Staatsbesuch von Kanzerlin Merkel:Das neue Israel

In ihrer Rede vor der Knesset hat Merkel nicht nur erklärt, Israels Existenzrecht sei Deutschlands Staatsräson: Die Bundeskanzlerin hat eine neue Gewichtung in den Beziehungen zwischen Israel und Deutschland eingeführt.

Thorsten Schmitz

Israel würde es ohne die Deutschen nicht geben. Der Staat der Juden ist die Antwort auf den Holocaust. Hunderttausende Juden haben nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vernichtungsorgie der Nationalsozialisten eine Heimat zwischen Mittelmeer und Jordan gesucht und gefunden. Vor 60 Jahren, im Mai 1948, rief David Ben-Gurion den Staat aus. Jedes weitere Jahr, das Israel existiert, ist für das Volk im übertragenen Sinne ein Sieg über Hitler.

Staatsbesuch von Kanzerlin Merkel: Merkel in der Knesset: Vollzug eines  "Generationsbruchs".

Merkel in der Knesset: Vollzug eines "Generationsbruchs".

(Foto: Foto: AP)

Die Feiern zu Israels 60. Geburtstag beginnen offiziell erst im Mai. Doch den Festreigen eröffnet hat Deutschlands Bundeskanzlerin ganz allein - und nicht etwa George W. Bush, der Präsident der USA, die Israels engster Verbündeter sind.

Angela Merkel wollte sich nicht anstellen in der Reihe der Gratulanten, sondern wollte sie anführen. Ganze drei Tage nahm sie sich Zeit, um zu demonstrieren, dass Israel im politischen Deutschland den verlässlichsten EU-Verbündeten besitzt. In ihrer Rede vor der Knesset hat Merkel erneut erklärt, Israels Existenzrecht sei Deutschlands Staatsräson.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat einmal gesagt, die Grundlage der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sei der millionenfache Mord an den Juden, die Schoah. Bundeskanzlerin Merkel knüpfte in ihrer Rede an diese Grundlage an.

Im Unterschied zu früheren Repräsentanten Deutschlands aber redet Merkel nicht nur pflichtschuldig vom Existenzrecht Israels. Sie versucht vielmehr, Israels Existenz durch die Vertiefung der Beziehungen zwischen den nachfolgenden Generationen mit Initiativen, Projekten und Austauschen zu sichern.

Mit Merkel hat sich ein Generationsbruch vollzogen. Die Deutschen sollen ihren Blick auf Israel nicht mehr nur auf den Holocaust einengen, sondern auch Israels Lebenswirklichkeit im Jahre 2008 anerkennen. Und sie sollen dem Land beistehen. Merkel sprach von der "Kraft zu vertrauen" und versicherte Israel, es könne sich auf Deutschland verlassen, "wenn es darauf ankommt". Die in stiller Opposition in Ostdeutschland aufgewachsene Merkel weiß den Wert von Verlässlichkeit zu schätzen - Verlässlichkeit, die ein von Feinden umgebenes und von Iran bedrohtes Israel zum Überleben braucht.

Merkel hat eine neue Gewichtung in den Beziehungen zwischen Israel und Deutschland eingeführt. Angesichts der unweigerlichen Historisierung des Völkermords und des Aussterbens der letzten Opfer ist ihr die Zukunft ebenso wichtig wie die Erinnerung an den Holocaust selbst. Bei den ersten Regierungskonsultationen haben beide Seiten vereinbart, die Zusammenarbeit in Politik, Kultur und Wissenschaft zu intensivieren.

Vor mehr als 60 Jahren sind Juden, die dem Holocaust entkommen konnten, vor den Deutschen geflohen. Heute ist Deutschland, die Nation der Täter, zweitwichtigster Handelspartner Israels nach den USA. Im Jahr 2006 wurden Waren im Wert von fast fünf Milliarden US-Dollar ausgetauscht. Mehr als hundert Städte und Kreise unterhalten Patenschaften.

Berlin ist bei jungen Israelis inzwischen beliebter als New York. Immer mehr Israelis reisen in die deutsche Hauptstadt oder ziehen gleich ganz dorthin. Die Deutschkurse der Goethe-Institute in Israel sind voll, deutsche Waren stehen in vielen israelischen Haushalten.

Deutschland spielt eine aktive Rolle bei den Bemühungen um die Freilassungen der entführten israelischen Soldaten, und sogar die Präsenz von Bundeswehrsoldaten auf Schiffen der deutschen Marine vor der libanesischen Küste hat keinen Protest hervorgerufen. Regierungschef Ehud Olmert, der 1952 noch gegen die Wiedergutmachungsregelung demonstriert hat, sieht in Merkel eine "echte Freundin" - und einen europäischen Glücksfall. Dass die EU die Hamas-Herrschaft im Gaza-Streifen und den Raketenbeschuss israelischer Städte verurteilt, ist vor allem auch auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands unter Merkels Führung zurückzuführen.

Deutschland aber muss sich hüten, nicht Bushs Kapitalfehler zu begehen und im Friedensprozess einseitig zu agieren. Merkel darf sich nicht von der Umarmung Israels erdrücken lassen. In ihrer Rede kamen die Palästinenser mit fast keinem Wort vor. Merkel muss ihre Unabhängigkeit bewahren und Israel ohne Phrasen und Verklausulierungen für dessen Besatzungs- und Siedlungspolitik kritisieren. Denn auch das ist ein Freundschaftsdienst: die Wahrheit zu sagen.

60 Jahre nach Gründung des jüdischen Staates muss Israel noch immer um sein Existenzrecht kämpfen. Es ist umgeben von feindlich gesinnten Staaten wie Syrien und Iran und wird von radikal-islamischen Palästinensergruppen terrorisiert. Israels Armee führt einen asymmetrischen Krieg gegen vergleichsweise kleine Gruppen und setzt, wie jüngst im Gaza-Streifen, überproportional Gewalt ein. Auch der Papst mahnte zu Gewaltverzicht. Merkel aber schweigt und will sich nicht einmischen. Die Mehrheit der Palästinenser aber sind keine Terroristen und will wie die Israelis in Frieden leben. Zur Staatsräson Deutschlands sollte auch die Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung gehören: ein sicherer Staat Israel und ein sicheres Palästina ohne jüdische Siedlungen.

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