SS-Mann Klaas Faber in Ingolstadt:Wenn Deutschland dichtmacht

Klaas Faber war für die Waffen-SS im KZ Westerbork. In den Niederlanden wurde er als NS-Verbrecher verurteilt. Seit Jahrzehnten lebt er unbehelligt in Ingolstadt - dank eines Hitler-Erlasses und der deutschen Justiz.

Peter Münch und Stefan Mayr

Nun ist er 88 Jahre alt, und wenn Klaas Faber mit seiner Frau spazieren oder einkaufen geht im Ingolstädter Piusviertel, dann schiebt sie eine Gehhilfe vor sich her, und er schreitet aufrecht daneben. Ruhig ist das Leben zumeist, doch neulich hat ihm ein Reporter des britischen Boulevardblatts Sun aufgelauert und gefragt nach all den alten Geschichten - nach seiner Zeit bei der Waffen-SS, nach den Erschießungen, und warum er immer noch in Freiheit lebt, obwohl ihn das Simon-Wiesenthal-Zentrum auf der Liste der zehn meistgesuchten Kriegsverbrecher führt und er in seiner alten Heimat, den Niederlanden, wegen NS-Verbrechen verurteilt wurde.

KZ Westerbork Klaas Faber

Im KZ Westerbork hat Klaas Faber Gefangene bewacht.

(Foto: AFP)

Jahrzehnte haben diese Fragen Klaas Faber begleitet, immer wieder hat er die Antwort verweigert, und stets ist er unbehelligt geblieben trotz schwerer Vorwürfe. Auch dem Sun-Reporter, der noch einen Kameramann mitgebracht hatte, offenbarte er nichts. Zu sehen ist, wie Faber die Lippen zusammenkneift und starr geradeaus blickt. Doch nun steht ihm womöglich doch ein Prozess oder die Auslieferung in die Niederlande bevor. Plötzlich ist von verschiedenen Seiten Bewegung in diesen Fall gekommen.

Zum einen kommt sie aus Israel, wo die Wut gewachsen ist über den Umgang der Deutschen mit Faber. 150 Jerusalemer Anwälte haben in einer Petition Justizminister Jaakov Neeman dringend aufgefordert, den deutschen Behörden Druck zu machen. Die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem und das Wiesenthal-Zentrum haben sich dem Aufruf angeschlossen, und vor zwei Tagen hat Minister Neeman dazu nach Angaben seines Sprechers einen Brief an seine deutsche Kollegin nach Berlin geschickt. Bei Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dürfte er damit eine offene Tür einrennen, denn sie ist bereits selbst aktiv geworden im Fall Klaas Carel Faber, der bislang alles andere ist als ein Ruhmesblatt für die deutsche Justiz.

Klaas Faber aus dem nordholländischen Haarlem hatte sich niederländischen Gerichtsunterlagen zufolge 1940 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Seine Aufgabe: die Bewachung von Gefangenen, unter anderem im KZ Westerbork, einem Durchgangslager, das 1944 auch Anne Frank mit ihrer Familie passieren musste. Nach dem Krieg wurde er zusammen mit seinem Bruder Pieter Johan wegen der Ermordung von Gefangenen zum Tode verurteilt.

1948 wurde das Urteil an seinem Bruder vollstreckt, seine Strafe aber in lebenslange Haft umgewandelt. Zusammen mit anderen holländischen und deutschen Kriegsverbrechern saß er dann in der niederländischen Haftanstalt Breda ein - bis zum zweiten Weihnachtstag 1952, als ihm mit sechs anderen die Flucht gelang. Während einer Filmvorführung - man sah zum Festtag "Der Himmel kann warten" mit Heinz Rühmann, Hans Moser und Theo Lingen - setzten sie sich über den Kohlenkeller ab und flüchteten mit Hilfe von Komplizen über die Grenze nach Deutschland.

