Süddeutsche Zeitung

Staatliche Unterstützung:Hauptsache schnell

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Die geplanten Hilfen für die Gastronomie und andere Branchen sind noch ziemlich unausgegoren

Von Cerstin Gammelin

Politik ist ja auch, nicht immer das Naheliegende zu tun. So wie die Bundesregierung am Mittwochabend, als sie die zusätzlichen Wirtschaftshilfen zum Ausgleich der coronabedingten Schließungen im November so großzügig auslegte, dass kritische Nachfragen geradezu ausbleiben mussten. Niemand wunderte sich, als Kanzlerin Angela Merkel die Nothilfe erläuterte: zehn Milliarden Euro Zuschüsse in einem Monat, nur für die Branchen, die dichtmachen müssen, bis zu 75 Prozent des früheren Umsatzes soll es geben. Nichts muss zurückgezahlt werden, alles Geld kommt vom Bund - ja, wer könnte da was zu meckern haben?

Als die Zahl ein paar Stunden später nicht mehr so blendete, sah der Plan weniger überzeugend aus. Wenn die Restaurants schließen, aber Essen to go verkaufen, wird dieser Umsatz angerechnet? Und: Bekommen auch jene Firmen Umsatz erstattet, die dranhängen an Gastronomie, Hotels, Vereinen und Kultur? Also, die Wäschereien, die die Tischdecken waschen? Reiniger, die Theaterbühnen putzen? Ist es nicht ungerecht, wenn einzelne Selbständige, die nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, bessergestellt werden als Arbeitnehmer in voller Kurzarbeit? Und: Warum orientiert man sich am Umsatz?

Die Antworten darauf suchten die Beamten in nächtlichen Sonderschichten. Im Finanz- und im Wirtschaftsministerium mühten sie sich, um die Minister Olaf Scholz (SPD) und Peter Altmaier (CDU) sprechfähig zu machen - am frühen Nachmittag traten beide vor die Bundespressekonferenz, um, wie sich dann herausstellte, lediglich weitere Details bekannt zu geben. Und das vollständige Konzept? In Arbeit, beschied Scholz. Man bitte um Verständnis, wenn man am Tag nach dem Beschluss nicht alles auf den Punkt beantworten könne, sagte Altmaier.

Schwer getroffene Wäschereien, Caterer und andere sollen Nothilfen beantragen können

Fest steht Folgendes: Für Unternehmen, die schließen müssen und weniger als 50 Beschäftigte haben, "kann es eine Erstattung geben, die sich an 75 Prozent des Umsatzes im Monat November 2019 orientiert", sagte Scholz. Die Rechnung sei einfach: "Wir nehmen 75 Prozent des Umsatzes als Kosten an, und diese werden erstattet." Abgezogen werden zuvor staatliche Kurzarbeiter- und Überbrückungshilfen. "Bei größeren Unternehmen wird die Erstattung etwas weniger sein." Man werde aber die Vorschriften des europäischen Beihilferechts ausschöpfen, sagte Scholz. Diese Regeln sollen sicherstellen, dass der Staat nationalen Unternehmen nicht über Gebühr hilft und europäische Konkurrenten benachteiligt.

Indirekt betroffene Unternehmen wie Caterer, Putzfirmen und Wäschereien sollen Nothilfen beantragen können - unter bestimmten Bedingungen. Welche das sein könnten? Altmaier verwies darauf, Details würden "zwischen unseren beiden Ministerien geklärt". Man werde zeitnah informieren. Nur so viel vorab: Es werde solchen nachgeschalteten Firmen geholfen, die "in vergleichbarer Form betroffen" seien, also 90 bis 100 Prozent ihres Umsatzes verlören. "Wir werden gemeinsam eine Liste der Unternehmen anlegen", fügte Scholz hinzu, "und die wird wohl noch mehrmals fortgeschrieben."

Helfen soll auch, dass kleine Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern von November an sogenannte KfW-Schnellkredite über ihre Hausbank beantragen können, bis zu 300 000 Euro. Bislang sind diese vollständig vom Bund abgesicherten Kredite größeren Unternehmen vorbehalten. Scholz kündigte zudem an, die laufenden zweiten Überbrückungshilfen zu verlängern. Im Januar 2021 soll es dann die dritte Version geben, die "für spezielle Branchen weiterentwickelt" wird, sagte Scholz. Kleine und mittelständische Firmen, Selbständige und Freiberufler können dann Zuschüsse zu den Betriebskosten beantragen.

Altmaier bezeichnete es als "großen Erfolg", dass auch Soloselbständige in die Nothilfen einbezogen würden. Bisher können sie nur Betriebskosten geltend machen und müssen ansonsten Grundsicherung, also Hartz IV, beantragen. Er wies den Vorwurf zurück, dass die 75-prozentige Umsatzerstattung zu neuen Ungerechtigkeiten führe, weil sie Selbständige, die nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlten, besser als viele Arbeitnehmer in Kurzarbeit stelle. Die Nothilfe sei "keine sozialpolitische Maßnahme, sondern eine Wirtschaftshilfe".

Die November-Hilfen sollen in den nächsten Tagen beantragt werden können, sagte Altmaier. Notfalls gebe es Vorschüsse. Er setze auf "die bewährte Zusammenarbeit mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Anwälten". Scholz ließ offen, ob die November-Hilfen im Dezember weitergeführt werden könnten. Auf die Frage, wie oft er die Bazooka noch anlegen könnte, also weitere Milliarden lockermachen, antwortete er: "Ich bin gut gerüstet." Die temporären Nothilfen werden aus bestehenden Töpfen finanziert, aus denen Mittel nur zögerlich abfließen.

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