Sportgeschichte:Als die Turner noch das Sagen hatten

Die Gründung des FC Bayern im Februar 1900 war auch ein Akt der Rebellion. Denn Fußball galt für viele Funktionäre damals als englische Modetorheit.

Von Dietrich Schulze-Marmeling

Am 17. Oktober 1897 konstituierte sich im Karlsruher Restaurant "Zum Landsknecht" der Verband Süddeutscher Fußball-Vereine (VSFV). Einer der Initiatoren war der Freiburger Medizinstudent Gustav Randolph "Gus" Manning, der auch erster Schriftführer des VSFV wurde. Im "Landsknecht" war kein Verein aus München dabei. Dies änderte sich auch in den nächsten Jahren nicht. München blieb ein weißer Fleck auf der Karte des Verbands. Dabei wurde auch hier längst Fußball gespielt, unter anderem im Männerturnverein von 1879 (MTV 1879), wo sich 1897 eine Fußballabteilung (FA) formiert hatte. Mit dabei: der aus Berlin stammende Walther Bensemann, Deutschlands wichtigster Fußballpionier und 1920 Gründer der Zeitschrift Kicker.

Der Bonner Anglist und Historiker Heiner Gillmeister war der Erste, der um die Jahrtausendwende Licht in die komplizierte Gründungsgeschichte des FC Bayern brachte. Demnach waren die Gründung des Klubs und seine Aufnahme in den VSFV das Produkt einer "langen und sorgfältigen Planung" (Gillmeister), bei der drei Personen federführend waren: Gus Manning, Josef Pollack und Franz John. Gus Manning mochte nicht hinnehmen, dass München, die größte süddeutsche Stadt, nicht im VSFV vertreten war. Noch vor der Jahrhundertwende bahnte sich allerdings eine Lösung an.

Fußball durfte anfangs nicht unter der Regie eigenständiger Verbände gespielt werden

Bevor er nach Freiburg zog, war Manning in Berlin zur Schule gegangen und hatte drei Semester an der Humboldt-Universität studiert. Fußball spielte er beim VfB Pankow. Dort war einer seiner Mitspieler Franz John, der sich mittlerweile in München niedergelassen hatte. Wie auch Josef Pollack, Mannings ehemaliger Freiburger Sturmkamerad, der nun für die Fußballer des MTV 1879 kickte.

Es war nur eine Frage der Zeit, dass die beiden Manning-Vertrauten zusammenfanden. Ein Vierteljahrhundert später, zum 25-jährigen Bestehen des FC Bayern, erinnerte sich John an seinen Einstieg in die Münchner Fußballszene: "Als ich vor mehr als 25 Jahren nach München kam, war es für mich als alten Fußballer und Rasensportler natürlich eine selbstverständliche Sache, sofort Umschau zu halten, wo kannst du für deinen geliebten Sport tätig sein. Da fand wenige Tage nach meiner Ankunft in München anlässlich einer Sportausstellung auf der Kohleninsel ein Fußballwettspiel zwischen einer kombinierten Mannschaft des bekannten Bensemann gegen den MTV statt."

Das Spiel bot John "die Gelegenheit, um mit Münchener Fußballern in Fühlung zu treten. Ich machte mich dort bekannt und lernte verschiedene Herren vom MTV kennen. Vor allem war es Josef Pollack (...), der sich meiner in kameradschaftlicher Weise annahm und beim MTV einführte".

Als Gus Manning von Johns Ankunft erfuhr, sah er seine Chance gekommen. John: "In jener Zeit war mein Freund und Vereinskamerad Dr. Manning bereits Schriftführer des Verbandes Süddeutscher Fußball-Vereine. Diesem schrieb ich nun, dass ich in München gelandet sei und Mitglied des MTV geworden sei. Fast postwendend bekam ich von Manning einen Brief mit dem ungefähren Inhalt: 'Gott sei Dank, dass du in München bist; denn Bayern, der größte Bundesstaat Süddeutschlands, fehlt uns noch immer in unserem Verbande. Alle unsere Bemühungen, Bayern in den Verband zu bekommen, sind stets fehlgeschlagen. Du musst nun auf jeden Fall alles dransetzen, um den MTV zu veranlassen, dem Verbande beizutreten, dann kommen die anderen von selbst nach, und der süddeutsche Verband ist dann das, was wir anstreben, ein großes, ganzes Süddeutschland.' (...) Mit diesem Auftrag hatte denn mein sportliches Münchener Leben von allem Anfang an seinen Inhalt bekommen."

