Staatsmacht greift durch:China zeigt sein altes Gesicht

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Kaum sind die Olympischen Spiele vorbei, verfällt China zurück in alte Muster. Peking kündigt nun "harte Schläge" gegen die uigurische Minderheit an.

Rudolph Chimelli

Mit dem Ende der Olympischen Spiele hat sich das öffentliche Interesse von China und dessen Umgang mit den Minderheiten abgewandt. Besonders das Turk-Volk der Uiguren in Singkiang befürchtet verstärkte Repression.

Die uigurische Minderheit in der chinesischen Provinz Singkiang fürchtet sich vor chinesischen Repressionen. (Foto: Foto: dpa)

Die autonome Provinz leidet zudem unter Unruhen. Erst letzte Woche sind dort zwei Polizisten bei einem Anschlag ums Leben gekommen.

Anfang des Monats waren in der Stadt Kaschgar mehr als hundert Verdächtige verhaftet worden, nachdem uigurische Angreifer am 4. August mit einem Lastwagen in eine Gruppe von Polizisten gefahren waren.

"Viele Uiguren werden einen hohen Preis für solche Angriffe bezahlen", zitiert die Londoner Zeitung Guardian Nicholas Bequelin, einen Sprecher der Organisation Human Rights Watch. "Es ist ein Teufelskreis, denn das Volk (der Uiguren) wird weiter entrechtet und radikalisiert, während die chinesischen Sicherheitskräfte wegen der separatistischen Gefühle die Unterdrückung verstärken."

Es geht um "Leben und Tod"

Ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums sagte dagegen, eine Handvoll Terroristen versuche China zu spalten. Die Lage in Singkiang sei "im Allgemeinen" gut. Von Unterdrückung der Uiguren könne keine Rede sein.

Der Parteichef von Singkiang, Wang Lequan, bekannt als Mann der härtesten Linie, behauptete aber, für die chinesischen Behörden gehe es bei der Bekämpfung der Unruhe um "Leben und Tod". Dies dürfte eine propagandistische Begründung für eine schärfere Linie sein, die zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan an diesem Montag eingeschlagen werden soll.

Bereits vor zehn Tagen hatte ein Mitglied der beratenden Versammlung in der Provinz-Hauptstadt Urumtschi eine neue Kampagne der "harten Schläge" gegen die bösen Kräfte Terrorismus, Separatismus und Extremismus angekündigt.

Während früherer Kampagnen unter diesem Schlagwort war die Ernsthaftigkeit der terroristischen Bedrohung bewusst übertrieben worden. So sollte bei Anschlägen in der Erdöl-Stadt Kuka ein Dreirad eine Sperre vor einer Polizeiwache durchbrechen.

Als terrorismusverdächtig diskriminiert

Die Bomben bestanden aus kleinen Gasflaschen. Hätten die Attentäter wirklich im Auftrag von al-Qaida gehandelt, wie Peking den uigurischen Nationalisten nachsagt, so hätte Osama Bin Laden an ihnen wenig Freude gehabt.

Tatsächlich kommen in Al-Qaida-Erklärungen Singkiang und China kaum vor. Es gab Uiguren, die mit den Taliban kämpften, und einige sind in Guantanamo interniert.

In Singkiang-Uigur, dem historischen Ost-Turkestan, stellen die Uiguren nur noch 47 Prozent der Bevölkerung. Fast alle wichtigen Posten in Staat und Wirtschaft sind von zugewanderten Han-Chinesen besetzt.

Während der Olympischen Spiele wurde gemeldet - und von Peking dementiert - uigurische Piloten hätten Flugverbot. Wie die Tibeter beschweren sich die Uiguren über die Aushöhlung ihrer Autonomie, die Zurückdrängung ihrer Sprache und Kultur, die religiöse Unterdrückung. Forderungen nach Verwirklichung von Autonomie oder Pflege der nationalen Identität werden als terrorismusverdächtig diskriminiert.

Militäreinsatz nach den Spielen

Willy Lam, ein Forscher an der amerikanischen Jamestown Foundation, schrieb im Wall Street Journal: "Peking schließt jeden Kompromiss mit Untergrund-Gruppen der Uiguren aus." Viele dieser Gruppen wollten nur die von der chinesischen Verfassung garantierten Autonomierechte, keine Unabhängigkeit.

Mitte August hatte Lam aus diplomatischen Quellen in Peking erfahren, der verstärkte Einsatz von Militär solle in Singkiang unmittelbar nach den Spielen beginnen, "wenn die Aufmerksamkeit der Welt nicht mehr auf die Menschenrechtslage in China gerichtet ist".

In Singkiang liegen unter der Wüste Taklamakan 30 Prozent des Erdöls und 35 Prozent der Gas-Reserven Chinas. Die Produktion hat sich seit 2002 verfünffacht. Eine Direktive des chinesischen Staatsrates zählt 40 Maßnahmen zur Entwicklung Singkiangs auf, für deren Erfolg die Lage der Minoritäten der Maßstab sei. Aber auf jedem Bohrturm und jeder Pumpe weht die rote Fahne Chinas.

© SZ vom 01.09.2008/jtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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