Stadtluft:Mit Gasmaske und Mundschutz

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In 29 deutschen Regionen werden EU-Grenzwerte überschritten, hier der Mittlere Ring in München. (Foto: Florian Peljak)

Hamburgs Bürgermeister ruft die Manager der Autoindustrie zum Krisengipfel.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Draußen im Nieselregen standen Männer und Frauen der Umweltschutzorganisation BUND, manche von ihnen trugen eine Gasmaske. Auf ihrem Plakat hatten sie Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz einen Mundschutz angelegt. "Sie halten sich an die Gesetze, und wir müssen nicht mehr die Luft anhalten", riet die Collage. Drinnen im Rathaus berieten der Gastgeber Scholz und weitere Politiker am Montag mit der Automobilindustrie, wie sich die Luft in deutschen Städten verbessern lässt, ehe es bei Mensch und Gesetz noch unangenehmer wird.

Die Versammlung auf Initiative des SPD-Vize war eine Ouvertüre, an diesem Dienstag besuchen Spitzenmanager der Branche dann Bundeskanzlerin Angela Merkel. Denn die Zeit drängt nicht nur, weil viele Lungen die Abgase zu spüren bekommen. Sondern auch deshalb, weil Deutschlands Versäumnisse ein Fall für Europa und die Justiz sind. In 29 deutschen Regionen, darunter den wichtigsten Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und Köln, wird der EU-Grenzwert für giftiges Stickstoffdioxid (NO₂) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter übertroffen. NO₂ kann zu Atemwegserkrankungen bis hin zu Krebs führen, vor allem Straßenverkehr und Schiffe belasten die Anwohner.

Die Hafenstadt Hamburg wurde wegen ihrer schlechten Luft mehrfach von Brüssel abgemahnt. Und im November 2014 forderte das Verwaltungsgericht den rot-grünen Senat auf, die Werte schleunigst einzuhalten. Das ist laut des Klägers BUND aber trotzdem nicht passiert, weshalb die Naturschützer Strafmaßnahmen erwirken wollen, falls bis Sommer kein neuer Luftreinhalteplan verabschiedet sei. Hausherr Scholz erinnerte auch an Stuttgart, wo der grüne Kollege Fritz Kuhn kürzlich Feinstaubalarm ausgelöst und seine Mitbürger dazu aufgefordert hatte, ihren Pkw stehen zu lassen. Kuhn stellte Zwangsmaßnahmen wie Fahrverbote ins Aussicht, falls der freiwillige Verzicht bis Ende 2017 nicht spürbar sei. In verpesteten Weltmetropolen wie Mexiko-Stadt oder São Paulo gibt es die verordneten Pausen je nach Wochentag und Kennzeichen längst. Um Verbotsszenarien in Deutschland vorzubeugen, so Scholz, "muss der Anteil der emissionsarmen und emissionsfreien Fahrzeuge drastisch gesteigert werden."

Also bemühen sich die Hüter über den Asphalt trotz abstruser Engpässe nicht unbedingt um weniger Autos, wobei zum Beispiel Hamburgs Grüne den Fahrradanteil auf sportliche 25 Prozent steigern wollen. "Unser Ziel ist mehr Mobilität mit weniger Emissionen", erläuterte Verkehrsminister Alexander Dobrindt. "Denn besserer Verkehrsfluss heißt weniger Staus, heißt weniger Abgase", das ist seine Gleichung.

Ungehemmte Bewegungsfreiheit bleibt das Mantra. Elektromotoren, gespeist von Windenergie, wären recht sauber, sind aber selten. Dobrindt verspricht zwar bessere Infrastruktur mit mehr Ladestationen. Olaf Scholz indes erinnert daran, dass unter den 3,19 Millionen neu zugelassenen Pkws 2015 nur 10 000 E-Mobile waren. Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie und früher Verkehrsminister, kam zwar mit dem Zug nach Hamburg und ließ sich von einem städtischen E-Auto vom Bahnhof abholen. Er warb aber sogleich für moderne Dieselmotoren, obwohl Dieselmotoren seit dem VW-Skandal mäßig beleumdet sind. In einem Statement von VW-Chef Matthias Müller heißt es: "Der wirksamste Beitrag für Umweltschutz und Luftqualität ist der Austausch alter gegen neuer Fahrzeuge." So lässt sich auch mit einer Krisensitzung Reklame machen.

© SZ vom 02.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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