Eine Mitgliedschaft im Fußballverband war schon deshalb wichtig, damit sich die Münchner an der Süddeutschen Meisterschaft beteiligen konnten, die unter der Regie des VSFV nun alljährlich stattfand. Franz John und Josef Pollack warben im MTV für einen raschen Beitritt der Fußballabteilung zum Verband der Fußballer. Unter der Führung des angehenden Notars Julius Keyl waren die MTV-Kicker zu dieser Zeit bereits zur stärksten Kraft im Münchner Fußball aufgestiegen, über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt und somit prädestiniert für eine Vorreiterrolle. Doch ihr Mutterverein, der MTV, verstand sich in erster Linie als Turnverein und stand der zusätzlichen Mitgliedschaft in einem Fußballverband skeptisch gegenüber.

Hans (Hanne) Sobeck

Schon ein Jahr nach der Vereinsgründung wurden die Bayern Münchner Stadtmeister. Bis zur ersten Deutschen Meisterschaft dauerte es allerdings noch bis 1932. Das Bild zeigt eine Szene aus dem Spiel gegen Hertha BSC.

(Foto: ullstein bild via Getty Images)

Nicht nur in München konkurrierten Fußball und Turnen miteinander. Die Turner hatten sich lange vor dem Fußball als dominierende "deutsche Disziplin" etabliert. Viele der in der Regel sehr nationalkonservativ und militaristisch gesinnten Turnväter der Deutschen Turnerschaft (DT) betrachteten den Fußball mit Argwohn. Nicht nur, weil sie in ihm eine Konkurrenz sahen, sondern auch aus sportideologischen Motiven: Fußball war für sie eine aus England importierte, "undeutsche" Modetorheit, roh, ungesund und im Widerspruch zu ihrem Körperideal.

Als die Kickerei um die Jahrhundertwende in Deutschland immer beliebter wurde, versuchten die Turner, die Organisation des Spiels unter ihre Kontrolle zu bringen. Das bedeutete: Fußball durfte in ihren Vereinen gespielt werden, aber nicht unter der Regie eigenständiger Fußballverbände, sondern nur im Rahmen der Deutschen Turnerschaft, die allerdings Meisterschaften nicht vorsah.

So verhielten sich auch die Münchner Turner: Ein Antrag, die MTV-Fußballabteilung an den süddeutschen Fußballverband anzuschließen, wurde vom Hauptverein abgelehnt. Franz John: "Man wendete ein, dass es absolut nicht gehe, denn die Deutsche Turnerschaft erlaube es nicht."

John und Pollack strebten nun die Trennung von den Turnern und die vollständige Unabhängigkeit an. Franz John: "Mir war von vorneherein klar, dass eine sportliche Entwicklung nur möglich war, wenn München, Bayerns Hauptstadt, dem süddeutschen Verband nähergebracht wurde. Münchens Sportbetrieb stand damals weit hinter dem anderer Städte zurück, und ein Aufschwung war meines Erachtens nur zu erwarten, wenn durch die Austragung von Verbandsspielen das allgemeine Interesse geweckt wurde. Ist der MTV auf Grund seiner Bindung mit der Turnerschaft nicht dazu in der Lage, bahnbrechend voranzugehen, so gab es für mich nur eine Lösung: die Gründung eines Fußballklubs, der, dem süddeutschen Verband angehörend, die sportliche Führung in München übernimmt und auf diese Weise befruchtend auf das Ganze wirkt."

Als die Leitung des Hauptvereins von Johns und Pollacks Separationsbestrebungen und vom beabsichtigten Beitritt zum süddeutschen Verband erfuhr, lud sie die Spielabteilung zum 27. Februar 1900 ins Altmünchner Gasthaus Bäckerhöfl an der Schäfflerstraße ein. Die MTV-Führung signalisierte Entgegenkommen. Aber die Rebellen wollten sich nicht mehr länger hinhalten lassen. Hinter John und Pollack standen allerdings bei Weitem nicht alle MTV-Fußballer. Nur elf von ihnen verließen den Tagungsort und zogen ins Weinhaus Gisela um, das an der Ecke Jägerstraße/Fürstenstraße in der Maxvorstadt lag (der erste Teil der Fürstenstraße mit dem "Gisela" wurde in den 1970er-Jahren zur Kardinal-Döpfner-Straße). Die Wiege des FC Bayern war nicht Schwabing, sondern die Maxvorstadt, wo viele der ersten Bayern in den Straßen um Universität und Kunstakademie lebten. Wie im Übrigen auch Fußballpionier Walther Bensemann.

