Süddeutsche Zeitung

Staatsbesuch:Griechenland und die Türkei: befreundete Feinde

Das Verhältnis zwischen Griechen und Türken wird von historischen Gewaltexzessen überschattet. Nun kommt mit Erdoğan nach Jahrzehnten wieder ein türkischer Präsident nach Athen. Die wichtigsten Streitpunkte.

Von Deniz Aykanat

Das letzte Mal, als ein türkischer Staatspräsident offiziell Griechenland besuchte, war die türkische Republik gerade einmal 29 Jahre alt. Es war das Jahr 1952 und Celâl Bayar damals der türkische Präsident.

Zwei Jahre später kam es unter seiner Amtszeit zum Pogrom von Istanbul. Damals artete eine antigriechische Kundgebung türkischer Nationalisten in einen Gewaltexzess mit mehreren Toten aus. Griechische Bürger Istanbuls und Mitglieder anderer nichtmuslimischer Minderheiten wurden getötet, vergewaltigt, verprügelt. Kirchen, Synagogen und Friedhöfe geschändet. Auslöser für die Ausschreitungen war eine Falschmeldung, die türkische Staatsmedien nur zu gern verbreitet hatten: Ein Grieche habe einen Bombenanschlag auf das Geburtshaus des Staatsgründers Atatürk im griechischen Thessaloniki verübt. Später stellte sich heraus, dass der Anschlag vom türkischen Geheimdienst eingefädelt und von einem türkischen Zyprer verübt worden war, um im Kampf um Zypern absichtlich Ressentiments gegen Griechen zu schüren.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat also historisches Übergepäck dabei, als er an diesem Donnerstag in Athen für einen zweitägigen Besuch landet. Seit Celâl Bayar ist er der erste türkische Präsident auf Staatsbesuch beim griechischen Nachbarn. Die griechische Bevölkerung im Osmanischen Reich ging einst in die Millionen - auch nach der Unabhängigkeit Griechenlands Anfang des 19. Jahrhunderts und späterer griechischer Territorialgewinne. Ein großer Teil lebte in Istanbul. Nach Gründung der Republik und erst Recht nach dem Pogrom sank die Zahl massiv - auch im Rahmen eines massiven Bevölkerungsaustauschs zwischen Griechenland und der Türkei. Heute leben nur noch wenige Tausend Griechen in der Türkei, gleiches gilt für Türken in Griechenland.

Der Besuch Erdoğans ist aber keine historische Versöhnungsgeste: Denn er betritt in Athen keinesfalls Neuland, er war schon oft in offizieller Funktion in Griechenland, nur hieß er da noch Ministerpräsident. Doch der hat in der Türkei bekanntlich seit dem Verfassungsreferendum im April 2017 ausgedient. Seit Präsident Bayar und dem Pogrom von Istanbul hat sich außerdem viel getan in der Beziehung zwischen Griechenland und der Türkei. "Unter den AKP-Regierungen wurden die Beziehungen zu Griechenland intensiviert. Die 'historische Feindschaft' zwischen der Türkei und Griechenland, wie sie mal deutlich zu spüren war, ist bereits länger abgeklungen, aber es gibt natürlich immer noch Probleme, die das bilaterale Verhältnis belasten", sagt die Politologin Gülistan Gürbey von der Freien Universität Berlin.

Vier drängende Punkte stehen im Zentrum dieses Besuches: der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei, türkische Soldaten, denen nach dem Putschversuch in der Türkei in Griechenland Asyl gewährt wurde, Territorialfragen in der Ägäis und das ewige Streitthema Zypern.

Der Flüchtlingsdeal

Das Abkommen sieht vor, dass die Türkei Flüchtlinge davon abhält, über die Ägäis oder das Festland nach Griechenland zu flüchten und dass diejenigen Flüchtlinge, die es trotzdem schaffen, zurückgenommen werden. Im Gegenzug hat sich die EU verpflichtet, für jeden Flüchtling, der in die Türkei abgeschoben wird, einen syrischen Flüchtling aufzunehmen. Bisher sind allerdings nur wenige Tausend von EU-Ländern direkt aufgenommen worden.

Seit Inkrafttreten des Deals ist die Zahl der Flüchtlinge, die nach Griechenland gelangten, stark gesunken. Das hängt auch damit zusammen, dass die Türkei zeitgleich begann, ihre Grenze zu Syrien zu schließen. Trotzdem schaffen es immer noch viele Flüchtlinge von den türkischen Küsten auf griechische Inseln. Allein 2017 waren es bereits mehr als 25 000. In den Jahren 2015 und 2016 war die Zahl zwar viel größer, doch ein großer Teil der Menschen zog von Griechenland weiter in Richtung Balkan. Nun aber ist diese Route geschlossen. Die Flüchtlinge sitzen fest, 15 000 alleine auf den griechischen Inseln der Ostägäis, unter menschenunwürdigen Umständen. Die Rückführung in die Türkei geht nur schleppend voran. Griechenland wirft der Türkei immer wieder vor, nicht genug gegen Schlepper an ihren Küsten vorzugehen.

An einem Scheitern des Deals sind jedoch weder Griechenland noch die Türkei interessiert. Denn trotz aller Probleme funktioniert er. Das hält den türkischen Präsidenten jedoch nicht davon ab, immer wieder mit der Aufkündigung zu drohen. Vor allem Brüssel direkt, aber auch den Griechen.

Der Flüchtlingsdeal ist eng mit dem nächsten Streitpunkt verknüpft. Zumindest stellt Erdoğan gerne eine Verbindung her.