Einer der Ausbrecher hat später einmal dem Magazin Stern offenbart, wie sie von den deutschen Beamten im Zollamt Wyler empfangen worden waren: mit Kaffee und Kuchen. "Der Zollamtsleiter war ein Kriegskamerad", erzählte er. Auf große Nachsicht der deutschen Behörden konnte Faber auch weiter hoffen. Die Niederlande forderten von Deutschland schon nach wenigen Tagen - und später immer wieder - seine Auslieferung. Doch Deutschland machte dicht.

Die Rechtsgrundlage dafür war ein Erlass Adolf Hitlers aus dem Jahr 1943, demzufolge die Mitgliedschaft in der Waffen-SS mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden war. Der niederländische Nazi Klaas Faber war also nun dank des Führer-Erlasses ein deutscher Bundesbürger - und als Deutscher durfte er nicht in seine alte Heimat ausgeliefert werden. Klaas Faber konnte deshalb unbehelligt in der Bundesrepublik leben.

"Er sollte im Gefängnis sitzen"

Vom Ruhrgebiet zog er 1961 nach Ingolstadt und arbeitet bis zur Rente beim Autobauer Audi. Die Nachbarn beschreiben die Familie als ruhig und zurückgezogen, Journalisten schlägt Faber die Tür vor der Nase zu. Er lebt hier gewissermaßen sogar unter dem Schutz der bayerischen Justiz. Denn 2004 wurde noch einmal ein sogenanntes Vollstreckungs-Übernahme-Ersuchen der Niederlande - Faber sollte seine holländische Strafe in Deutschland absitzen, wenn er schon nicht ausgeliefert wird - vom Landgericht Ingolstadt zurückgewiesen. Dabei beriefen sich die oberbayerischen Richter auf das Landgericht Düsseldorf, das im Jahr 1957 nach einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft die Aufnahme eines Hauptverfahrens gegen Faber aus "Mangel an Beweisen" abgelehnt hatte.

"Die Entscheidung von 1957 steht einem Freispruch gleich", sagt der Ingolstädter Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter. Nach dem Rechtsgrundsatz "Ne bis in idem" könne eine Person wegen einer Straftat nicht zweimal verfolgt werden. Allerdings kam der Quasi-Freispruch von 1957 offenbar unter zweifelhaften Umständen zustande. Die Niederländer, die weiter auf Auslieferung beharrten, hatten Berichten zufolge die Kooperation verweigert, so dass die Beweislage naturgemäß recht dünn sein musste.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will diesen Zustand nicht akzeptieren. In einem Brief an Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) äußert sie deutlich Zweifel an der Argumentation der Ingolstädter Staatsanwaltschaft: Sie betont, dass die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf "keinen endgültigen Strafklageverbrauch" zur Folge habe und "unstreitig" lediglich "eine beschränkte Sperrwirkung" habe. Die Bundesministerin fordert ihre bayerische Kollegin auf, die zuständige Staatsanwaltschaft nochmals prüfen zu lassen, ob das niederländische Urteil doch noch in Bayern vollstreckt werden könnte. "Eine Wiederaufnahme ist möglich", heißt es nun aus dem bayerischen Justizministerium. Voraussetzung sei, dass die Niederlande erneut die Übernahme der Vollstreckung beantragen.

In Israel hört man das gern. David Schonberg, der die Petition der Jerusalemer Anwälte initiiert hat, setzt viele Hoffnungen in Leutheusser-Schnarrenberger. Er ist 45 Jahre alt, und eigentlich ist sein Gebiet das Zivilrecht, "Verträge und so etwas, nichts Dramatisches". Aber es hat ihn aufgerüttelt zu sehen, wie Faber seine Freiheit genießt. Er hat mit dem Sun-Reporter geredet und mit einem niederländischen Journalisten. Und dann ist er aktiv geworden, obwohl er so etwas nach eigenem Bekunden vorher noch nie gemacht hat.

Aber er ist der Sohn von Holocaust-Überlebenden - die Mutter stammt aus Wiesbaden, der Vater aus Polen -, und er stemmt sich gegen das Vergessen. "Die Leute machen einen Fehler, wenn sie denken, das ist schon solange her und keiner lebt mehr", sagt Schonberg. "Faber ist 88 Jahre alt, und er ist gesünder als die meisten anderen. Er sollte im Gefängnis sitzen."

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