Deutschland:Der Konsens zwischen Staat und Kirche bröckelt

Kirchturm im Nebel

Kein Stau, kein Smog, keine Wohnungsnot: Der Arbeitsplatz bei einem Unternehmen auf dem Land hat Vorzüge. Doch die Firmen haben Mühe, Bewerber für sich zu begeistern. Die meisten Absolventen zieht es in die Metropolen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • "Liberté, Egalité, Laïcité" - mit diesem Motto will die sächsische Linke auf dem Bundesparteitag für die Abschaffung kirchlicher Privilegien werben.
  • Das ist bezeichnend für eine Entwicklung. Ein Drittel der Deutschen ist mittlerweile konfessionslos.
  • Viele dieser Menschen verstehen das, was die Kirchen tun, nicht mehr als wünschenswerten Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft.

Analyse von Matthias Drobinski

Mit irgendeinem "aggressiven Atheismus" möchte der Landesvorstand der sächsischen Linken natürlich nichts zu tun haben. Und "ohne Bösartigkeit" soll enden, was Sachsens Linke für eine unangemessene Privilegierung der christlichen Kirchen halten: der staatliche Einzug der Kirchensteuer und der jetzige Religionsunterricht, das kirchliche Arbeitsrecht und "alle Formen von direkter und indirekter Finanzierung". Statt Seelsorgern bei Bundeswehr und Polizei soll es eine psychologische Betreuung geben. Eine "fortschrittliche Religionspolitik soll nicht nur eine umfassende Religionsfreiheit garantieren, sondern auch eine umfassende Freiheit der Religionslosigkeit". "Liberté, Egalité, Laïcité" heißt der Antrag an den Bundesparteitag Ende Mai in Magdeburg.

Nun ist der sächsische Landesverband nicht der stärkste innerhalb der Linken, die Forderung nach einem Laizismus nach französischem Vorbild dürfte kaum durchkommen. Dafür müssten das Grundgesetz geändert und bestehende Verträge gebrochen werden; man muss bei den Linken kein bekennender Christ wie Bodo Ramelow sein, um das Projekt für ein sauberes Eigentor zu halten. Und doch sorgt dort der Antrag für einige Unruhe, weil eben doch ein ganzer Landesvorstand dahinter steht und er einige Unterstützer hat.

Das deutsche Verhältnis von Staat und Kirche erscheint als nicht mehr selbstverständlich, bei den Linken, aber auch bei den Grünen und bei Teilen der SPD. Der Antrag aus Sachsen ist ein Zeichen dafür.

In den vergangenen Jahren war jenes deutsche Staat-Kirche-Verhältnis weitgehend unhinterfragt, das 1926 der Jurist und Kirchenhistoriker Ulrich Stutz eine "hinkende Trennung" nannte. Lang war es her, dass 1974 die laizistischen Thesen der FDP über die "Freie Kirche im Freien Staat" für Aufregung sorgten. Das System erschien als praktisch und bewährt: Der Einzug der Kirchensteuer läuft, die Mehrheit der Eltern wünscht für ihre Kinder einen konfessionellen Religionsunterricht, und die meisten Kommunen sind froh, dass es die katholische Caritas und die evangelischen Diakonie gibt. Und die Debatten übers kirchliche Arbeitsrecht waren etwas für die Spezialisten.

Die Arbeit der Kirchen ist für viele Privatsache

Doch dieser Konsens ist zunehmend brüchig. Ein Drittel der Deutschen ist mittlerweile konfessionslos. Unter diesen Konfessionslosen verstehen viele das, was die Kirchen tun, nicht mehr als wünschenswerten Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft, sondern als Privatsache - und damit die Vorteile für die Kirchen als ungerechte Privilegierung. Die Kirchen haben ihrerseits zu diesem Bild beigetragen, durch intransparente Kirchenfinanzen, Geschichten über Lohndrückerei oder von Angestellten, die ihre Stelle verlieren, weil sie als Geschiedene wieder geheiratet haben.

Und dann ist da noch der Islam als neue Religion in Deutschland sichtbar geworden. Wie mit ihr umgehen? Das Argument der Laizisten lautet: Statt mühsam und mit viel Geld Lehrstühle für islamische Theologie zu errichten, einen islamischen Religionsunterricht einzuführen und muslimischen Sozialträgern auf die Beine zu helfen, ist es einfacher und gerechter, wenn auch die Christen all dies nicht mehr staatlich gefördert bekommen. So begründete die damalige SPD-Justizministerin Brigitte Zypries 2009 ihre Forderung nach einer stärkeren Trennung von Kirche und Staat.

Miteinander von Staat und Religionsgemeinschaften hilft der Integration

Bei der SPD gründete sich 2011 eine laizistische Gruppe um die Bundestagsabgeordneten Ingrid Matthäus-Maier und Rolf Schwanitz; der SPD-Bundesvorstand jedoch lehnte einstimmig die Anerkennung als Arbeitskreis ab. Einer 2014 gegründeten Gruppe "HumanistInnen und Konfessionsfreie in der SPD" werden bessere Chancen eingeräumt. Einen Schritt weiter sind die Grünen. Eine Kommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat" hat im März einen Bericht vorgelegt, der nun weiter diskutiert werden soll. Der Bericht empfiehlt, die Bindung von Staat und Kirchen beizubehalten, das Verhältnis aber zu reformieren, zum Beispiel beim Arbeitsrecht oder der Kirchensteuer. Die muslimischen Gemeinschaften sollen möglichst integriert werden.

Das Miteinander von Staat und Religionsgemeinschaften hilft der Integration, das ist auch eins der wichtigsten Argumente der Gegner einer Trennung von Staat und Kirchen bei den Linken. Den Muslimen "wäre mit einer Verfassung, die Minderheitenreligion, Minderheitenethnien oder Minderheitenweltanschauungen schützt", besser gedient als mit einem zwanghaften Laizismus, schreibt der alt-katholische Theologe Franz Segbers an den Bundesvorstand; Segbers ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft "Linke Christinnen und Christen in Hessen". Und überhaupt: Auf die religionspolitischen Herausforderungen der Gegenwart antworte der Antrag aus Sachsen mit "Vorstellungen des 19. Jahrhunderts".

Streng getrennt

In Frankreich ist die Trennung von Staat und Kirche seit 1905 gesetzlich festgeschrieben. Artikel 1 des Gesetzes garantiert jedem Bürger die ungehinderte Ausübung seiner Religion im Rahmen der öffentlichen Ordnung. Artikel 2 schreibt vor, dass der französische Staat Religionsgemeinschaften weder anerkennt, noch finanziert, noch subventioniert. In Frankreich gibt es keinen staatlichen Religionsunterricht, das Tragen von religiösen Symbolen ist auf dem Schulgelände untersagt. Religionsgemeinschaften müssen sich in Form privatrechtlicher Vereine organisieren und haben gegenüber dem Staat keinerlei Ansprüche. SZ

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: