Seit Montag ist Anura Kumara Dissanayake, 55, neuer Präsident des Inselstaates Sri Lanka, und in keiner Beschreibung des Manns bleibt unerwähnt, dass er ein Marxist sei. Nur was bedeutet das in einem Land, das in den Ruin getrieben wurde von Familienclans, die sich zuvor jahrzehntelang an der Macht abgewechselt haben? Dissanayake, der in Sri Lanka nur AKD genannt wird, versprach im Wahlkampf, hart gegen Korruption vorzugehen und sich für die Armen einzusetzen. Bei der Präsidentenwahl im Jahr 2019 vertrauten ihm nur drei Prozent der Wahlberechtigten, diesmal bekam er mehr als 42 Prozent der Stimmen, weil er für einen radikalen Wechsel steht und weil man den alten politischen Eliten nicht mehr traut. Ein Muster, das man aktuell auch aus den USA und Europa kennt.
Doch im Gegensatz zu den disruptiven Kräften im Westen ist AKD ein Politiker, dem es nicht so sehr um sich, sondern um Land und Leute geht. „Ich verspreche, dass ich mich für den Schutz und die Aufrechterhaltung der Demokratie einsetzen werde“, sagte er am Montag bei seiner Amtseinführung. „Unsere Politik muss sauberer werden, und die Menschen haben eine andere politische Kultur gefordert.“ Seine Partei, die „Janatha Vimukthi Peramuna“ (JVP) hatte in der Vergangenheit eine Wirtschaftspolitik vertreten, die stark in den Markt eingreift. Das wäre eine Intervention im Sinne von Karl Marx, der den Konflikt der sozialen Klassen an der wirtschaftlichen Ungleichheit festmachte. In Sri Lanka, wo die Feudalherrscher vor allem in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, während ein Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, wäre das eine klare Verbesserung der Verhältnisse.
Der Inselstaat ist bei Indien und China verschuldet
Sri Lanka könnte reich sein, es verfügt über Rohstoffe, liegt strategisch günstig am Golf von Bengalen und lockt viele Touristen an. Viele Frauen und Männer im Land sprechen Englisch, ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft, davon könnten wirtschaftlich alle im Land profitieren. Vor dem klassenlosen Umbau muss AKD allerdings erst mal ein Kabinett bilden, nicht ganz einfach, wo seine JVP nur drei von 225 Sitzen errungen hat. Doch der Mann gilt als guter Organisator und durchsetzungsstark. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, schaffte es aber bis auf die Universität. Steht seine Regierung, muss rasch ein Haushalt verabschiedet werden, damit die nächste Tranche des 2,9 Milliarden US-Dollar schweren Rettungspakets des Internationalen Währungsfonds (IWF) freigegeben wird, das noch sein Vorgänger verhandelt hat.
Die internationalen Investoren fürchten, dass AKDs Wunsch, die Bedingungen des IWF-Pakets noch mal zu überdenken, Auszahlungen verzögern und die wirtschaftliche Entwicklung bremsen könnte. Zudem ist Sri Lanka noch bei den Großmächten Indien und China verschuldet, die ihren Einfluss in dem kleinen, aber strategisch wichtig gelegenen Land ausbauen möchten. Sri Lanka ist ein Baustein von Pekings „Belt & Road“-Initiative, der Hafen von Hambantota im Süden gehört quasi schon Peking, ein Deal noch aus der Zeit der alten Feudalherren in Colombo. Das kommunistische China, der größte Gläubiger Sri Lankas, verhält sich bei Kreditrückzahlungen allerdings eher turbokapitalistisch: „China hofft, dass Sri Lanka seine nationale Stabilität und Entwicklung beibehalten wird, und ist bereit, eine konstruktive Rolle bei der reibungslosen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu spielen“, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Montag. Nach Verhandlungsbereitschaft hört sich das nicht an. Doch während AKD sich mit Peking, Delhi und dem IWF einigen muss, ruhen vor allem die Hoffnungen der Armen im Land auf ihm. Denen hatte er unter anderem Steuersenkungen versprochen. Wie teuer das Obst und das Gemüse auf den Märkten wird, ist also mindestens so ein Gradmesser für seinen Erfolg wie die Höhe der Zinsrückzahlungen an die internationalen Kreditgeber.