Sprache der Kanzlerin:Es braucht mehr klare Worte

Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Merkel

In ihrer Neujahrsansprache wurde Kanzlerin Merkel ungewohnt deutlich.

(Foto: dpa)

In ihrer Neujahrsrede hat Angela Merkel die Pegida-Anhänger scharf kritisiert. Ungewöhnlich für die sich sonst in Worthülsen versteigende Kanzlerin. Und wichtig, denn in einer Demokratie verlangen die Menschen Erklärungen, die sie verstehen können.

Kommentar von Detlef Esslinger

An welche Äußerungen von Angela Merkel wird man sich erinnern, wenn sie dereinst nicht mehr Kanzlerin sein wird? Vor einigen Monaten, nachdem der Lauschangriff der Amerikaner auf ihr Handy bekannt geworden war, entschloss sie sich zu einer Bemerkung, die soeben in kaum einem Jahresrückblick fehlte: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."

Und nun diese Sätze zu Neujahr. Angela Merkel übersetzte, was Pegida-Marschierer meinen, wenn sie Wir sind das Volk rufen, wie die Revolutionäre von 1989: "Ihr gehört nicht dazu - wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion." Bei den Initiatoren machte sie "Vorurteile, Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen" aus.

Zwei Bemerkungen für die Ewigkeit

"Outstanding" nannte die britische Zeitung The Independent ihre Wortwahl; überragend. Mindestens zwei Bemerkungen für die Ewigkeit hat Merkel nun beisammen, nach mehr als neun Jahren im Amt.

Jeder Amtsinhaber erreicht irgendwann die Phase, in der die Leute vor allem registrieren, über welche Eigenschaften jemand nicht verfügt. Gerhard Schröder wurde in seiner zweiten Amtszeit als ein Kanzler wahrgenommen, der im Zuhören weniger stark war und den lauten Auftritt auch dann bevorzugte, wenn der leise einen Versuch wert gewesen wäre.

Angela Merkel war in ihren ersten Jahren das herbeigesehnte Kontrastprogramm dazu. Mochten ihre Reden auch keineswegs die mitreißendsten sein - ihr Handwerk als Krisenbewältigerin verstand und versteht sie.

Und kommt es darauf nicht an, letztlich? Wer zu Hause die Wahl hat zwischen einem Monteur, der sehr unterhaltsam über die Kollegen Heizungsbauer herzuziehen weiß, und einem, der sogar die kaputte Leitung in den Griff bekommt, wüsste ja auch, wie er sich zu entscheiden hat.

Menschen müssen Erklärungen verstehen können

Der Vergleich hinkt natürlich. Hausbesitzer wollen meist gar nicht wissen, wie ihre Heizung funktioniert; Hauptsache, sie tut es. Geht es indes um Politik, ist es in der Demokratie mit dem Herangehen an Probleme nicht getan. Die Bewältigung von Euro- oder Ukraine-Krise, die Aufnahme von Flüchtlingen kann nicht gelingen, wenn es den Menschen an Erklärungen fehlt, die sie nachempfinden könnten.

Wer der Kanzlerin zuhört, erlebt selten eine Handwerkerin der Sprache: Deutschland müsse in Zukunftsbereiche investieren, die der strategischen Agenda entsprechen. Es heiße jetzt, die Verschmelzung des Digitalen mit der industriellen Produktion zu erkennen. Der Bezug zur Nato-Russland-Grundakte müsse erhalten bleiben. Solche Sätze hat Merkel in den vergangenen Wochen wörtlich gesprochen, in einer Regierungserklärung, in Interviews. Kann sie nicht erklären, oder will sie nicht?

Der letztere Verdacht kursiert bei denen, die sie in Wahlen besiegt hat: Sie halten die Anti-Rhetorik für ein Mittel, mit dem Merkel die Gegenseite demobilisieren will - demnach kommt die Kanzlerin beim Volk durch, indem sie scheinbar zuverlässig die Dinge erledigt, ansonsten aber die Masse sediert. Wen fordert schon ein Abstraktum wie "Nato-Russland-Grundakte" zur Debatte heraus?

Nur funktioniert eine sedierende Politik allenfalls vorübergehend, wenn überhaupt. Und Eindrücke, wie begründet oder haltlos sie sein mögen, sind wie Wasser: Sie bahnen sich ihren Weg. Nimmt bei einer kritischen Masse von Menschen der Eindruck überhand, Probleme würden totgeschwiegen, suchen diese Menschen Orientierung bei denen, die rumlärmen.

Der gemeinsame Nenner vieler AfD- und vieler Pegida-Anhänger, aber auch anderer Enttäuschter ist ja die Wahrnehmung, dass es nur noch den Mainstream gebe, dass andere Meinungen unterdrückt würden.

Journalisten und Politiker auf der anderen Seite der Barrikade

Angela Merkel hängt noch eine dritte Bemerkung nach, mit der man sie dereinst in Verbindung bringen wird: Sie gilt als Erfinderin des Adjektivs "alternativlos". Hätte sie wohl damals, 2009, nicht gedacht, wen sie damit inspirieren würde: eine Partei, die sich "Alternative" nennt.

Soweit der selbstgerechte Teil der Analyse. Das Auffällige am derzeitigen Gegrummel ist aber doch, dass es weder auf die Kanzlerin im Besonderen noch auf Politiker im Allgemeinen begrenzt ist - sondern dass es mindestens im selben Maße den Medien gilt, den Vermittlern von Politik also.

Journalisten verstehen sich traditionell auch als Kontrolleure der Herrschenden. Zu ihrem Erstaunen sehen sie nun, dass viele Bürger sie aber plötzlich ganz anders wahrnehmen: Sie verorten sie, gemeinsam mit Politikern, auf der anderen Seite der Barrikade.

Überdruss an Diktum

Auch in dieser Hinsicht bedeutet die Ukraine-Krise eine Zeitenwende. Vorher haben es viele Medienkonsumenten noch irgendwie hingenommen, dass Journalisten keineswegs so allwissend und urteilssicher sind, wie viele von ihnen gerne tun. Aber Skandalgeschichten wie die um Guttenberg, Wulff und Brüderle haben keineswegs nur die drei Genannten versehrt, ja, sie haben nicht einmal allein dem Ruf derjenigen Medienvertreter geschadet, die die Fouls begingen. Das Image der Branche war jedenfalls schon angeschlagen, als die Ukraine-Krise ausbrach.

Manchmal bricht sich das Misstrauen ausgerechnet dann Bahn, wenn die davon Betroffenen es am wenigsten erwarten (und als besonders ungerecht empfinden). Zu welchen Fehlern es auch immer in der Berichterstattung gekommen ist - dass viele Bürger bei dem Thema deutschen Politikern und Reportern inzwischen weniger zu trauen scheinen als dem gelernten KGB-Offizier im russischen Präsidentenamt, dass sie Richtung AfD und zu irgendwelchen Blogs fliehen: Das ist ein noch zu erforschendes Mysterium.

Formuliert Merkel zu vage, und formulieren Journalisten hingegen zu klar? Müsste die eine viel besser erklären, müssten die anderen viel stärker auch dem Zweifel Raum geben? Es herrscht in der Gesellschaft jedenfalls ein Bedürfnis nach Debatte und Vielfalt, und ein Überdruss an allem, was nach Diktum klingt.

Neulich, beim CDU-Parteitag in Köln, sagte die Kanzlerin, man werde die Probleme mit Moskau "nicht lösen, wenn wir die Dinge nicht klar beim Namen nennen". War das ein Diktum oder eine Aufforderung an sich selbst? Viel klarer als in der Neujahrsansprache kann eine Kanzlerin jedenfalls nicht sein.

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