Österreich:Entscheidend verzählt

Österreich: Eine Wahlpanne, die sich keiner vorstellen konnte: Andreas Babler, der Bürgermeister von Traiskirchen, ist am Montag als SPÖ-Chef bestimmt worden. Zwei Tage lang hatte Hans Peter Doskozil als Vorsitzender gegolten.

Eine Wahlpanne, die sich keiner vorstellen konnte: Andreas Babler, der Bürgermeister von Traiskirchen, ist am Montag als SPÖ-Chef bestimmt worden. Zwei Tage lang hatte Hans Peter Doskozil als Vorsitzender gegolten.

(Foto: Georges Schneider/IMAGO/photonews.at)

Beim SPÖ-Parteitag unterläuft ein Rechenfehler. Zwei Tage nach der Wahl des Vorsitzenden stellt sich ein anderer als Sieger heraus: Andreas Babler.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Es heißt ja, österreichische Politik werde nie langweilig, und tatsächlich hatten die vergangenen Jahre, vom Aufstieg des ÖVP-Stars Sebastian Kurz über das Ibiza-Video bis zu zahlreichen Korruptionsermittlungen, reichlich Stoff für Schlagzeilen hergegeben. Nun ist eine neue hinzugekommen, die diesmal die SPÖ betrifft, und eines ist gewiss: Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen.

Denn am Montagnachmittag wurde bekannt, dass die österreichischen Sozialdemokraten am vergangenen Samstag auf ihrem außerordentlichen Parteitag den falschen Parteichef gekürt haben. Angetreten waren der Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil, und der Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler. Laut Wahlkommission, die ihr Ergebnis gegen 15.3o Uhr bekannt gab, hatte Doskozil mit 37 Stimmen Mehrheit, in Prozentzahlen mit 53 zu 47 Prozent gewonnen. Babler nahm das Ergebnis gefasst auf, seine Anhänger, die ihn nach einem emotionalen Auftritt gefeiert hatten, waren schwer enttäuscht.

Ein neuer Parteitag sei nicht nötig, sagt die Chefin der Wahlkommission

Am Montag um 15.45 Uhr trat dann die Leiterin der SPÖ-Wahlkommission, Michaela Grubesa, bei einer überraschend anberaumten Pressekonferenz vor die Öffentlichkeit und entschuldigte sich. Man habe zwar alle Stimmen richtig ausgezählt, aber eine ungültige Stimme in der Gesamtrechnung aufzuzählen vergessen. Erst nach dieser relativen Petitesse rückte Grubesa mit einer politischen Sensation heraus: Aufgrund eines Fehlers eines Mitarbeiters seien die Ergebnisse in einer Exceltabelle in der falschen Reihenfolge eingetragen worden, und sie habe das nicht mehr überprüft. Daher heiße der neue SPÖ-Vorsitzende in Wahrheit Andreas Babler. Ein neuer Parteitag sei laut Grubesa nicht nötig: "Aus meiner Sicht ist der ganze Prozess belegbar", so Grubesa. Dann entschuldigte sie sich bei dem Verlierer, der sich zwei Tage lang als Gewinner betrachten durfte.

Weil, als die Pressekonferenz angekündigt worden war, gleichzeitig bekannt wurde, dass Doskozil daheim im burgenländischen Eisenstadt ebenfalls vor die Presse treten wolle, waren schnell erste Gerüchte von einem "Hammer" kursiert. Aber dass die Sozialdemokraten nach einem langen Machtkampf, einer Mitgliederbefragung, dem Rücktritt der bisherigen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und dem Sonderparteitag vom vergangenen Samstag tatsächlich einen so banalen Fehler mit so schweren Folgen machen würden, das hätte tatsächlich niemand erwartet. Damit sind alle Analysen, alle Überlegungen zur Zukunft der SPÖ unter dem eher konservativen Doskozil, der einen rigiden Kurs fahren wollte und in seiner Siegesrede bereits einer Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Absage erteilt hatte, obsolet. Und der Machtkampf völlig anders entschieden.

Sieger ist also der Bürgermeister von Traiskirchen, ein 50-jähriger gelernter Schlosser, in dessen Gemeinde, einer Kleinstadt von 20 000 Einwohnern, das landesweit größte Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber steht. Er ist ein Parteilinker; zuletzt hatte es einige Aufregung darüber gegeben, ob er sich als Marxist bezeichnet. Auch ein Video aus dem Jahr 2020, in dem er sich über die EU als "aggressives militärische Bündnis" erregte, hatte für Aufsehen gesorgt.

Babler zeigte sich in einer ersten Stellungnahme weniger euphorisch als vielmehr erschüttert. Er erwarte nun völlige Transparenz und Aufklärung. Sollte sich das Ergebnis nach einer erneuten Prüfung und Auszählung bewahrheiten, werde er die Wahl annehmen und am "völligen Comeback" der SPÖ arbeiten. Babler sprach von einem "Tiefpunkt", der "schmerzhaft" sei. Seinen Sieg und den Start in das neue Amt hatte er sich ganz offensichtlich anders vorgestellt.

Österreich: Als Sieger gekürt, nach zwei Tagen zum Verlierer erklärt: Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes, wurde wegen eines Zählfehlers irrtümlich zum SPÖ-Chef ernannt.

Als Sieger gekürt, nach zwei Tagen zum Verlierer erklärt: Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes, wurde wegen eines Zählfehlers irrtümlich zum SPÖ-Chef ernannt.

(Foto: Hans Klaus Techt/dpa)

Die ersten Reaktionen seiner Fans und Unterstützer, die sich am Samstag im Linzer Design Center noch weinend in den Armen gelegen hatten, sprachen Bände: "Ich scheiß mich an", twitterte der Wiener Sozialdemokrat Nikolaus Kowall, der Babler zur Kandidatur ermuntert hatte. Der Doskozil-Anhänger Max Lercher hingegen, der unter dem zuerst ausgerufenen Parteichef wohl Parteigeschäftsführer geworden wäre, schrieb auf Instagram, er sei "ehrlich fassungslos".

Medien reden von einer "unfassbaren Panne"

Auch die österreichischen Medien kommentierten umgehend in einer Mischung aus Schock und Ironie. Die Kronen Zeitung sprach von einem SPÖ-Super-Gau. Die Zeitung Österreich, mit der sich der vermeintliche Sieger Hans Peter Doskozil auf dem Parteitag verbal angelegt hatte, weil er verkündete, unter ihm werde es keine Inserate für dieses Medium geben, schrieb von einer "unfassbaren Panne".

Doskozil gratulierte in einer ersten Reaktion seinem siegreichen Kontrahenten. Er kündigte zugleich an, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen und sich nur noch auf seine Aufgabe als Landeshauptmann im Burgenland zu konzentrieren. Ansonsten gibt es im Machtkampf der Sozialdemokraten mehr als einen Überraschungssieger: All jene, die Babler unterstützt hatten, darunter die Wiener SPÖ, die Gewerkschaften, die SP-Frauen, dürften nun jubeln. Und auch die etwa 10 000 neuen Mitglieder, die mutmaßlich wegen des Traiskirchners in die Partei eingetreten und sich von diesem mehr Schwung, mehr inhaltliche Debatten, mehr Beteiligung der Basis und eine klare Abgrenzung gegen die Regierungspolitik erhofft hatten, können sich freuen.

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