fast vollständig gekappt und die Anlage des Kapitals so weit diversifiziert, dass die Stiftung heute nur noch mit weniger als drei Prozent an der ThyssenKrupp AG beteiligt ist. Auf eine ähnliche Beteiligungsquote kommt der Hedgefonds Elliott, der momentan die Zerschlagung des Mischkonzerns betreibt.

Tim Schanetzky lehrt als Privatdozent Neuere und Neueste Geschichte in Jena. Zuletzt erschien von ihm "Kanonen statt Butter". Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich (C.H. Beck, München).

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SZ vom 20.08.2018
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