Süddeutsche Zeitung

Sprache:Verfall der Sprache in politisch verwirrten Zeiten

Die Politik gebiert gerade ein Sprachungetüm nach dem anderen. Bald werden die Populisten nicht mehr wissen, mit welchen euphemistischen Begriffen sie ihre Pläne noch verschleiern sollen.

Von Karl-Markus Gauß

Seit Jahren führe ich einen vergeblichen Kampf gegen den Gebrauch des Wortes Ex-Jugoslawien. Ob es um politische Berichte, historische Reminiszenzen oder die Würdigung von Künstlern geht: Gewohnheitsmäßig taucht, wenn von jenem Staat die Rede ist, der 1944 von den Partisanen gegründet wurde und in den Neunzigerjahren auf so blutige Weise zerfiel, ein mysteriöses Ex auf. Was soll das sein, ein Ex-Staat? Wer würde schreiben, dass die Ex-österreichisch-ungarische Monarchie oder die österreichisch-ungarische Ex-Monarchie 1918 in national verfasste Nachfolgestaaten auseinanderbrach? Die übrigens mit dem von der Monarchie geerbten Problem, dass sich auf ihren national vorgeblich homogenen Territorien gleich wieder mehrere Nationalitäten fanden, nur eher schlecht als recht umzugehen wussten und diesen bestenfalls den Status von sogenannten Minderheiten zubilligten.

Wer würde nicht über die Formulierung stolpern, dass Brecht, Döblin, Thomas Mann bedeutende Schriftsteller der Ex-Weimarer-Republik waren? In den Rezensionen der Romane und Erzählungen von Ivo Andrić, die in den vergangenen Jahren neu ediert wurden, wird stets darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem um einen der größten Autoren Ex-Jugoslawiens handelte. Darüber ärgere ich mich, weil ich in den Nachworten, die ich für diese Bücher verfasste, stets zu zeigen trachtete, warum Andrić ein geradezu exemplarischer Jugoslawe war: in Bosnien als Angehöriger einer kroatischen Familie geboren und aufgewachsen, lebte er als Erwachsener meist im serbischen Belgrad, wo er als Diplomat wie als Autor die Einheit der südslawischen Nationen verfocht. Dass er 1975 starb, macht ihn noch nicht zum Ex-Menschen, der in einem Ex-Staat lebte.

Ein Wiener Stadtrat der FPÖ namens Johann Gudenus hat kürzlich behauptet, stichhaltige Gerüchte sprächen dafür, dass George Soros hinter der nach Europa brandenden Flüchtlingswelle stehe, mit all seiner Macht, seinem Geld und dem teuflischen Plan, die Europäer auf ihrem eigenen Kontinent zur Minderheit zu machen. Gudenus meinte die originelle Wendung keineswegs satirisch, sondern so ernst, wie es der Lage der Nation entspricht. Bisher glaubte man ja, ein Gerücht bestehe aus nicht stichhaltigem Material wie Tratsch, Unterstellungen, Ressentiments, Vermutungen, und sein Zweck sei es, einen bösen Verdacht in die Welt zu setzen. Aber seitdem Verschwörungstheorien nicht mehr bloß das Hobby von einigen Fanatikern sind, hat sich das Wesen des Gerüchts verändert: Gerade weil es sturzbachartig durch die Kanäle der virtuellen in die reale Welt gespült wird, gilt es nun als Wahrheit, die bisher unterdrückt, verleugnet und endlich auf dem unkontrollierten Wege des stichhaltigen Gerüchts enthüllt wurde.

In Niederösterreich hat der nicht gerade verhaltensunauffällige Landesrat Gottfried Waldhäusl ein Regierungsamt, das den skurrilen Titel "Integration und Veranstaltungswesen" trägt. Sein besonderes Engagement gilt der Flüchtlingsfrage und dem Tierschutz, welcher ausdrücklich auch in sein Revier fällt. Man kann diese beiden Bereiche, die fürs Erste nicht viel miteinander zu tun zu haben scheinen, miteinander verbinden, wie Waldhäusl mit seiner Klage bewies: "Hunde mit Migrationshintergrund nehmen unseren Tieren leider oftmals den Platz in den örtlichen Tierheimen weg." Ob Soros auch daran die Schuld trägt, ist noch durch kein stichhaltiges Gerücht geklärt, aber die Frage ist, ob man ein Tierheim, in dem mehrheitlich fremdländische Hunde auf ihre Integration oder Abschiebung warten, nicht treffender als Asylzentrum oder Anlandeplattform für Tiere bezeichnen sollte.

Obwohl das die Sache auch nicht einfacher machen würde. Denn, ehrlich gefragt, wer hat noch den Überblick über all die neuen Wörter, die wir vor einigen Monaten noch gar nicht kannten und von denen uns alle Tage ein paar um die Ohren geschlagen werden? Was unterscheidet ein Anlandezentrum von einer Anlandeplattform und was beide vom österreichischen Gegenkonzept der Landeplattform? Da sind Dinge, die das Gleiche meinen, in verschiedene Begriffe gefasst, während Dinge, die einander widersprechen, in fast identische Hülsen gesteckt werden.

Die deutsche Regierung möchte Anlandezentren in Nordafrika errichten, die aber wegen des unguten Anklangs von Zentrum auf Konzentrieren besser Anlandeplattformen heißen sollen, in denen Flüchtlinge, die aus der Wüste kommen, wie solche, die an der Überquerung des Meeres scheiterten, Asylanträge stellen dürfen.

Die Österreicher mögen mit einem Wort, das sich nur durch einen einzigen Buchstaben vom deutschen Projekt unterscheidet, etwas viel weiter Reichendes: Sie wollen die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, gleich auf jene Herkunftsländer beschränken, aus denen die Flüchtlinge nichts wie wegwollen. Das wäre natürlich eine geniale Lösung: Die Flüchtlinge in jenen Ländern zu halten, von deren despotischen Regierungen sie verfolgt werden, und sie mit gutem Gewissen darauf zu verpflichten, ihre Verfolgung im Staat der Verfolger nachzuweisen. Das ist eine lebensnahe Vorgangsweise; die Sondereinheiten der Polizei werden ihnen gerne ihre bedrückende Lage amtlich bestätigen und sie in die Landeplattformen ziehen lassen.

Was aber hat es mit den fast täglich wechselnden Plänen für Transitlager auf sich, aus denen Transitzentren, dann Transferzentren wurden, und die jetzt offenbar Ankerzentren heißen sollen, was nichts mit den Schiffen der Flüchtlinge und den Booten der Schlepper zu tun hat, sondern mit bürokratischer Fantasie aus der Abkürzung für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung" gebildet wurde?

Je länger man ein Wort anschaue, umso fremder blicke es zurück, hat Karl Kraus einmal festgestellt. Die politische Verwirrung gebiert ein sprachliches Ungeheuer nach dem anderen. Und bald werden selbst jene, die sich als Macher gerieren, aber als Dilettanten agieren, nicht mehr wissen, mit welchen euphemistischen Begriffen sie ihre rigorosen Pläne am besten verschleiern können. Dabei sollten wir aufpassen, dass wir uns nicht schneller, als wir uns das vorstellten, in einer Ex-EU wiederfinden, in der aus etlichen Mitgliedsländern Ex-Demokratien geworden sind.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4071418
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.07.2018/jsa/lalse
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.