SS-Männer vor Gericht:Drei neue Prozesse: Auschwitz wird wieder verhandelt

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Das Lagertor zum ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau im August 2014. (Foto: dpa)
  • Mehrere ehemalige SS-Männer, die in Auschwitz Dienst taten, stehen in den kommenden Wochen vor Gericht.
  • Den Anstoß zu dieser Häufung von Prozessen mehr als 70 Jahre nach der NS-Gewaltherrschaft gab der Fall John Demjanjuk.
  • An einem Prozess sind 38 Nebenkläger aus Israel, Kanada, den USA, Deutschland, Ungarn und England beteiligt.

Von Hans Holzhaider, München

Zum zweiten Mal innerhalb von neun Monaten beschäftigt sich ein deutsches Gericht mit dem Massenmord im Konzentrationslager Auschwitz. Vor dem Landgericht Detmold beginnt am Donnerstag der Prozess gegen den 94-jährigen Reinhold Hanning. Er soll als Mitglied der Wachmannschaft in Auschwitz in der Zeit von Januar 1943 bis Juni 1944 Beihilfe zum Mord an mindestens 170 000 Menschen geleistet haben.

Schon zweieinhalb Wochen später soll vor dem Landgericht Neubrandenburg ein weiterer Auschwitz-Prozess eröffnet werden. Dort ist der 95-jährige ehemalige SS-Unterscharführer Hubert Zafke angeklagt. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 Fällen zur Last gelegt.

Anne Frank war eines der Opfer

Zafke hatte nach dem Krieg schon eine vierjährige Freiheitsstrafe in Polen verbüßt. Er war von Oktober 1943 bis Januar 1944 und dann nochmals im August und September 1944 als Angehöriger der SS-Sanitätsstaffel in Auschwitz. Die Anklage umfasst nur den zweiten Zeitraum, in dem mindestens 14 Deportationszüge unter anderem aus Rhodos, Lyon, Wien und dem niederländischen Westerbork in Auschwitz ankamen. In dem Zug aus Westerbork befand sich auch die 15-jährige Anne Frank mit ihren Eltern und ihrer Schwester Margot.

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Ob der Prozess gegen Hubert Zafke wie geplant am 29. Februar beginnen kann, steht allerdings noch nicht fest. Die Staatsanwaltschaft Schwerin und der Anwalt eines Nebenklägers haben Befangenheitsanträge gegen das Gericht gestellt, weil sie Anzeichen dafür sehen, dass das Gericht eine Einstellung des Verfahrens anstrebt.

Voraussichtlich vom 13. April an muss sich ein 93-jähriger ehemaliger SS-Sturmmann vor dem Landgericht Hanau verantworten. Weil er zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit in Auschwitz erst 19 Jahre alt war, findet die Verhandlung vor einer Jugendkammer statt. Ein weiteres Auschwitz-Verfahren ist am Landgericht Kiel anhängig. Dort ist eine Frau angeklagt. Die ehemalige SS-Helferin war als Funkerin in der Kommandantur des KZ Auschwitz eingesetzt.

Dass es mehr als 70 Jahre nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft noch einmal zu einer solchen Häufung von NS-Verfahren kommt, ist dem Umstand zu verdanken, dass deutsche Staatsanwaltschaften sich in den vergangenen Jahren zu einer konsequenteren Anwendung des Beihilfeparagrafen im Strafrecht entschlossen haben.

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Den Anstoß dazu gab 2011 der Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann John Demjanjuk vor dem Münchner Landgericht. Demjanjuk wurde verurteilt, obwohl ihm keine individuelle Beteiligung an einer konkreten Tötungshandlung nachzuweisen war. In der Folge leiteten mehrere Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Angehörige der SS-Mannschaften in Auschwitz ein, von denen aber die meisten aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr verhandlungsfähig waren.

Im Juni 2015 verurteilte das Landgericht Lüneburg den 93-jährigen Oskar Gröning zu vier Jahren Haft. Gröning war in Auschwitz vorwiegend damit beschäftigt, das den aus Ungarn verschleppten Juden abgenommene Geld zu sortieren und nach Berlin zu schicken. Er leistete aber auch mehrmals Dienst an der "Rampe", wo die ankommenden Gefangenen zur sofortigen Vernichtung in den Gaskammern selektiert wurden.

Gröning habe Beihilfe zum Mord geleistet, "indem er das insgesamt auf Tötung ausgerichtete System des Konzentrationslagers fortlaufend unterstützte", urteilte das Gericht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl die Verteidigung als auch einige Nebenklägervertreter haben Revision eingelegt.

Medieninteresse bisher gering

Auch Reinhold Hanning, der von Donnerstag an in Detmold vor Gericht steht, soll der Anklage zufolge im Rahmen regelmäßiger Bereitschaftsdienste bei der Ankunft von Gefangenentransporten im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau das Ausladen und die Selektion der Gefangenen bewacht haben. Er war als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns aber in erster Linie für die Bewachung des sogenannten Stammlagers zuständig.

Deshalb legt ihm die Anklage auch Beihilfe an den dort begangenen Morden zur Last, insbesondere an den Erschießungen an der "Schwarzen Wand" im Hof neben dem Lagergefängnis in Block 11, an den Selektionen im Krankenbau, wo Gefangene zur Tötung in den Gaskammern ausgesondert wurden, und an den Tötungen durch planmäßig schlechte Lebensverhältnisse - schwerste Arbeit bei völlig unzureichender Ernährung, Kleidung und medizinischer Versorgung. Der Dortmunder Staatsanwalt Andreas Brendel räumt ein, dass angesichts des komplexen Tatgeschehens die Zahl von 170 000 Mordfällen, die dem Angeklagten zugerechnet werden, nur eine ungefähre Richtzahl sein kann.

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An dem Verfahren beteiligen sich 38 Nebenkläger aus Israel, Kanada, den USA, Deutschland, Ungarn und England. Angesichts des erwarteten öffentlichen Interesses hat das Gericht in Detmold die Verhandlung in den Saal der örtlichen Industrie- und Handelskammer verlegt. Das Medieninteresse ist allerdings bisher bei weitem nicht so groß wie bei dem Prozess gegen Oskar Gröning in Lüneburg. Von den 23 für ausländische Journalisten reservierten Plätzen wurden erst vier vergeben. Aus Rücksicht auf das hohe Alter des Angeklagten wird das Gericht nur zwei Stunden pro Tag verhandeln.

Ob und in welcher Weise sich Reinhold Hanning zu den Anklagevorwürfen äußern wird, ist noch nicht bekannt. Bisher hat er nur eingeräumt, dass er tatsächlich in Auschwitz war. Oskar Gröning hatte sich in Lüneburg ausführlich zu seiner Tätigkeit in Auschwitz geäußert und Reue gezeigt.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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