Staatsschulden in Island:Referendum der Wut

Die Pleitebank Icesave hat 300.000 Isländern Milliardenschulden eingebrockt. Doch die finden es ungerecht, dass sie für Unternehmensfehler haften sollen - und stimmen nun im Zorn ab.

G. Herrmann, Reykjavik

Wut ist ein Gefühl, das sich schwer kontrollieren lässt. Erla Osk Asgeirsdottir hat es fast geschafft. Auf die Bankenpleite angesprochen, sagt die Isländerin: "Ich möchte nicht wütend sein." Ihre blaugrauen Augen blicken dabei ruhig nach vorne, doch die Hände ballt sie fest zusammen, die Fingernägel graben sich in den Handrücken. "Wir müssen jetzt in die Zukunft blicken." Die 32-Jährige weiß, dass manchem Isländer allein dieser Satz die Zornesröte ins Gesicht treiben würde. Auch, weil er ausgerechnet von ihr kommt.

Erla Osk ist Abgeordnete der konservativen Unabhängigkeitspartei, die viele für die Misere verantwortlich machen. Zudem hat sie früher für Icesave gearbeitet - jene Pleitebank, deren Milliardenschulden die 300.000 Einwohner Islands nun zurückzahlen sollen. Seit Monaten diskutieren sie über kaum etwa anderes, denn die Schulden werden wohl eine ganze Generation belasten.

Es geht um fast vier Milliarden Euro, die britische und niederländische Kleinsparer auf Konten der Internetbank Icesave eingezahlt und bei der Pleite im Oktober 2008 verloren hatten. Die Regierungen in London und Den Haag erstatteten ihren Bürgern damals die Verluste, nun sollen die Isländer den Schaden ersetzen.

Doch die finden es ungerecht, dass sie für die Fehler der Banken haften sollen. Als das Parlament im Dezember die Rückzahlung beschloss, gab es Proteste, der Präsident ordnete ein Referendum an. An diesem Samstag sollen die Isländer nun über das Icesave-Abkommen entscheiden. Sie werden es ablehnen, auch Erla Osk wird mit Nein stimmen. Die Isländer sind zornig, sie fühlen sich von Großbritannien und den Niederlanden bei den Verhandlungen über den Tisch gezogen. Nicht einmal die Regierungspolitiker wollen am Wochenende noch für das Gesetz stimmen, das sie einst selbst ausgearbeitet haben.

Großbritannien und die Niederlande haben unter dem Eindruck der Proteste ohnehin schon ein besseres Angebot vorgelegt. Es ist bizarr, dass trotzdem noch über den alten Vertrag abgestimmt wird. Doch will man den Wählern wohl auch einfach diese Möglichkeit lassen, in einem Referendum einmal "Nein" zu sagen und ihrem Ärger Luft zu machen.

Die Isländer sind natürlich nicht nur wütend auf Briten, Niederländer und Politiker, sondern auch auf die Geschäftsleute, die die Schulden verursacht haben. Manche sind auch sauer auf Erla Osk. Als die vor kurzem als Nachrückerin ins Parlament einzog, ätzte ein Blogger: "Die Icesave-Königin nimmt Platz im Parlament." Erla Osk sieht es mit Humor. "Der Titel Königin hat mir gefallen", sagt sie. "Aber die Leute überschätzen meine Rolle in der Bank."

Zusammenbruch im Oktober 2008

Erla Osk war bei Icesave für Marktforschung im Ausland zuständig. Landsbanki, der Mutterkonzern, benötigte 2008 nach waghalsigen Spekulationen dringend Devisen. Da kam jemand auf die Idee mit den Auslandskonten. Der Start in den Niederlanden und Großbritannien verlief gut: Mehr als 400.000 Kleinsparer vertrauten ihr Geld den Isländern an. Erla Osks Aufgabe war es, in zehn Ländern zu untersuchen, wo noch potentielle Kundschaft wartete.

Die Ergebnisse waren vielversprechend: Landsbanki, ein Geldinstitut mit 120-jähriger Geschichte, weckte Vertrauen. Und die Testpersonen, auch die deutschen, mochten Island. "Man hatte eine sehr hohe Meinung von unserer Insel", sagt Erla Osk. "Ich war erstaunt, wie viel die Leute wussten, über unsere Kultur, unsere Geschichte, unsere schöne Natur." Kaum ein Mitarbeiter dürfte geahnt haben, dass man bei dem Icesave-Projekt die Insel nicht nur vermarktete, sondern sie buchstäblich verkaufte. "Wir haben alle gedacht: Was wir tun, ist gut für Island", sagt Erla Osk.

Im Oktober 2008, auf einer Dienstreise in Kanada, erhielt sie dann die Nachricht vom Zusammenbruch der ersten isländischen Bank. Wenig später wurde sie gefeuert, so wie die meisten Mitarbeiter der internationalen Abteilungen von Landsbanki. Später stellte man sie auf anderem Posten wieder ein. Die Enttäuschung über die Pleite ist ihr noch anzumerken. Wütend möchte sie ja nicht sein. Aber sie sagt: "Ich bin sehr traurig, dass es so enden musste." Die Krise eröffnete ihr auch eine Chance. Die Regierung musste zurücktreten, und bei den Neuwahlen kandidierte sie für die Konservativen.

Folgen der Finanzkrise im Alltag

Die Unabhängigkeitspartei suchte junge Leute, denn ihr Name war nach vielen Jahren an der Macht eng mit der Finanzkrise verbunden. Die Wahl wurde für sie ein herber Verlust, Island hat seitdem eine rot-grüne Regierung. Trotzdem sagt Erla Osk: "Die Zukunft für unsere Partei sieht gut aus." Die konservativ-liberale Politik sei ja nie falsch gewesen, nur manchmal schlecht umgesetzt. Bei der Privatisierung der Banken seien zum Beispiel Fehler gemacht worden. "Der größte Fehler meiner Partei war es, den öffentlichen Sektor zu sehr auszubauen", sagt sie. "Jetzt ist es sehr schmerzhaft, ihn wieder zu verkleinern."

Die öffentlichen Ausgaben werden wohl auf jeden Fall gekürzt, egal von welcher Partei. Denn auch wenn die Bürger das Icesave-Abkommen jetzt stoppen - einen Teil der Forderungen werden sie wohl bezahlen müssen. Momentan sind die Gespräche zwischen den Niederlanden, Großbritannien und Island unterbrochen. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Freitag gar, Island habe die Verhandlungen ganz abgebrochen. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.

Und es gibt viele weitere Schulden, etwa beim Internationalen Währungsfonds. Schon jetzt spüren die Isländer die Folgen der Pleite in Schulen, Kindergärten, Kliniken. Trotzdem verzeihen offenbar immer mehr den alten Machthabern ihre Fehler: In Umfragen hat Erla Osks Partei wieder deutlich zugelegt.

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