Süddeutsche Zeitung

Nach den Anschlägen:In Sri Lanka wächst das Misstrauen

Lesezeit: 4 min

Von Arne Perras, Colombo, und Ronen Steinke

Im Pavillon hinter der zerbombten Kirche St. Sebastian haben sie ein großes schwarzes Holzkreuz errichtet und mit einem weißen Trauertuch behängt, gleich daneben wacht ein Soldat, er trägt ein Schnellfeuergewehr und lässt den Blick über die Menge der Betenden kreisen. Im Hof der Kirche warten Trauernde darauf, die Terroropfer vom Sonntag zu beerdigen, Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Hunderte Familien haben sich schweigend versammelt. Priester in weißen Kutten stehen bereit, die Särge zu segnen, die nun gleich durch das Tor in den Kirchhof hereingetragen werden sollen. Aber die Särge kommen nicht.

Ein Priester stimmt ein Trauerlied an. "Gott nimm ihre Körper in Gnade auf, wir beten für sie", die Stimmen vereinen sich zu einem melancholischen Singsang. Sie wollen sich in Würde verabschieden von den Opfern, aber selbst das wird ihnen an diesem Tag in Negombo, 38 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo, sehr schwer gemacht. Denn die Särge kommen immer noch nicht.

Schließlich greift ein Geistlicher zum Mikrofon und erklärt, dass die Toten ihren Weg zur Kirche gerade nicht nehmen könnten, die Beerdigung wird auf nachmittags verschoben. Dann bittet er alle, diesen Ort nicht in großen Gruppen zu verlassen, sondern möglichst einzeln und nacheinander. Und schon kriecht wieder die Angst zurück in die Köpfe, nervöse Blicke, einige drängen rasch zum Tor, sie wollen schnell weg.

Tag zwei nach den Terrorattacken auf Sri Lanka. Der Staat hat nun den Notstand ausgerufen, am Morgen werden zwei weitere Sprengsätze in der Hauptstadt entdeckt und entschärft, am Nachmittag erklären Ermittler, dass sie nach zwei Lastwagen suchen, die angeblich voller Sprengstoff nach Colombo gekommen sind, aber bislang nirgendwo entdeckt werden konnten. Das alles steigert Nervosität und Verzweiflung. Viele haben hier das Gefühl, dass sie den extremistischen Gewalttätern schutzlos ausgeliefert sind und die Regierung die heikle Lage nicht im Griff hat.

Sri Lanka steuert politisch noch unruhigeren Zeiten entgegen

Vor allem kann hier niemand verstehen, warum so viele koordinierte Attacken geschehen konnten, obwohl mindestens zehn Tage zuvor Warnungen vor solchen Anschlägen in den Sicherheitskreisen zirkulierten. Premier Ranil Wickremesinghe erklärte, er sei von den Gefahren nicht unterrichtet worden, auch Präsident Maithripala Sirisena will nichts von den Geheimdienstinformationen gewusst haben.

Am Dienstagabend erklärte Sirisena in einer Fernsehansprache, er werde die Sicherheitskräfte nun komplett umbauen.

Die beiden Männer, einstige Verbündete, haben sich schon vor einiger Zeit zerstritten, im Oktober stürzte der Machtkampf zwischen den Rivalen das Land in eine schwere Staatskrise. Viele glauben, dass die Grabenkämpfe die Politiker so stark abgelenkt haben, dass die Extremisten ideale Bedingungen vorfanden, um ihr Zerstörungswerk ungehindert vorzubereiten.

Zudem nährt das gewaltige Ausmaß der Terrorangriffe bei vielen den Verdacht, dass sich die Täter hochrangige Verbündete im Sicherheitsapparat erkauft haben. Wie sollte es ansonsten möglich sein, einen so großen Terrorplan unentdeckt umzusetzen? Das Misstrauen wächst. So ist damit zu rechnen, dass Sri Lanka politisch noch unruhigeren Zeiten entgegensteuert.

Im Hof von St. Sebastian steht Danthika Ramani De Silva, 67 Jahre alt. Die kleine Frau hat jede Woche in der Kirche geputzt, als der Gottesdienst am Sonntag begann, war sie gerade draußen, um Kerzen zu holen. Dann zündete im Innern der Selbstmordattentäter den Sprengstoff. De Silva zuckte unter dem Knall zusammen, drehte sich geschockt zur Kirche und eilte ins Innere. Aber was sie sah, ließ sie sofort erstarren. Sie hörte noch eine Stimme, die nach Wasser flehte, aber sie konnte sich nicht mehr bewegen.

Schließlich rannte sie irgendwann panisch nach draußen, nur fort von diesem Ort. "Es fühlt sich immer noch wie ein übler Traum an", sagt sie. De Silva hofft, dass er irgendwann vergeht, aber wenn sie sich umblickt, weiß sie, dass das alles wahr ist, sie blickt in all die trauernden Gesichter. Nun weint sie selbst. Sie schaut zum großen Kreuz, auf den Soldaten mit dem Maschinengewehr und sagt: "So kann das doch nicht weitergehen."

Der Islam in Sri Lanka gilt als moderat und tolerant, allerdings sind die vereinzelten radikalen Stimmen dort lauter geworden in den vergangenen Jahren. Es wurden neue Moscheen gebaut, es kam Geld aus den Golfstaaten ins Land. "Das Klima hat sich gewandelt", sagt der Südasienexperte Christian Wagner, der in Berlin an der Stiftung Wissenschaft und Politik forscht. Vor allem im Westen der Insel, wo Muslime meist der Mittelschicht oder der Elite angehören, würden die radikalen Parolen zunehmend verfangen.

32 srilankische Muslime aus Familien der gebildeten Elite seien Richtung syrisch-irakisches Bürgerkriegsgebiet ausgereist, um sich dem IS anzuschließen, hatte Sri Lankas Justizminister im Herbst 2016 vor dem Parlament gesagt. Bei einer Gesamtbevölkerung von lediglich etwa 1,5 Millionen Muslimen ist dies im Vergleich zu den Nachbarländern viel.

Eine Gasse im Norden Colombos, überall drängen sich Leute, schon von Ferne sind Musiker zu hören. Militärischer Trommelwirbel mit melancholischer Trompete. Einige Meter weiter liegt das Haus der Familie Pradap. An der Hauptstraße ein großes Plakat, darauf strahlen ein junges Paar und seine Kinder, zwei und sieben Jahre alt. Am Ostersonntag ging die Familie in die Kirche St. Anthony's und kam nicht mehr lebend heraus. Im Halbdunkel stehen vier Särge aufgebahrt: Vater, Mutter, Sohn und Tochter, die Nachbarn ziehen an den Toten in einer stillen Prozession vorbei, vorne sitzt die Großmutter, sie fleht und weint.

Der Bruder des getöteten Vaters war an jenem Morgen in einer anderen Kirche. "In unserem Viertel haben alle friedlich zusammengelebt, Christen, Hindus, Moslems, Buddhisten. Wir haben das nicht kommen sehen." Nun will er den Sarg seines Bruders zum Friedhof tragen. Aber es dauert Stunden, bis Polizisten den Weg freigeben, sie müssen an diesem Tag ein halbes Dutzend Friedhöfe sichern, damit die Extremisten nicht auch noch auf dem Weg zur letzten Ruhe Bomben zünden.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2019
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