Nachdem das höchste griechische Gericht im Februar 2017 beschlossen hatte, dass acht türkische Soldaten, die in der Putschnacht mit dem Hubschrauber nach Griechenland geflüchtet waren, nicht in ihre Heimat ausgeliefert werden dürfen, drohte die türkische Führung prompt mit der Aufkündigung des Flüchtlingsdeals. "Aus türkischer Sicht sind diese Soldaten Gülen-Anhänger, das Interesse an einer Auslieferung ist deshalb sehr hoch. Politisch ist das für die türkische Führung von wesentlicher Bedeutung. Die Türkei will so auch innenpolitisch klare Kante zeigen", erklärt Politologin Gürbey.

Erdoğan wird sehr wahrscheinlich erneut vom griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras die Auslieferung der Soldaten fordern. Gleichzeitig aber erwarten viele Beobachter eine Charme-Offensive Erdoğans. Die Beziehungen zu Deutschland und den USA sind auf einem historischen Tiefstand. In Griechenland sieht die Türkei trotz aller Spannungen nach wie vor einen Fürsprecher innerhalb der EU. Da diese bekanntlich rar geworden sind, ist Griechenland ein wichtiger Verbündeter, um einen Fuß in der Tür nach Europa zu behalten. Griechenland habe sich spätestens seit Beginn der 2000er positiv über einen EU-Beitritt der Türkei geäußert, ganz im Gegenteil etwa zu Deutschland unter Bundeskanzlerin Merkel und Frankreich unter Sarkozy, sagt Gürbey. Und das, obwohl die Beziehung Griechenlands und der Türkei seit Jahrzehnten durch einen Brocken namens Zypern beschwert wird.

Der Zypernkonflikt

Die geostrategisch günstig gelegene Insel im Mittelmeer ist in einen türkischen Norden und einen zyperngriechischen Süden geteilt. Der Süden ist Mitglied der EU, der Norden seit 1974 von türkischen Truppen besetzt. "Die Zypern-Politik der AKP seit 2000 ist viel weniger restriktiv im Vergleich zu den Vorgänger-Regierungen", erklärt Gürbey. Trotzdem ist die AKP derzeit nicht gewillt, nordzyprische Häfen und Flughäfen für südzyprische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen. "Aus Sicht der türkischen Regierung käme das einer Anerkennung Südzyperns gleich, was grundsätzlich abgelehnt wird."

Ein entsprechender Vorstoß unter der Vermittlung der UN für eine Zwei-Staaten-Föderation scheiterte im Juni, weil die Türkei sich weigerte, ihre Truppen vollständig abzuziehen und auf ihr Interventionsrecht zu verzichten.

Dementsprechend ist hierzu von Erdoğans Besuch in Athen nicht allzu viel zu erwarten: "Beide Seiten werden vermutlich guten Willen demonstrieren. Tsipras und Erdoğan werden bekräftigen, dass sie die beiden zyprischen Regierungen beim Suchen einer Lösung unterstützen werden. Aber ob dann konkrete Schritte folgen, bleibt abzuwarten. Im Moment liegt alles still", sagt Gürbey.

Territorialansprüche in der Ägäis

Der Konflikt um die Insel Zypern ist der offensichtlichste Streitpunkt zwischen beiden Ländern, doch auch um die Gewässer und Tausenden Inseln in der Ägäis entbrennt immer wieder Streit. Seit einigen Monaten berichten Medien fast täglich von Territorialverletzungen: Türkische Kampfjets fliegen im griechischen Luftraum, türkische Schiffe dringen in griechische Gewässer ein. Und nicht zuletzt ein Präsident Erdoğan, der - mal wieder - die griechisch-türkische Grenze in Frage stellt. Die Betonung liegt hier auf "mal wieder".

"Das ist eine Provokationsstrategie. Und die ist nicht neu. Territoriale Gewässer und Luftraum wurden in der Vergangenheit immer wieder verletzt, um Stärke zu demonstrieren. Und zwar von beiden Seiten", so die Expertin Gürbey. Der alte Konflikt um Hoheitsgewässer und Luftraum in der Ägäis sei bis heute nicht gelöst.

Grund zur Sorge gebe es deshalb aber nicht unbedingt: "Daraus kann nicht automatisch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Türkei tatsächlich ihre Grenzen erweitern wird." Erdoğan kokettiert gerne mit alten Gebietsansprüchen, weil er weiß, dass das bei seiner Klientel innenpolitisch immer noch gut ankommt.

Beziehungen verbessert

"Das Verhältnis auf zivilgesellschaftlichem Level ist eigentlich recht positiv. Es ist bemerkenswert, wie viel sich da in den letzten 15 bis 20 Jahren getan hat", sagt Gürbey. Viele Türken und Griechen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf ihre Gemeinsamkeiten besonnen. Man ist Partner in der Nato, es gibt zahlreiche bilaterale Kulturinitiativen, Türken fahren in den Griechenland-Urlaub und umgekehrt. Nach dem Putschversuch in der Türkei und dem bis heute andauernden Ausnahmezustand schoss gar die Zahl der Immobilienkäufe von Türken in Griechenland in die Höhe. Auch Griechenlands Status als "schwarzes Schaf" der EU hat sicherlich zu einer gewissen Solidarität untereinander geführt und das Verständnis füreinander verstärkt.

Trotzdem setzt die AKP diese positiven Entwicklungen in regelmäßigen Abständen aufs Spiel, um sich innenpolitisch zu profilieren und Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen. "Wenn es erforderlich ist, geht die türkische Führung auf Konfrontation. Die alten Feindbilder sind noch da", sagt Gürbey. Es geht sehr einfach und schnell, die im kollektiven Gedächtnis virulente 'historische Feindschaft' zwischen Türken und Griechen in der türkischen Gesellschaft zu reaktivieren."

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