Noch am gleichen Abend hoben die elf Rebellen im Weinhaus Gisela den FC Bayern aus der Taufe. Die Gründungsurkunde wurde aber von 17 jungen Männern unterzeichnet.

Wie Bayern-Archivar Andreas Wittner herausfand, ist die Gründungsurkunde eigentlich keine. Franz John hatte die Unterschriften bereits Tage vor der Gründung eingesammelt. Auf einem DIN-A5-Blatt erklärten die 17 ihre Bereitschaft, einem noch zu gründenden Fußballklub beizutreten, sollte es zum großen Knall auf der Versammlung im Bäckerhöfl kommen. John wollte sichergehen, im Falle eines Auszugs ausreichend Unterstützer zu haben, zumal die Versammlung an einem Faschingsdienstag stattfand. Möglicherweise hatten seine Gegner diesen Termin bewusst gewählt - in der Hoffnung, viele der Fußballer würden lieber feiern gehen. Erst im Nachhinein wurde aus dieser Absichtserklärung eine Gründungsurkunde.

Die ersten Trikots waren noch weiß-blau. Rothosen wurden die Bayern erst später

Fast ein Drittel der Gründer waren Künstler: Franz John hatte in Jena eine Ausbildung zum Fotografen absolviert. Paul Francke war Kunstmaler, Otto Ludwig Naegele Werbegrafiker, Wilhelm Focke Landschaftsmaler und Benno Elkan Bildhauer.

FCB; FCB - Details siehe Dateinamen

Zu Beginn wurde über den FC Bayern gespöttelt. Er sei ein Klub der „Zuagroasten“ hieß es, weil in der Gründungsmannschaft nur drei echte Bayern standen.

Elkan war wie Manning und Pollack jüdischen Glaubens. Sein berühmtestes Werk ist die Menora vor dem israelischen Parlament, der Knesset in Jerusalem. Die ersten Trikots wurden gestiftet vom Kunstmäzen, Schriftsteller und Verleger Alfred Walter Heymel. Sie waren bayerisch weiß-blau, wie zunächst auch die Vereinsfarben. Später spielte die Mannschaft aus praktischen Erwägungen in weißen Blusen und schwarzen Hosen. "Rothosen" wurden die Bayern erst 1906, als sie sich dem elitären Münchner Sport-Club (MSC) anschlossen, dem damals größten und wohlhabendsten Klub in der Stadt, den einst ausländische Studenten gegründet hatten.

Trotz seines Namens und der weiß-blauen Farben: Der neue Klub war alles andere als eine bayerische Angelegenheit. Wie bereits erwähnt, stammten Franz John, der erste Präsident des Klubs, und Josef Pollack, der erste Schriftführer, aus Pankow beziehungsweise Freiburg. Paul Francke, Erster Kapitän des FC Bayern und in dieser Funktion für das Training und die Aufstellung der Mannschaft verantwortlich, war Sachse und von Wacker Leipzig zum neuen Klub gestoßen. Sein Stellvertreter Wilhelm Focke wurde in Bremen geboren und kam aus Düsseldorf nach München. Und Benno Elkan kam aus Dortmund, wo er schon 1895 an der Gründung des ersten Fußballklubs der Stadt, des DFC 95, beteiligt gewesen war.

Kurz nach seiner Gründung stieß auch noch ein Quintett vom Freiburger FC zum jungen Klub, angeführt vom Medizinstudenten Ernst Schottelius. Möglicherweise wäre es zum Auszug der Fußballer aus dem Turnverein gar nicht gekommen, hätten Franz John und Josef Pollack nicht Garantien aus Freiburg vorgelegen. Gus Manning, der zu den Gründern des FFC gehörte, hatte John versprochen: "Wenn du einen Fußballklub dort gründest, so wirst du von uns die weitgehendste Unterstützung erfahren." Mannings Pläne mit dem FC Bayern konnten nur funktionieren, wenn der neue Klub möglichst schnell zur ersten Kraft in München avancierte. Die Rechnung ging auf: In der Saison 1901/02 wurden die Bayern Stadtmeister.

Der FC Bayern handelte sich schon bald den Vorwurf ein, er sei kein Münchner Klub, sondern ein Klub der "Zuagroasten". Aber nicht nur die Bayern profitierten von deren Input. Franz John: "Viel ist über die 'Bayern-Mannschaft' gespöttelt worden, waren doch nur zwei, drei echte Bayern in der Mannschaft; aber es ist ganz außer Frage, dass durch die 'Auswärtigen' die Münchner Fußballer unendlich viel gelernt haben, dass erst durch sie der richtige Schwung ins Münchner Fußball-Leben kam."

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